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Aus der Vergangenheit in die Zukunft: Deutsch-Namibische Vergangenheitsbewältigung

01.07.2019 - Artikel

In den Jahren 1904 bis 1908 schlugen deutsche Kolonialtruppen im damaligen Deutsch-Südwest-Afrika Aufstände der Volksgruppen Herero und Nama grausam nieder. Die politische Aufarbeitung dieses schrecklichen Kapitels in der Geschichte ist Gegenstand von Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia.

Seit der Unabhängigkeit der Republik Namibia im Jahr 1990 haben sich besonders intensive bilaterale Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Sie gehen zurück auf die gemeinsame Kolonialgeschichte (1884-1915) und die daraus erwachsende besondere Verantwortung Deutschlands, die enge kulturelle Verbindung zur deutschsprachigen Gemeinschaft in Namibia sowie auf über zwei Jahrzehnte nachhaltiger und substantieller bilateraler Entwicklungszusammenarbeit im Umfang von fast einer Milliarde Euro. Die Entschließung des Deutschen Bundestags im Jahr 1989, in der die historische und politische Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia festgestellt wurde, war richtungweisend für die deutsche Namibia-Politik.

Wieczorek-Zeul 2004 in Namibia
Wieczorek-Zeul 2004 in Namibia© EPA

2004 hat die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Frau Wiezcorek-Zeul, eine Grundsatzrede in Namibia gehalten und eine Sonderinitiative zur Verbesserung der Lebensumstände der besonders betroffenen Volksgruppen ins Leben gerufen.

Der heutige Bundespräsident und damalige Bundesaußenminister, Frank-Walter Steinmeier, hat 2014 mit seiner namibischen Amtskollegin einen Dialog der Regierungen zur Vergangenheitsbewältigung angestoßen.

Gedenkgottesdienst in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin
Gedenkgottesdienst in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin© epd

Im August 2019 übergab die Staatsministerin für Auswärtige Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering, in einer bewegenden Zeremonie in der Französischen Kirche in Berlin 27 menschliche Überreste, die während der Kolonialzeit nach Deutschland verbracht worden waren, an eine namibische Regierungsdelegation, die auch aus Vertreterinnen und Vertretern der Volksgruppen der Nama und Herero bestand.

Viele Organisationen der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft aber auch die Kirchen beschäftigen sich seit langem intensiv mit der Aufarbeitung der Vergangenheit.

Die deutsche und die namibische Regierung wollen durch gemeinsame Verhandlungen einen Beitrag dazu leisten, die auch jetzt noch spürbaren Folgen der Kolonialzeit in Namibia zu überwinden. Die bilateralen Beziehungen sollen auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses über die Vergangenheit in die Zukunft geführt werden. Wir beantworten nachfolgend die wichtigsten Fragen zu dem Thema.

Wer führt die Verhandlungen?

Ruprecht Polenz (Archivbild)
Ruprecht Polenz (Archivbild)© dpa

In den seit 2015 geführten Regierungsgesprächen wird die Bundesregierung durch den langjährigen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Ruprecht Polenz vertreten. Der frühere EU-Botschafter Namibias, Dr. Zedekia Ngavirue, repräsentiert Namibia.

Sind Vertreter der Herero und Nama beteiligt?

Ja. Die namibische Regierung hat beratende Gremien eingesetzt, um die besonders betroffenen Volksgruppen der Herero und Nama an den Verhandlungen zu beteiligen. Die Regierung in Namibia hat wiederholt bekräftigt, dass dies allen offensteht. Einige Volksgruppenvertreter beteiligen sich an den Verhandlungen, andere lehnen dies jedoch ab.

Handelte es sich damals um Völkermord?

Die damaligen im deutschen Namen begangenen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde, auch wenn es erst nach dem Holocaust gelang, diesen Begriff mit rechtlichen Normen zu unterlegen. Deshalb geht es in den Gesprächen auch um die Einordnung des Begriffs Völkermord in den historisch-politischen Kontext.

Ist Deutschland bereit, sich zu entschuldigen?

Ja. Es ist Ziel der Bundesregierung, auf der Grundlage gemeinsamer Sprache um Vergebung für das Geschehene zu bitten.

Worum geht es bei der Klage in New York?

Einige Vertreter der Volksgruppen der Nama und Herero haben in New York eine Sammelklage gegen Deutschland eingereicht, mit der Schadensersatz sowie eine unmittelbare Teilnahme an den deutsch-namibischen Regierungsgesprächen durchgesetzt werden soll. Im März 2019 wurde die Klage vom zuständigen US-Gericht als unzulässig abgewiesen, da amerikanische Gerichte wegen des Grundsatzes der Staatenimmunität für die Klage keine Gerichtsbarkeit haben. Diese Entscheidung bestätigt die Position der Bundesregierung: Über 100 Jahre nach den damaligen Ereignissen ist nur eine politische und keine juristische Aufarbeitung möglich.
Die Kläger haben gegen die Gerichtsentscheidung Revision eingelegt.

Traditionell gekleidete Herero Frauen, aufgenommen im Nordwesten von Namibia 2010
Traditionell gekleidete Herero Frauen, aufgenommen im Nordwesten von Namibia 2010© Tom Schulze/dpa

Wird Deutschland Reparationen zahlen?

Eine rechtliche Grundlage für materielle Ansprüche des Staates Namibia oder von einzelnen Herero oder Nama oder Vertretern dieser Volksgruppen gegen Deutschland wegen Ereignissen aus der Kolonialzeit besteht nicht. Daher kann es bei den Gesprächen nicht um Entschädigungszahlungen oder Reparationen gehen.

Wie können die Lebensumstände der besonders betroffenen Volksgruppen verbessert werden?

Die namibische Seite hat nach intensiven Beratungen in den Regionen dazu Vorschläge gemacht, auf die die Bundesregierung reagiert hat. Es geht dabei z.B. um Infrastruktur, Energie, Wasserversorgung und berufliche Bildung.

Was hat es mit den menschlichen Überresten in Deutschland auf sich?

In deutschen Museen und Forschungseinrichtungen lagert eine Anzahl menschlicher Gebeine aus Namibia. Oft wurden sie während der Kolonialzeit entwendet, ohne Respekt vor Menschenwürde und kulturellen und religiösen Praktiken nach Deutschland gebracht, und zu vorgeblich wissenschaftlichen Zwecken verwendet. Die Bundesregierung unterstützte die namibische Regierung 2011, 2014 und 2018 bei der Auffindung, Identifizierung und Rückführung von Gebeinen. Sie sieht dies als wichtigen Teil der Vergangenheitsbewältigung.

Wie steht es um die Rückführung von Kulturgütern?

Durch die Rückgabe von Kunst- und Kulturgegenständen aus kolonialem Kontext leistet Deutschland einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit. So kam es im Februar 2019 zur Restitution der Bibel und Peitsche des namibischen Nationalhelden Hendrik Witbooi, die in der Kolonialzeit von deutschen Truppen erbeutet worden waren und sich seit 1902 im Linden-Museum Stuttgart befanden.

Am 16. Mai 2019 entschied das Kuratorium des Deutschen Historischen Museums zudem einstimmig, dass die Kreuzkapsäule an Namibia zurückgegeben wird. Namibia hatte 2017 ein offizielles Rückgabeersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet. Bei der Kreuzkapsäule handelt es sich um ein ehemaliges portugiesisches Hoheitszeichen, das von Portugal um 1486 an der heutigen namibischen Küste aufgestellt und 1893 aus dem damaligen deutschen „Südwestafrika“ nach Deutschland verbracht wurde. Eine 1895 von Deutschland aufgestellte Kopie der Säule wurde 1968 von Namibia zum Nationaldenkmal erklärt.

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