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Krise, Ordnung, Europa – Rede von Außenminister Gabriel beim 9. Kulturpolitischen Kongress

15.06.2017 - Rede

Sehr geehrte Damen und Herren,

„Innen und Außen in der Kulturpolitik“ - so haben Sie Ihren Kongress überschrieben. Und mir den Job zugeordnet, darüber zu reden. Wahrscheinlich war die Erwartung, dass der Außenminister sich dann auf das „Außen“, also die außenpolitische Dimension von Kulturpolitik konzentrieren kann.

Aber ich muss Sie gleich in meinen ersten Sätzen enttäuschen:

Ich bin der Überzeugung, dass die Trennung von Innen und Außen, die Abgrenzungen zwischen dem, was bei uns hier in Deutschland passiert, und was sich in der Welt da draußen abspielt, gar nicht mehr zeitgemäß ist. Und wir das auch längst wissen.

Wir merken doch, dass wir uns nicht mehr abschirmen können gegen die Zeitläufte, gegen die Krisen in Europa, gegen die Konflikte im Nahen Osten, gegen die Welle von autoritären Herrschaftsformen, wie zum Beispiel in der Türkei, und deren Konsequenzen in Form globaler Migrationsbewegungen. Und glauben Sie bloß nicht, dass die Auflösung von Innen und Außen bequem wird. Das wird ganz unbequem.

Denn wir sind in Europa gewohnt, eine eigene Besonderheit zu haben. Die Amerikaner haben für sich einen Exzeptionalismus in Anspruch genommen, der lautet: „Wir wissen was richtig ist und das bringen wir allen anderen in der Welt, gelegentlich auch mit den Mitteln der militärischen Intervention“. Wir haben einen umgekehrten Weg beschritten: „Wir wissen auch, wie es geht. Aber wir wollen mit der Welt eigentlich nichts zu tun haben. Was da draußen ist, das können gerne die Amerikaner übernehmen – wenn etwas schief geht, dann haben wir auch jemanden, den wir anklagen können. Aber so richtig dabei sein wollen wir nicht“.

Wer Innen und Außen zusammenfügt, der kriegt Verantwortung für das Außen. Das ist manchmal ganz schön unangenehm. Weil es zum Beispiel Situationen gibt, bei denen Sie, bevor Sie nachhaltige Veränderungen in Gang setzen können, erstmal dafür sorgen müssen, dass Menschen nicht ermordet werden. Das sind schwierige Konsequenzen, weil wir das in der Vergangenheit eher von uns weggehalten haben. Ich will nur vorsichtig darauf hinweisen, dass die Zeiten, in denen man Innen und Außen nicht mehr trennen kann, anstrengender sind, als die, in denen das schön voneinander separiert werden konnte.

Uns erreichen diese Entwicklungen hier in Deutschland und in Europa ganz real in Form von Geflüchteten. Und wir spüren damit auch die Schockwellen hier bei uns ganz hautnah. Und zugleich vermischen sich diese Erfahrungen mit parallel ablaufenden wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungsprozessen in unseren eigenen Gesellschaften und in der ganzen Welt. Asien wächst. Afrika wächst. Lateinamerika wächst. Wir schrumpfen. Und wenn unsere Kinder in der Welt noch eine Stimme haben wollen, dann muss es eine europäische Stimme sein. Und eben keine nationale Stimme. Selbst das starke Deutschland wird keine Chance haben noch Gehör zu finden.

Fest steht: All das führt zu Unsicherheiten, zu gefühlten und realen materiellen Unsicherheiten eines Teils der Menschen hier über ihre Lebenschancen, Jobs, Sicherheit. Aber es sind eben auch neue kulturelle Unsicherheiten, die entstehen.

Dabei ist unübersehbar, dass wir uns in einer Phase großer Veränderungsprozesse befinden. Und deutlich wird: Die technologische Zeitenwende der Digitalisierung, die wirtschaftliche Konkurrenz in der Industrie, die politische Anfechtung der etablierten internationalen Macht des Westens und auch die Zumutungen einer Einwanderungsgesellschaft verstärken zudem die Ohnmachtsängste bei vielen Menschen hier, vor allem bei denen, die sich nicht mehr beachtet oder repräsentiert fühlen.

Machtverlust, Kontroll- und Orientierungsverlust, Verlust oder Gefährdung von sozialer Identität – die Verunsicherung hat viele Facetten und Dimensionen.

Umso größer ist die Versuchung überall auf der Welt, auch hier bei uns, den Verlust an wirtschaftlichen und an politischen Einflussmöglichkeiten des oder der Einzelnen, ja an Souveränität, ausgleichen zu wollen. Nicht etwa dadurch, dass man sich mit anderen zusammentut, um die Souveränität, die man alleine nicht mehr hat, zurückzugewinnen. Europa ist nämlich kein Verlust an Souveränität, sondern der Wiedergewinn an Souveränität, die man als Nationalstaat nicht mehr hätte. Aber die Antworten, die gegeben werden, sind verlockender. Denn Europa ist kompliziert und es gibt einfachere Angebote und die lauten: kulturelle Souveränität oder Identität. Eine Chimäre, die auf viele einen guten Eindruck zu machen scheint.

Frei nach dem Motto: Wenn wir schon weniger zu sagen haben, dann sollen lieber Weniger überhaupt etwas sagen und entscheiden.

Es gibt einen neuen Autoritarismus. Und dieser neue Autoritarismus ist die größte Herausforderung für die liberalen Demokratien, so wie wir sie kennen. Und sie ist vor allem eine kulturelle Herausforderung, denn es geht ja dabei um ein grundlegend anderes Verständnis unseres Zusammenlebens als bisher. Mit unseren Nachbarn in der Welt und natürlich auch im eigenen Land.

Ein neuer Autoritarismus setzt auf Abgrenzung und Ausgrenzung und nicht auf Partnerschaft. Und schon gar nicht darauf, dass das Zusammenkommen der Vielen einen weitaus größeren kulturellen Mehrwert besitzt als die Summe der Einzelinteressen.

Anschaulich ist das vor einigen Wochen in einem Aufsatz des Sicherheitsberaters des US-Präsidenten geworden. Unter der Überschrift: „America first does not mean America only“ entwerfen sie ein ganz verändertes Weltbild, in der die internationale Staatengemeinschaft kein gemeinsames Forum mit geregelten Beziehungen mehr darstellt, sondern als Arena, als Kampfplatz. Staaten, Verbände, Nichtregierungsorganisationen, die Kultur auch – sie alle sind in dieser Arena. Dort bestimmt nicht die Stärke des Rechts, sondern das Recht des Stärkeren. Wer sich mit dem Stärkeren – in diesem Fall die USA – verbündet, der ist Freund und bekommt gegebenenfalls auch Vorteile gewährt. Wer das nicht tut und eigene Interessen definiert oder sogar kulturelle Differenz für notwendig hält, der ist Feind und wird bekämpft.

Das ist so ziemlich das Gegenteil zur Idee des Westens, die ja keine geografische Idee war beziehungsweise ist, sondern eine universell kulturelle. Sie setzt auf den Mehrwert, der entsteht, wenn wir in rechtlich, politisch und wirtschaftlich geregelten und verlässlichen Beziehungen zueinander stehen, die auf Freiheit, Demokratie und gegenseitigem Respekt und Friedensliebe und kulturellen Austausch gründen. Zusammenleben in einer internationalen Gemeinschaft, einem gemeinsamen Haus. Und nicht in einer Kampfarena.

Man sieht, dass es für uns also nicht um Innen und Außen geht, sondern um unser Verständnis vom Zusammenleben nach Innen und nach außen. Oder wie es Willy Brandt einmal formuliert hat: Ein Volk der guten Nachbarn – im Innern und nach außen.

Der neue Autoritarismus setzt auf das Gegenteil. Auf Überlegenheit und Arroganz, die an die Stelle von Dialog, Austausch und Kommunikation treten.

Im Grunde reden wir von schierem Nationalismus, der in letzter Konsequenz die Abgrenzungen und Abwertungen von Menschen, Gesellschaften, Ländern und Kulturen mit einschließt. Nämlich diejenigen, die in der Arena nicht auf der Seite der Stärkeren stehen.

Wir spüren doch, dass gerade bei uns hier in Europa solch neue nationalistische Verkürzungen mit einigem elektoralen Erfolg zur Lösung unserer komplexen gesellschaftlichen Probleme angeboten werden. Was anderes ist denn die AfD als die deutsche Variante dieser rechtspopulistischen Bewegung in Europa?

Solche Populisten werfen ihre Angeln aus mit Parolen, die vorgaukeln, einzelne Staaten könnten in einem vernetzten Europa und in einer globalisierten Welt Gestaltungskraft dadurch wiedergewinnen, indem sie sich abkoppeln. Vor allem auch kulturell abkoppeln.

Meine Damen und Herren,

was bedeutet dieser Befund für unsere Kulturpolitik?

Ich glaube wir müssen uns einerseits der realen Erosion der Bedeutung des Nationalstaats stellen – aber andererseits alles tun, damit Menschen nicht in die Falle von neuen nationalen Erzählungen und Versprechungen tappen, mit denen Populisten von links, aber vor allem von rechts sich die neuen Unsicherheiten zunutze zu machen versuchen.

Im nächsten Jahr gibt es eine gute Gelegenheit uns dazu etwas einfallen zu lassen. Denn 2018 ist der 100. Jahrestag des Endes des 1. Weltkriegs. Da wird es in Europa ganz viele Erzählungen dazu geben. Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass das nicht alles nationale Erzählungen sind. Sondern dass es dabei auch eine gemeinsame europäische Erzählung gibt. Und dass dabei etwas aufscheint, das leider am Ende erst nach einem weiteren Weltkrieg dazu geführt hat, dass man den nationalen Erzählungen in Europa Grenzen gesetzt hat. Es ist eine gute Gelegenheit, kulturpolitisch auf so etwas zu reagieren.

Wir müssen also über das neue „Innen und Außen“ gleichsam in einem Atemzug sprechen. Wir müssen diese Dimensionen gemeinsam denken und darauf beherzt und überzeugend reagieren.

Indem wir noch viel stärker als bisher klar machen, dass der Nationalstaat des 19. Jahrhunderts auf keinem Fall die angemessene Form des gemeinsamen Nachdenkens, Mitfühlens und Mitentscheidens ist und sein kann. Kurzum: Wir müssen eine zweite Aufklärung in Gang setzen!

Und damit sollten wir bei uns selbst anfangen. Denn unsere demokratische Kultur, die gesamte demokratische Kultur des Westens, der eben kein geographisches Gebilde ist, sondern ein Fundament gemeinsamer Werte, fußt genau auf dieser Idee der Aufklärung.

Natürlich wissen wir, dass die Menschen unterschiedlich sind in ihrem Vermögen und ihren Fähigkeiten, in ihren wirtschaftlichen und sozialen oder kulturellen Umständen.

Aber wir wollen uns unter einander als Gleiche ansehen. Auf diesen Paradoxen beruhen die Klarheit und die Wirkungsmacht der ersten 20 Artikel unseres Grundgesetzes.

Bei allem Respekt für die Debatte über die Leitkultur. Wir haben eine. Und das sind die 20 Artikel des Grundgesetzes. Da steht alles drin, was man wissen muss, um in diesem Land anständig zu leben und mit anderen anständig umzugehen. Ich kenne keine Leitkultur, die besser ist als das Grundgesetz.

Navid Kermani hat in seiner großen Rede zu seinem Geburtstag darauf hingewiesen: Als Leitschnur, eben als Grundgesetz unseres Handelns formuliert es nicht, was nicht Wirklichkeit ist, sondern was Wirklichkeit sein soll - und ist in diesem Sinne auch Verpflichtung für jeden Einzelnen! In diesem Sinne habe ich mich – wie Jürgen Habermas das mal für definiert hat – stets als Verfassungspatriot begriffen.

Warum betone ich das?

Weil uns Außenpolitik und Auswärtige Kulturpolitik dabei helfen können, diese gemeinsame Aufgabe zu meistern.

Das ist nicht immer einfach, und auch nicht immer spannungsfrei. Und manchmal müssen wir auch besonders viel Geduld aufwenden. Wie zum Beispiel beim Anliegen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hier in Berlin die Sammlung des Teheraner Museums für Zeitgenössische Kunst zu zeigen.

Wir unterstützen dieses Projekt und wir werden weiter daran arbeiten. Denn gerade dort, wo der politische Dialog schwierig ist, müssen wir das kulturelle Gewebe, das Verbindungen schafft, stärken.

Natürlich gibt es noch eine andere zentrale Aufgabe für die nächsten Jahre hier in Deutschland, die mir ganz besonders am Herzen liegt und in der sich das Zusammenwirken von Innen und Außen noch viel stärker und dringender beweisen muss: Wie unterrichten wir die Shoah in Schulklassen, die zu 60-80 Prozent aus Kindern bestehen, die mit ganz anderen Erzählungen am Küchentisch der Familie oder in ihren Freundesgruppen groß werden?

Hier brauchen wir mehr denn je die Erfahrungen der kulturellen Brückenbauer. Hier müssen wir im Kampf der Narrative die Erzählung unseres Landes zugänglich machen, vermitteln und zu einer gemeinsamen machen.

Deswegen habe ich das Goethe-Institut gebeten, seine im Ausland erworbenen Erfahrungen zusammen zu fassen und schnell das Gespräch mit der Kultusministerkonferenz zu suchen. Gerade in einer so entscheidenden Frage für die Verfassung unseres Landes brauchen wir mehr denn je die Erfahrungen von Außen, um hier Innen kulturell besser zu wirken!

Und noch einen Aspekt möchte ich mit Blick auf das Luther-Jahr nennen. Die oder der ein oder andere hier im Saal erinnert sich vielleicht noch daran, wie schwierig es noch in meiner Kindheit war, wenn sich ein katholisches Mädchen sich in einen protestantischen Jungen verliebte. Wie stark die Religion - nicht der Glaube! - sie auseinander halten wollte.

Nein, Religion ist eben nicht notwendigerweise ein Gesellschaftskitt, wie das mein Kabinettskollege Thomas de Maizière vor kurzem geschrieben hat. Religion kann das durchaus sein, im besten Fall ist sie es auch, aber sie ist es nicht zwingend.

Sie ist aber herausgefordert, sich dieser Aufgabe zu stellen. Und gerade bei uns tun das die Religionsgemeinschaften in großem Umfang.

Es gibt inzwischen durchaus eine Verantwortung der Religionsgemeinschaften für das friedliche Zusammenleben der Menschen. Deswegen haben wir vor einigen Wochen rund 100 Vertreterinnen und Vertreter von Religionsgemeinschaften im Auswärtigen Amt zusammen gebracht. Um von ihren Erfahrungen zu lernen, aber auch um sich dieser Verantwortung zu stellen.

Um zu lernen von den Erfahrungen der Religionsführer. Aber auch um gemeinsam zu verhindern, dass religiöse Erfahrungen und Erzählungen missbraucht werden, um neue Konfliktlinien zu schaffen. Dazu muss man auch mit Menschen reden, die ganz anders ticken, die schwierig für uns sind. Ich habe in der Bild-Zeitung gelesen, dass es ganz schrecklich sei, wen wir da eingeladen hätten. Wenn es in der Welt nur Nette gäbe, bräuchten wir die nicht einladen. Wir werden wohl auch mit denen reden müssen, die eben nicht nett sind. Und die kompliziert sind, und schwierig. Aber Sie sehen – es ist halt Wahlkampf.

Auch hier in Deutschland, davon bin ich überzeugt, kann unsere Erfahrung da draußen in der Welt nur nützen.

Und lassen Sie mich vor diesem Hintergrund eine Anmerkung zu einer kulturpolitischen Debatte machen, die diese Stadt zurzeit mehr zu prägen scheint als manches andere. Ich muss gestehen, dass mir die Frage, ob auf die Kuppel des in seiner Fassade wiedererstandenen preußischen Schlosses nun ein Kreuz gehört oder nicht, ein wenig seltsam vorkommt. Übrigens nicht nur, weil ich aus einer Stadt komme, die übrigens UNESCO-Weltkulturerbe ist unter anderem deswegen, weil sie in der Form eines Kirchenkreuzes geplant und entwickelt wurde. Ich sage das aber auch ganz ernsthaft, weil ich Christinnen und Christen in diesem Land wohltuend unangepasst und kulturell offen erlebe.

Aber eigentlich stellt sich angesichts dieser sehr hauptstädtischen Debatte die Frage: Hat sich eigentlich niemand vorher mit der Frage befasst, wessen Fassade er da wieder aufbaut? Denn wenn man sich schon für die Ikonisierung einer preußisch-wilhelminischen Fassade entscheidet, was man auch mit guten Gründen insgesamt ablehnen kann, dann muss man wissen, was man tut. Nun mögen Bauhistoriker einwenden, dass die Fassade bereits aus dem Barock stammt, aber der Wiederaufbau dieser Fassade steht eben politisch nicht für den Barock, sondern für das preußisch-wilhelminische Zeitalter. Denn natürlich waren Kuppel und Kreuz ein anti-demokratisches Symbol des Gottesgnadentums des Deutschen Kaiserreichs. Der ganze Widerstand gegen die bürgerliche Revolution, das Selbstverständnis dieser Epoche waren davon geprägt. Das ganze Stadtschloss in der Mitte von Berlin repräsentiert diesen gegen die Demokraten gerichteten Machtanspruch. Übrigens selbst dann, wenn auf dem Dach der Kuppel der preußische Adler und nicht das Kreuz gestanden hätte.

Wir neigen ja in Deutschland ein bisschen zur Verklärung der Preußenzeit. Musizierender Alter Fritz, Mühlenbesitzer, der den König erfolgreich verklagen durfte, Sanssouci und manches andere gefällt uns sehr. Aber zum Preußentum gehören eben auch militärisch-aggressive Drillkultur und nationalistisch-konservative Aspirationen, die den geistig-politischen Aufstieg ganz gefährlicher Ideologien ermöglicht haben. Angesichts dieser historischen Bezüge ist es für mich erstaunlich, dass das Kreuz den Streit auslöst und nicht etwa die politische Grundhaltung des preußisch-wilhelminischen Zeitalters für die dieses Schloss eben auch steht.

Wer preußische Fassaden neu errichtet, muss sich auch mit dem preußischen Inhalt dieser Fassade auseinandersetzen. Und das scheint mir nicht durch eine Veränderung der Fassade zu gelingen. Das sieht eher danach aus, als wolle man im Nachhinein etwas korrigieren, was man vorher nicht durchdacht hat.

Aber ich gebe zu: ich bin halt Sozialdemokrat und wir reagieren auf Preußen- und Bismarckverehrung bisweilen etwas sperrig.

Mit Blick auf die aktuelle Diskussion um Kreuz und Kuppel sollten wir uns vielleicht ein Beispiel an den bürgerlichen Revolutionären nehmen, die ja zur Zeit der Preußen durchaus ihre Schwierigkeiten hatten. Denn obwohl Opfer der Verbindung von Kirche und Obrigkeit sind die damit relativ locker umgegangen.

Sie haben auf die Melodie eines alten Lieds, eines alten Adelslobes, einen neuen Text des Bürgersinns gesetzt – es ist also auch eine Art „Re-Konstruktion“.

„Ob uns Kreuze vorne schmücken oder Kreuze hinten drücken, das tut nichts dazu“, heißt es da.

Und es geht weiter: „Aber ob wir Neues bauen / Oder’s Alte nur verdauen / Das tut was dazu Ob wir für die Welt was schaffen / Oder nur die Welt begaffen / Das tut was dazu“.

Deswegen, glaube ich, täte uns bei dieser Diskussion ein bisschen mehr republikanische Gelassenheit gut!

Wichtig ist doch etwas ganz anderes: Die Kuppel des Schlosses symbolisierte ja im 19. Jahrhundert das durchaus freiheitsfeindliche Bündnis von Thron und Altar gegen das Bürgertum.

Deshalb muss es uns darum gehen, das aristokratische Schloss beziehungsweise seine Fassade in einen demokratischen Ort umzuwandeln. Kurz gesagt: Es geht weniger um Symbole und Icons als um das Füllen von Räumen und Gebäuden mit demokratischer Substanz!

Und dazu gehört, dass wir anderen in unserer Welt Zugang zu uns und unserer Kultur eröffnen und im Gegenzug auf die Welt und auf die Kultur unserer Partner zugehen. Uns also auf Augenhöhe begegnen.

Und da mache ich mir keine Sorgen um den demokratischen Kontext.

Mit einem Beispiel möchte ich aber deutlich machen, wie wir als Auswärtiges Amt künftig mehr Hilfe leisten können. Hier in den Staatlichen Museen Berlin, aber auch in China, Indien, Russland und Großbritannien liegen Fragmente der sogenannten Turfan-Mosaike. Die wurden im 19. Jahrhundert von Archäologen entlang der Seidenstraße aus Höhlen geschlagen und an verschiedene Orte gebracht.

Gemeinsam mit den Museen hier in Berlin, mit der Fraunhofer-Gesellschaft und dem Auswärtigen Amt arbeiten wir daran, dass der Blick auf dieses Weltkulturerbe nicht mehr vom Kauf eines Flugtickets nach Berlin abhängt.

Vielmehr wollen wir über die Kontinente hinweg einen gemeinsamen Zugang zu den Objekten, ihrer Geschichte und auch über die aktuellen Fragen einer neuen „Seidenstraße“ ermöglichen, die uns in Wirtschaft und Politik so intensiv beschäftigt. Und die uns eben auch in ihrer kulturellen und historischen Dimension zu interessieren hat.

Wir wollen mit in einem sogenannten „Virtual Dome“, also in einem virtuellen Raum eine neue Gemeinsamkeit schaffen. Die dann durch neue Präsenzformen ergänzt werden kann. Die aber vor allem eines schaffen soll: Zugang, eine kritische Auseinandersetzung und eine neue Gemeinsamkeit über und in diesem Forum.

Und wenn dieses Projekt gelingt, dann könnte sich daraus ein Ansatzpunkt bilden, wie wir weit über das Humboldt-Forum hinaus die Museumsarbeit zwischen Innen und Außen verändern können:

Indem wir nicht mehr nur die Sammlungen digital zugänglich machen. Sondern wie wir durch ein besseres und engeres Zusammenwirken von Wissenschaft und Kultur, Innen und Außen die Archive und Sammlungen für die gemeinsame Arbeit an den Fragen des 21. Jahrhunderts zur Verfügung stellen.

Martin Roth, der mir in all diesen Fragen ein wichtiger Gesprächspartner ist, will sich als kommender ifa-Präsident dem in besonderem Maße annehmen und ich freue mich sehr darauf!

Meine Damen und Herren,

ich habe eingangs davon gesprochen, dass wir Umbrüche und Unsicherheiten erleben.

Aber gerade in solchen Momenten sollten wir nicht hektisch nach neuen Wahrheiten suchen.

Sondern wir sollten in die Kraft der Kultur und Aufklärung neues Vertrauen entwickeln. Dabei gehen wir davon aus, dass Kunst und Kultur, Wissenschaft und Bildung, wenn sie in ihren Freiheiten ernst genommen werden, eine andere Welt, eine andere Möglichkeit der Wahrnehmung, des Denkens und des Fühlens eröffnen.

Deswegen ist es so entscheidend, diese Freiräume zu schaffen und zu schützen, aber auch zu öffnen und zugänglich zu machen.

Ich habe das selbst in meiner kleinen Heimatstadt Goslar erlebt, wo dank eines bürgerschaftlichen Engagements, dank der Künstlerinnen und Künstler des Kaiser-Ringes ganz wörtlich Zugang zu Kultur in einer ganz unmittelbaren Weise möglich ist und ich bin froh, dass wir ein ähnliches Experiment, nämlich die Documenta in Athen und Kassel auf genau diesem Weg unterstützen durften.

Deswegen gründen wir auch Goethe-Institute im Ausland, fördern wir Schulen, Universitäts- und Wissenschaftskooperationen. Weil sich in diesen Freiräumen ein gegenseitiges Verständnis für Gemeinsamkeiten entwickeln können.

Wir gehen in der Auswärtigen Kulturpolitik, für die wir in unserem Haus die Verantwortung tragen, konsequent den Weg der Öffnung und der compassion, wie es Willy Brandt genannt hat.

Dabei sind wir überzeugt, wir brauchen die Brückenbauer zwischen den Kulturen dringender denn je, wenn wir die nationalistische Enge überwinden wollen.

Und wir müssen denjenigen beistehen, die vor nationalistischem Druck fliehen müssen. Deshalb unterstützt das Auswärtige Amt die Philipp-Schwartz-Initiative für verfolgte Wissenschaftler, besonders aus der Türkei, die in Deutschland Aufnahme finden.

Daher freue ich mich auch, dass der Deutsche Bühnenverein sich die Philipp-Schwarz-Initiative zum Vorbild nehmen will, um ein eigenes Programm zur Unterstützung von „artists at risk“ aufzulegen. Unsere Unterstützung haben Sie dafür!

Meine Damen und Herren,

ich darf diesen Appell für die Kraft der Kultur der Aufklärung natürlich verbinden mit einem besonderen Dank an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Die haben nämlich sehr engagiert dafür gearbeitet, dass wir auch die Mittel dafür haben.

Ob es um die Spracharbeit und die Mittel für Schulen und Goethe-Institute geht.

Ob es um die Schaffung kultureller Freiräume geht oder die Reform der Auswärtigen Kulturpolitik hin zu einer Politik der Zivilgesellschaften.

Das alles wäre ohne die Unterstützung des Bundestages und insbesondere des zuständigen Unterausschusses und des Haushaltsausschusses nicht möglich gewesen!

Nur einige wenige Beispiele:

Gerade weil der Ukraine-Konflikt in der Politik zwischen den Staaten so verhärtet ist, fördern wir engagiert den zivilgesellschaftlichen Austausch mit und in den Ländern der östlichen Partnerschaft.

Gerade weil die aktuellen Notsituationen von Flucht und Vertreibung nicht nur nach politischer Lösung und humanitärer Hilfe rufen, sondern weil Kultur Hilfe zu Humanität ist, engagieren wir uns dort so vielfältig.

Vom Einsatz zum Schutz des Weltkulturerbes, für den sich bei uns insbesondere Staatsministerin Böhmer als Präsidentin dem zuständigen UNESCO-Komites so entschieden eingesetzt hat, über das Deutsche Archäologische Institut und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die sich mit 20 anderen Institutionen zu einem übergreifenden Projekt für den Schutz und den Wiederaufbau in Syrien zusammen geschlossen haben.

Es gibt zahllose weitere ähnliche Beispiele. Sie machen deutlich: Gerade auch in Krisenzeiten und Krisenregionen müssen wir unsere Anstrengungen erhöhen, um den Erhalt von und den Zugang zu Kultur und Bildung zu ermöglichen!

Meine Damen und Herren,

wenn irgendwo zu spüren ist, dass die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen, dann bei uns in Europa.

Denn die Überwindung des nationalstaatlichen Denkens, das Mitfühlen mit unseren engsten Freunden und Partnern verlangt eine ganz bewusste und zielgerichtete Politik.

Ich selbst wäre vielleicht nicht der überzeugte Europäer geworden, der ich heute bin, wenn ich nicht als junger Mensch an einem Besuchsprogramm in England teilgenommen hätte. Ein Programm, das eben nicht nur den Besten der Besten offen stand, sozusagen zwischen Humboldt-Uni und Oxford rekrutiert hat. Sondern eben auch Kassel-Nord, Goslar, Herne im Blick hatte. Das ist übrigens etwas, was mich seit Jahren umtreibt: Viele unserer Förderprogramme erreichen unglaublich viele junge Leute, aber relativ häufig junge Leute aus Familien, die das auch so könnten. Und gleichzeitig erleben wir Hauptschulen in Deutschland, in denen in den Sommerferien 90% der Schüler das Stadtgebiet nicht verlassen. Ich glaube wir haben eine Riesenaufgabe gerade bei denen, die aus materiellen Gründen, aber manchmal auch aus Bildungsferne, der Zugang zu kulturellem Austausch verschlossen bleibt.

Gerade das wieder möglich zu machen ist eines der Ziele für die kommenden Jahre. Dazu braucht es auch eine andere Herangehensweise unserer Institutionen und Projektträger, aber natürlich auch mehr Mittel. Deswegen gilt auch bei uns, dass der Dank die freundlichste Form der Bitte ist. Wenn ich jetzt den Haushaltsausschuss lobe, dann ist glaube ich allen klar, was dann kommt.

Zweitens wollen wir die Städtepartnerschaften wieder fördern, soweit sie eben diesen Austausch zwischen den Bürgerinnen und Bürgern möglich machen.

Meine Damen und Herren,

ich glaube also, wir haben mit Innen und Außen eine Menge zu tun und große Aufgaben vor uns. Aber wir haben auch unglaubliche Möglichkeiten hier in unserem Land. Übrigens auch eine künstlerische Auseinandersetzung mit ganz schwierigen Fragen im kommenden Jahr: „look back, think forward“, das ist unser Motto auch für die Gedenktage!

Wir werden beim kommenden deutsch-französischen Ministerrat vorschlagen, dass wir Goethe-Institute und die Instituts Francais dort enger zusammen bringen, wo nur der eine oder der andere Partner präsent ist.

Also „Goethe mit Frankreich“ und „La France avec Goethe“. Gut 10 gemeinsame Orte soll es dazu in den nächsten vier Jahren geben.

Wir sind auch auf das Goethe-Institut, das Institut Francais, die niederländischen und schwedischen Partner, aber auch auf deutsche und türkische Stiftungen zugegangen mit der Idee, gemeinsame europäische Kulturhäuser in der Türkei zu eröffnen.

Wir haben in der vergangenen Woche 1 Million Euro zur Verfügung gestellt, um in Gaziantep, Dyarbarkir und Iszmir diese Orte aufzubauen.

Darin liegen zwei Neuerungen, die mir auch gerade in der aktuellen Situation wichtig sind: Erstens bauen wir nicht notwendig komplette eigene Strukturen auf. Sondern wir stärken mit unserer Expertise Strukturen vor Ort und helfen so, bestehende Freiräume im wörtlichen wie übertragenen Sinne zu erhalten und zu erweitern.

Vor allem aber versuchen wir mit europäischen Partnern von der Konzeption bis zur Umsetzung einen gemeinsamen Ansatz zu finden.

Wir brauchen aber nicht nur europäische Partner! Ich bin froh, dass wir so viele Kooperationen hier in Deutschland und mit deutschen Institutionen aufgebaut haben und weiter ausbauen werden. Für diese Zusammenarbeit möchte ich mich herzlich bedanken.

Und ich bin überzeugt: Gemeinsam können wir es hinkriegen, dass das Verwischen von Innen und Außen eben nicht nur Unsicherheit und Ängste hervorruft. Sondern auch Neugier, Lebensfreude, Interesse am Unbekannten. Es kann uns gelingen, mit der Kraft der Kultur und der Aufklärung Verbindungen und Verflechtungen zwischen und innerhalb unserer Gesellschaften entstehen zu lassen. Das jedenfalls wäre mein Ziel!

Kultur eben nicht als Distinktionssphäre der Abgrenzung und Abwertung zu missbrauchen, sondern als verbindende Kraft zwischen Ländern, Völkern und Menschen unterschiedlichster Herkunft!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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