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Russland: „Wir verstärken den Druck, stehen aber weiter für Verhandlungen bereit.“

28.07.2014 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zu den Sanktionen gegen Russland in Zusammenhang mit der Ukraine-Krise. Erschienen im Spiegel vom 28.07.2014.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zu den Sanktionen gegen Russland in Zusammenhang mit der Ukraine-Krise. Erschienen im Spiegel vom 28.07.2014.

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Die EU will die Sanktionen Schritt um Schritt verschärfen. Was lässt Sie hoffen, dass die Fortsetzung einer Politik, die seit mehreren Monaten nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hat, nun doch noch zum Erfolg führt?

Garantien gibt es in der Diplomatie nicht, schon gar nicht in Krisenlagen. Dass eine nachhaltige Deeskalation noch nicht gelungen ist, beweist doch nicht, dass ein anderer Kurs erfolgreicher gewesen wäre.

Ob Russland unser Partner oder unser Gegner sein will, weiß ich nicht. Das werden wir sehen. Europas Nachbar wird es aber sicher bleiben. Und mit Nachbarn muss man reden können. Deshalb: Unser Kurs ist richtig: Wir verstärken den Druck, stehen aber weiter für Verhandlungen mit Russland zur Entschärfung des Konflikts bereit.

Nach der Tragödie von MH 17, dem Tod von 300 Unbeteiligten und völlig Unschuldigen und dem unwürdigen Treiben von marodierenden Separatisten auf der Absturzstelle waren wir alle überzeugt, dass neue, substanzielle Maßnahmen die richtige Antwort auf die mangelnde Bereitschaft Russlands ist, die Grenze zur Ukraine abzudichten und auf die Separatisten einzuwirken.

Die EU-Staaten auf einem gemeinsamen Nenner zusammenzuhalten bedeutet praktisch, die Sanktionen immer nur im Gleichschritt verschärfen zu können. Ist das auch nach dem Abschuss des Jumbos und bei unvermindertem Fortgang der militärischen Auseinandersetzungen noch die richtige Strategie?

Wir sind doch längst weiter. Wir haben im Kreis der Außenminister die Marschroute vorgegeben und in großer Geschlossenheit entschieden, den Druck zu erhöhen. Bereits am Freitag sind die Sanktionslisten erweitert worden, erstmals auch um Unternehmen und staatliche Entitäten. In wenigen Tagen haben wir auch die förmliche Grundlage für Sanktionen gegen Strippenzieher und Unterstützer. Zu den wirtschaftlichen Maßnahmen liegen die Vorschläge auf dem Tisch. Wir wollen zielgerichtete Regeln, die Lasten fair verteilen und schnell nachgeschärft, aber auch schnell wieder zurückgeführt werden können, wenn Russland sich bewegt. Wir wollen dazu schon in den kommenden Tagen Entscheidungen treffen können.

Warum will die Bundesregierung nicht auf eigene Faust die Sanktionen verschärfen?

Nur wenn alle 28 an einem Strang ziehen, ist das für Moskau die notwendige klare Botschaft. Bei Rüstungsgeschäften sind wir in Deutschland übrigens schon vor Monaten in Vorlage getreten.

Drängt die deutsche Wirtschaft die Bundesregierung, bei den Sanktionen Maß zu halten?

Das Primat der Politik steht außer Frage. Die Wirtschaft zieht trägt unsere Linie zu 100% mit, hat Eckhard Cordes, der Chef des Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, jüngst gesagt. Aber natürlich tauschen wir uns mit der Wirtschaft aus und nehmen ihre Sorgen bei unseren Entscheidungen ernst.

Gefällt sich die Bundesregierung in der Rolle der „letzten Brücke“ zu Wladimir Putin auch deshalb, weil das als Grund gelten kann, bei der EU-internen Debatte über die Verschärfung zurückhaltender aufzutreten als viele osteuropäische Staaten?

Wer unter dem Joch der Sowjetunion leben musste, hat einen anderen Blick auf Russland als unsere westeuropäischen Partner mit Atlantikküste. Wir stehen mit unserer eigenen Geschichte als geteiltes Land dazwischen und gehen mit dieser Rolle verantwortungsvoll um. Wir haben immer Kontakte nach Moskau gehalten und halten daran fest, weil wir sie brauchen. Ich werde nicht müde zu betonen, dass unsere europäische Friedensordnung auf dem Spiel steht. Dieser Konflikt kann für ganz Europa unabsehbare Folgen haben.

Gibt es aus Ihrer Sicht einen Punkt, an dem verschärfte EU-Sanktionen die russische Seite zu einer militärischen Reaktion bzw. Eskalation animieren könnten?

Was wir von der russischen Führung erwarten, ist weder neu noch zu viel verlangt, nämlich die Souveränität der Ukraine zu respektieren und ihre territoriale Integrität nicht zu untergraben. Was wir brauchen, sind eine wirksame Kontrolle der Grenze zur Ukraine, um das Einsickern von Kämpfern und Waffen zu unterbinden, und ein nachhaltiger Waffenstillstand, der Verhandlungen über eine politische Lösung möglich macht. Ich bin sicher: Wenn die Unterstützung von außen mit Geld, Kämpfern und Waffen gestoppt wird, dann wird der Widerstand der Separatisten in sich zusammenbrechen. Noch sicherer bin ich, dass die Bevölkerung der Ostukraine erkennt, dass diese Soldateska nicht ihre Interessen vertritt.

Warum greifen die Amerikaner zu schärferen Sanktionen als die Europäer?

Aufgrund einer anderen Rechtskultur ist Präsident Obama freier in seinen Entscheidungen. Bei uns reicht nicht die Einigung zu 28. Unsere Beschlüsse müssen einer rechtsstaatlichen Überprüfung bis hin zum EuGH standhalten. Dass die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verknüpfungen Europas mit unserem russischen Nachbar ungleich enger sind, kommt noch hinzu.

Interview: Nikolaus Blome. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Spiegel.

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