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EU-Erweiterung liegt auch in unserem Interesse“

09.04.2015 - Interview

Ein EU-Beitritt der Westbalkan-Staaten hätte Vorteile für beide Seiten, erklärt Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, im DW-Interview.

Ein EU-Beitritt der Westbalkan-Staaten hätte Vorteile für beide Seiten, erklärt Europa-Staatsminister Michael Roth im Interview mit der Deutschen Welle/dw.de. Erschienen am 09.04.2015.

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Der erste EU-Erweiterungskommissar, Günter Verheugen, hat 2004 zehn Länder als neue Mitglieder aufnehmen dürfen, seine beiden Nachfolger begrüßten immerhin drei neue Mitgliedsstaaten. Doch Johannes Hahn, der aktuelle EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, hat in seiner ersten Anhörung gesagt, dass in den nächsten fünf Jahren keine neuen Länder aufgenommen werden. Kann man immer noch von einer klaren Beitrittsperspektive für die Balkanländer sprechen?

Die klare Beitrittsperspektive, also unser Angebot einer EU-Mitgliedschaft, besteht. Es liegt jedoch nicht alleine in der Hand der Europäischen Union. Es liegt maßgeblich auch in den Händen der politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen sowie der Zivilgesellschaften in den Kandidatenländern, ob sie bereit und in der Lage sind, die entsprechenden Kriterien zu erfüllen, die Voraussetzung sind für einen Beitritt.

Wenn aber in Brüssel ganz klar gesagt wird, dass in den nächsten fünf Jahren kein Land aufgenommen wird, macht sich in einigen Balkanländern die Angst vor einer „Dauerkandidatur“ breit. Können Sie diese Angst nachvollziehen?

Ich möchte die Westbalkan-Staaten, die zur Europäischen Union gehören wollen, ermutigen. Keine Frage: Der Weg, der vor ihnen liegt, ist sicher beschwerlich, aber er lohnt sich. Wir sind eben nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern vor allem eine Werte-Union. Wir fokussieren auch vor dem Hintergrund schwieriger Erfahrungen bei den Beitrittsverhandlungen in den vergangenen Jahrzehnten die EU-Annäherungsprozesse sehr stark auf Fragen der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie, der Zusammenarbeit im Justizbereich, der Unabhängigkeit der Medien, aber auch auf die Lösung offener bilateraler Fragen. Das ist auch völlig richtig. Damit sind jedoch die schwierigsten Fragen zu Beginn anzugehen. Da kann gelegentlich Frust entstehen, weil es für viele scheinbar nicht substantiell vorangeht und hierfür habe ich Verständnis.

In den vergangenen Monaten hat sich aber geopolitisch einiges verändert in Europa. Es gibt viele Fachleute in der EU, die nun den Westbalkan in einem Dreieck zwischen Brüssel, Moskau und Ankara sehen. Ist das tatsächlich eine neue Ausgangssituation, die eine neue Dynamik in die Annäherungsprozesse dieser Länder bringen könnte?

Alle Staaten des westlichen Balkans haben eine strategische Wahl für eine Zukunft in der Europäischen Union getroffen. Die Erweiterung der EU liegt nicht nur im Interesse der Staaten des Westbalkans, sie liegt auch in unserem ureigensten Interesse. Da es in unseren Bevölkerungen eine gewisse Erweiterungsmüdigkeit gibt, ist es auch unsere Pflicht, immer wieder auf unser eigenes Interesse hinzuweisen, dass der Westbalkan bald zur EU gehört - wenn denn die Voraussetzungen stimmen. Die geopolitische Lage, das außen- und sicherheitspolitische Umfeld, ist unsicherer geworden. Wir haben ein Interesse an einem stabilen, friedlichen, demokratischen Europa. Mit der Beitrittsperspektive für den Westbalkan ist genau diese Erwartungshaltung verknüpft. Wenn sie denn zur EU gehören, dann profitieren auch wir davon, weil es sich um sichere, stabile, demokratische Länder handelt.

In letzter Zeit gab es in einigen deutschen Medien immer wieder Beiträge über eine islamistische Gefahr aus Südosteuropa. Es gibt nachweislich Menschen aus den Balkanländern, die für den IS kämpfen. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?

Das ist genau so beunruhigend, wie dass es aus Deutschland vermutlich 3000 sogenannte „foreign fighters“ gibt, die für diese Terror-Organisation ihr Unwesen treiben. Der Westbalkan ist eine multireligiöse, multiethnische und multikulturelle Region mit einem säkular geprägten, europäischen Islam und sollte das auch bleiben. Die Staaten und ihre Gesellschaften sollten weiter daran arbeiten, dass verschiedene Ethnien und Religionen friedlich und respektvoll miteinander umgehen und zusammenleben können. Staaten wie Albanien können hier durchaus als Vorbild gelten. Ansonsten ist die Frage der „foreign fighters“ ein Problem für die gesamte EU und macht noch einmal deutlich: Auch unsere Sicherheit erhöht sich, wenn wir dem Westbalkan eine klare Perspektive eröffnen können.

Die serbische Regierung trägt die Sanktionen gegen Russland nicht mit. Wäre für die EU und für Deutschland ein neutrales und offen russlandfreundliches Serbien akzeptabel?

Wer in der EU ist, ist nicht neutral. Wir haben eine gemeinsame Haltung und dazu gehört die Bereitschaft, sich auf eine gemeinsame Position zu Russland zu verständigen. Das bedeutet aber nicht, dass besondere historische, kulturelle, wirtschaftliche und politische Beziehungen zu einem anderen Land wie beispielsweise Russland gekappt werden. Auch wir legen trotz Sanktionen unsere Beziehungen nicht auf Eis. Ganz im Gegenteil, wir wollen mit Russland und mit der russischen Führung reden. Es darf aber niemals der Eindruck entstehen, als dürfe man die Nähe Russlands gegen die Nähe zur EU ausspielen

Die Fragen stellte Benjamin Pargan. Übernahme mit freundlicher Genehmigung von www.dw.de.

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