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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim 'Global Media Forum' der Deutschen Welle am 01. Juli 2014 in Bonn

01.07.2014 - Rede

Sehr geehrte Damen und Herren,
verehrte Gäste aus aller Welt!

Es ist schön, zurück zu sein in der alten Hauptstadt. Ich war lange nicht mehr hier. Auch nicht in diesem wunderbaren Gebäude des ehemaligen Deutschen Bundestages.

Ich erinnere mich, dass ich zum letzten Mal in diesem Saal war anlässlich einer Konferenz mit Bill Clinton zum Thema „Desaster Management“…aber das wird hoffentlich kein Omen sein… Gerne hätte ich zu dieser Medienkonferenz, zu einem Saal voller Journalisten, „Breaking News“ mitgebracht – und am besten solche, die uns hoffnungsvoll stimmen. Leider kann ich das nicht.

Wir haben gestern den ganzen Tag und Abend gemeinsam mit der Ukraine, Russland und Frankreich verhandelt, um noch zu einer Vereinbarung zu kommen, die einen Schritt zur Entschärfung der Situation in der Ostukraine erlaubt. Wir waren gegen zehn Uhr gestern Abend ganz nah dran an einer gemeinsamen Vereinbarung, die dann noch nicht gehalten hat.

Die Vereinbarung hätte natürlich nicht die Ukrainekrise dauerhaft politisch gelöst, aber sie hätte uns mehr als nur eine kleine Atempause verschafft. Ich bin enttäuscht, dass es nicht gelungen ist. In der Konsequenz hat Präsident Poroschenko nun die einseitige Waffenruhe aufgehoben. Was macht man in solchen Situationen? Man darf sich ärgern, aber man darf vor allem eines nicht: sich entmutigen lassen!

Das, was gestern nicht gelungen ist, wird nicht überflüssig, sondern es muss uns in den nächsten Tagen gelingen. Nur über diese politischen Verhandlungen wird es am Ende zu einer Lösung kommen. Nur so können wir weiteres Blutvergießen in der Ukraine auf Dauer verhindern. Deshalb werden wir, sobald ich diese Veranstaltung verlasse, wieder neu ansetzen, um das Stück, was wir gestern nicht haben schmieden können, jetzt in den nächsten Tagen trotzdem zu schmieden.

Es wäre gut, wenn wir die begrenzten Kontakte zwischen der Ukraine und Russland, die jetzt entstanden sind, weiter intensivieren – und wenn daraus eine gemeinsame Grenzkontrolle entstünde, die verhindert, dass weiter Kämpfer und Waffen in die Ostukraine einsickern. Aber das ist gewiss noch ein Stück Arbeit – noch sind wir nicht da.

Ich möchte mich herzlich bedanken bei der Deutschen Welle, die erneut Medienmacher aus der ganzen Welt nach Deutschland eingeladen hat, um aus sehr unterschiedlichen internationalen Perspektiven auf die großen Trends zu schauen, die Sie in der Medienbranche genauso umtreiben wie mich in der Politik.

Einer dieser Trends ist natürlich die Digitalisierung, und sie steht dieses Jahr im Zentrum des Global Media Forum. Als ich Ihre Einladung erhalten und darüber nachgedacht habe, wie ich als Vertreter der Außenpolitik vor Medienvertretern über das Internet und seine Folgen sprechen kann, da habe ich mir gedacht: Wenn du modern sein willst, dann kann deine Rede ja nur einen Titel haben, der ungefähr so lautet: “15 Facts About Foreign Policy That Will Blow Your Mind.” Und dazu dann eine möglichst bunte Foto-Strecke…

Nein, keine Sorge: So weit bin ich dann doch nicht, dass ich meine Reden in Buzzfeed-Sprache halte… Aber den Hintergedanken meine ich durchaus ernst. Politik und Medien gleichermaßen stehen unter dem Druck von Klickzahlen. Und Klickzahlen brauchen vor allem eines: Viele, schnelle, neue Bilder. Ich befürchte, dass dadurch die Außenpolitik in einen Wettbewerbsnachteil zu geraten droht. Wie meine ich das?

Die Krisen auf dieser Welt liefern Bilder in rasantem Tempo und in drastischem Ausmaß. Der Weg über die Handykamera durch die Sozialen Netzwerke in die Wohnzimmer der ganzen Welt ist sehr kurz geworden.

Erinnern Sie sich: Die Bilder aus dem Süd-Sudan zum Beispiel, seit gut drei Jahren Bilder aus dem schrecklichen Bürgerkrieg in Syrien. Zuletzt hat die Welt den brutalen Vormarsch von ISIS im Irak anhand solcher Bilder mitverfolgen müssen. Und nicht nur das: Die Bilder zeigen Wirkung. Ob alle Bilder echt waren oder nicht: Wir wissen jedenfalls, dass die Brutalität dieser Bilder mit dazu beigetragen hat, dass viele Mitglieder der Irakischen Armee aus Angst vor ISIS ihre Waffen gestreckt haben.

Noch eine Folge dieser Bilder beschäftigt mich als Außenpolitiker: Sie erzeugen Erwartungshalten in unserer Bevölkerung, den Grund für die Grausamkeiten dieser Bilder, die zurecht Erschrecken und Entsetzen auslösen, irgendwie, aber möglichst schnell aus der Welt zu schaffen.

Im Gegensatz zur Bilderflut aus den Krisenherden erscheinen die Methoden der Außenpolitik merkwürdig langsam. Und langsam sind sie auch! Die Außenpolitik hat nun mal keine Zwangsmittel und keine Befehlsgewalt, sondern das Kerngeschäft der Außenpolitik sind diplomatische Verhandlungen, nächtelange Gesprächsrunden in Schweizer Hotels, und – wie heute Nacht um Beispiel – das zähe Ringen um Kompromisse. All das produziert wenig aufregende Bilder!

Und noch ein Gegensatz tut sich auf: Auf der einen Seite wird die Welt komplexer. Ich will dazu keinen Grundsatzvortrag halten – sondern nur in groben Zügen umreißen, dass die Welt eben im Wendejahr 1990, das uns Deutschen glücklicherweise die Wiedervereinigung gebracht hat, eine alte Ordnung verloren hat, und seither eine neue Ordnung noch nicht gefunden hat.

Neue Player – in Lateinamerika und Asien – sind auf die Weltbühne getreten, die nicht nur wirtschaftlich stark sind, sondern die die Weltpolitik mitbestimmen und mitgestalten wollen. Das macht außenpolitische Absprachen in einer multipolarer viel, viel schwerer.

Gleichzeitig verändert sich die Natur der Konflikte. Wo es früher Kriege zwischen Staaten gab, finden wir uns heute im Zeitalter asymmetrischer Konflikte wieder, wo Gruppen gegen die eigene Staatsgewalt kämpfen – aus religiösen, konfessionellen, ethnischen oder vielen anderen Gründen mehr.

Ich fasse das in einigen Anstrichen zusammen um zu sagen: Keiner der Krisenherde ist mit althergebrachten Schablonen zu erklären: ob Irak und Syrien, ob Ukraine, ob Mali.

Doch auf der anderen Seite geht der Trend in den Online-Medien zur Verkürzung und Polarisierung – sozusagen als Gegenreaktion ein steigendes Bedürfnis, die komplexer gewordene Welt in Schwarz und Weiß, Gut und Böse einzuteilen. Doch es funktioniert einfach nicht!

Ich spüre das unter dem Brennglas der Ukraine-Krise jeden Tag. In meinen Facebook-Kommentaren ernte ich regelmäßig den 'doppelten Shitstorm': Auf der einen Seite gibt es die, denen das Säbelrasseln nie laut genug sein kann, und auf der anderen Seite die, die uns Kriegstreiberei vorwerfen. Auf der einen Seite die, die einem vorwerfen, der 'Russenversteher' zu sein– auf der anderen Seite die, die sagen: Du bist der Faschistenunterstützer in Kiew. Und wenn ich auf solche Vorwürfe selbst mal laut reagiere, dann wird ausgerechnet das der einzige veritable YouTube-Hit in meiner langen Politikerlaufbahn – auch das ist ja irgendwie bezeichnend…

Aber verstehen Sie mich richtig: Ich beklage die neuen Trends nicht. Im Gegenteil: Das Netz eröffnet großartige neue Möglichkeiten; und zwar nicht nur als „Einbahnstraße“ – nicht nur Mikrofon, mit dem ich die Marktplätze beschalle-, sondern als „Zweibahnstraße“ – als Austausch zwischen Politikern und Bürgern. Ich nutze diese Chancen gern und ausgiebig. Meine Mitarbeiter beklagen sich schon, dass ich mehr Zeit damit verbringe, die Kommentare auf meiner Facebook-Seite als die Leitartikel der Tageszeitungen zu lesen …

Aber auf eines will ich hinweisen: Wir, - das heißt Politiker wie ich und Medienmacher wie Sie - tragen eine Verantwortung, der Komplexität dieser Welt Rechnung zu tragen. Wir dürfen uns eben nicht der Versuchung hingeben, schwarz-weiß zu zeichnen, wo die Graustufen des Ungewissen vorherrschen, oder wo in derselben Wirklichkeit konkurrierende Wahrheiten Platz haben.

Das Internet verändert nicht nur die Kommunikation von Außenpolitik. Es verändert die Außenpolitik selbst. Es liegt ja schon in der Logik des Wortes „Internet“ begründet, dass es Grenzen überschreitet. Das Internet ist ein globales Gut. Und damit das so bleibt, hat auch die Außenpolitik eine Rolle wahrzunehmen. Heute hat das Internet rund 2,5 Milliarden Nutzer weltweit. In nur fünf Jahren werden es doppelt so viele sein. Ein solch rasant wachsendes Netz braucht Regeln und Standards – eine „Straßenverkehrsordnung“ sozusagen. Und es braucht Institutionen, die sich auf legitime Regeln verständigen und sie durchsetzen können. Deshalb ist die Idee von einem freien, offenen und sicheren Internet – auch für die Milliarden Menschen, die hinzukommen werden– eine der zentralen Aufgaben für die “Global Governance” im 21. Jahrhundert.

Ein wenig erinnert mich unsere Situation heute an die Zeit um den ersten Weltklimagipfel vor mehr als 20 Jahren in Rio – auch damals konnten wir uns kaum vorstellen, dass wir uns in dieser komplexer gewordenen Welt gemeinsame Regeln schaffen würden.

So ähnlich sehe ich das am Beginn des digitalen Zeitalters. Auch jetzt scheinen internationale Regeln noch weit weg, aber der Prozess muss heute anfangen!

Einen ersten Schritt haben wir gemacht, indem Deutschland und Brasilien gemeinsam eine Resolution zum Schutz der Privatsphäre in die Generalversammlung der Vereinten Nationen eingebracht haben. Denn es würde ja nicht zusammenpassen, wenn wir auf der einen Seite das Internet als globalen Raum verstehen, und auf der anderen Seite dann nicht auch die Privatsphäre im Internet als globales Recht verstehen, als ein Recht, das auf jeden Menschen zutrifft, egal aus welcher Nation.

Die Vision von einem freien, offenen und sicheren Internet teilen beileibe nicht alle auf dieser Welt. Eine autoritäre Regierung sieht in einem freien und offenen Internet eine Bedrohung ihrer Macht. Wir aber sehen in einem freien und offenen Internet Chancen! Chancen für Teilhabe, Wissen, Fortschritt und Demokratie. Diese Auffassung –davon bin ich überzeugt– teilen wir Deutsche auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika, und deshalb glaube ich –trotz aller Meinungsverschiedenheiten -, dass uns mehr verbindet als uns trennt.

Am Ende der letzten Woche habe ich im Auswärtigen Amt den Auftakt für einen Transatlantischen Cyber Dialogue gegeben– gemeinsam mit John Podesta, der im Namen von Präsident Obama am Großthema „Big Data“ arbeitet. Das Ziel dieses Dialoges ist nicht –wie manche kommentiert haben— abzulenken von den Enthüllungen von Edward Snowden– sondern im Gegenteil: eine konstruktive Debatte darüber zu führen, was meiner Ansicht nach hinter all der NSA-Empörung steht: nämlich die schwierige Frage, wie wir Freiheit, Privatsphäre und Sicherheit im digitalen Zeitalter in die richtige Balance bringen.

Eines vorneweg: Wir werden nicht in allen Punkten mit den Amerikanern übereinstimmen –schon allein nicht aufgrund unser unterschiedlichen Prägungen, die auf amerikanischer Seite eben dominiert sind von der schrecklichen Erfahrung des 11. September, die wir in Deutschland zum Glück nie machen mussten.

Aber dennoch lohnt es sich diese Debatte gemeinsam mit den Amerikanern zu führen, und zwar aus drei Gründen:

Erstens, weil unsere beiden Länder, die USA und Deutschland, die Länder sind, die am stärksten vernetzt sind in der Welt.

Zweitens, weil die USA und Europa gemeinsam in den internationalen Foren das nötige Gewicht in die Waagschale bringen können.

Und drittens, weil unsere beiden Länder –auch in Amerika, und das machen wir uns in Deutschland oft nicht bewusst– mitten in einer intensiven öffentlichen Debatte darüber stecken, wie ein freies und offenes Netz im 21. Jahrhundert aussehen soll.

Ich finde jedenfalls: Für dieses große Ziel des 21. Jahrhunderts: ein freies, offenes, sicheres Internet – ist uns mehr geholfen, wenn wir unsere öffentlichen Debatten über den Atlantik hinweg verknüpfen und in aller Ehrlichkeit führen und wenn wir gemeinsame Spielregeln definieren, wo wir es können.

Eines sollte uns bewusst sein: Wir stehen hier nicht am Ende einer Entwicklung, sondern erst am Anfang. Und da ist Empörung über Missbräuche nicht nur verständlich, sondern notwendig. Aber Empörung ist eben noch nicht die politische Haltung, die wir brauchen, um Regeln für die Zukunft durchzusetzen, und um dafür Verbündete zu gewinnen.

Ob uns eine regelbasierte Ordnung im digitalen Zeitalter gelingt, die volle Informationsfreiheit gewährt und gleichwohl das Right to Privacy schützt.

Ob es uns gelingt, ein Völkerrecht zu schaffen, das –trotz aller Verführung durch den Zugriff auf riesige Datenmengen– das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit in die richtige Balance bringt:

Das hängt auch von unserer Bereitschaft ab, unter die Oberfläche der Überschriften, unter das kurzfristig Skandalisierbare auf das langfristig Zukunftsweisende zu schauen. Von der Politik verlangt das nicht nur Haltung und Position, sondern auch die Bereitschaft, die Debatte über Ziele und Grenzen staatlicher Neugier zu führen. Und es verlangt von den Medien, sich der Tiefe der gesellschaftlichen Veränderungen zu widmen, in der weniger der Staat als vielmehr private Unternehmen die Verfügungsgewalt über Daten haben.

Diese Veränderungen rühren an die tradierten Vorstellungen des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft. Diese verfassungskulturelle Dimension von Big Data wird uns noch länger und intensiver beschäftigen als mancher aktuelle Skandal. Davon bin ich überzeugt, und ich freue mich, dass wir diese Debatte gemeinsam führen werden.

Vielen Dank.

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