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Europa zusammenhalten

15.06.2016 - Interview

Außenminister Steinmeier empfängt heute (15.06.) seinen tschechischen Amtskollegen Lubomir Zaorálek zu Beratungen in Berlin. In ihrem gemeinsamen Namensartikel erklären die Außenminister, warum Europa nur gemeinsam erfolgreich sein kann. Erschienen am 15.06.2016 in der Passauer Neuen Presse.

Für das deutsch-tschechische Verhältnis waren die letzten Jahre eine gute Zeit! Das ist sogar noch eine Untertreibung. Der Satz: „So gut war das bilaterale Verhältnis noch nie“, mag nach Floskel klingen. Tatsache ist aber: So viel gelebte Nachbarschaft, so viel Zusammenarbeit, so viel politischer Austausch, so viel Einvernehmen, ja Harmonie wie in den letzten Jahren hat es im deutsch-tschechischen Verhältnis noch nicht gegeben.

Erst wenig mehr als elf Jahre ist es her: der glückliche Moment der „Heimkehr nach Europa“ für Tschechien und neun weitere Länder. Und doch fühlt es sich an wie eine halbe Ewigkeit: Das seither gewachsene Vertrauen, die Freundschaft und die enge partnerschaftliche Abstimmung machen Mut und den brauchen wir auch, und das über unser bilaterales Verhältnis hinaus.

Denn der Wind ist rauer geworden. Viele Krisen fegen durch unser europäisches Haus. Die noch nicht überwundene Finanzkrise, der Zustrom von Flüchtlingen nach Europa, unser Umgang mit dem Konflikt in der Ostukraine, unser Verhältnis zum großen Nachbarn Russland, das Anschwellen von Rechtspopulismus fast überall in Europa, nicht zuletzt das Referendum über einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union und seine Folgen: Diesen großen Herausforderungen können wir uns nicht jeder für sich allein stellen. Mit politischem Handeln, das sich auf den eigenen Tellerrand und die eigenen nationalen Bedürfnisse beschränkt, werden wir den Fliehkräften in Europa nicht überzeugend begegnen.

Nur gemeinsam kann es gelingen, Lösungen für die drängenden Probleme zu finden und neues Vertrauen in die Handlungsfähigkeit Europas zu gewinnen. Nur gemeinsam werden wir auch den nationalistischen Populisten, denen mit den schlichten Lösungen, etwas entgegensetzen können.

Wir sind überzeugt, dass Tschechien und Deutschland bei der Bewältigung dieser großen Belastungsprobe einen wichtigen Beitrag leisten können.

Deshalb ist es gut, und es ist wichtig, dass die europäischen Partner im Herzen Europas, wir Deutschen und Tschechen, immer wieder unterstreichen: Wir wollen Europa und wir arbeiten an europäischen Lösungen. Europa braucht in diesen Tagen entschiedene Fürsprecher und ein enges Netz guter und freundschaftlicher Beziehungen, das auch in schwierigen Zeiten hält.

Je mehr diese Welt vernetzt ist und je ernster ihre Krisen sind, desto mehr müssen wir uns auf Partner jenseits unserer nationalen Grenzen verlassen können. Keine andere Region auf der Welt hat das so lange und erfolgreich eingeübt wie die Europäische Union. Mehr noch: Wenn überhaupt eine Region für einen erfolgreichen Umgang mit der Globalisierung gewappnet ist, dann wir in Europa.

Ein Rückzug ins nationale Schneckenhaus ist keine Lösung. Kontrollverlust droht letztlich dem, der nicht auf europäische Lösungen, sondern auf nationale Abschottung setzt. Angst war immer schon ein schlechter Ratgeber – und das gilt erst recht in der Politik.

Für uns folgt daraus ein klarer gemeinsamer Handlungsauftrag: Wir wollen und wir können in der EU unsere Meinungsunterschiede im partnerschaftlichen Dialog lösen. Wir wollen und wir können die Spielregeln befolgen, die wir uns dafür gegeben haben. Wir wollen und wir können einmal gefundene Kompromisse akzeptieren und umsetzen.

Dies gilt auch in der Migrationsfrage, wo die heftigen und auch kontroversen Debatten, die wir in der EU führen, nicht den Blick darauf verstellen sollten, dass wir Schritt für Schritt schon erste gemeinsame Ansätze zu Lösungen gefunden haben: Seenotrettung, Kampf gegen Schlepperbanden, Grenzsicherung, EU-Türkei-Abkommen, Unterstützung für Griechenland, verstärkte Fluchtursachenbekämpfung in den Herkunfts-und Transitländern. Erste Erfolge sind sichtbar. Wir haben große Fortschritte bei der Kontrolle und Ordnung von Flüchtlingsströmen erzielt. Wir sind gut vorangekommen bei der Einführung eines gemeinsamen Küstenschutz und Außengrenzschutzes. Das war sicher kein einfacher Prozess, und es wird vielleicht auch künftig zuweilen „haken“ – aber es ist der richtige Weg, mit allen Partnern an einem Tisch gemeinsame Lösungen zu finden, auch wenn das mühsam ist und manchmal auch Zeit kostet.

Wir haben in den deutsch-tschechischen Beziehungen einen – wenn man unsere Geschichte bedenkt – geradezu unglaublichen Stand an gegenseitigem Vertrauen erreicht, mit dem wir jetzt dazu beitragen können, europäische Antworten auf europäische Krisen zu finden. Wir haben vor 20 Jahren eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, welche uns in die Zukunft schauen gelehrt hat. Wir haben den Zukunftsfonds aufgebaut, der seit vielen Jahren mit unzähligen Projekten die Menschen in unseren beiden Ländern einander näher gebracht hat. Wir führen einen strategischen Dialog, dank dessen wir unsere Zusammenarbeit auf allen wichtigen Feldern weitervorantreiben.

Mit anderen Worten: Die Qualität der deutsch-tschechischen Beziehungen verpflichtet. Auf Englisch heißt es: Leading by example. Wir wollen gemeinsam mit guten Beispielen auf diesem Weg vorangehen!

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