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„Deutschland wird Kolumbien auch in der Post-Konflikt-Phase unterstützen“

15.02.2015 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier spricht anlässlich seines Besuches in Kolumbien mit der Tageszeitung El Tiempo. Erschienen am 15.02.2015.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier spricht anlässlich seines Besuches in Kolumbien mit der Tageszeitung El Tiempo. Erschienen am 15.02.2015.

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Wie beurteilen Sie die Verhandlungsergebnisse von Minsk?

Das war eine sehr lange Nacht in Minsk. Es waren extrem schwierige Verhandlungen. Jeder wusste, was auf dem Spiel steht. Jedem waren die Folgen klar, wenn wir hier ohne Einigung auseinandergegangen wären. Es war letztlich die gemeinsame Überzeugung, dass das nicht passieren durfte, die uns hier die ganze Nacht hart arbeiten und verhandeln lassen hat. Ich begrüße, dass es gelungen ist, sich auf eine gemeinsame Erklärung zu einigen. Ich sage das ohne jeden Überschwang und sicher nicht euphorisch. Denn das war eine schwere Geburt.

Aber immerhin: Wir haben etwas erreicht. Das Wichtigste ist, dass sich Moskau und Kiew auf eine Waffenruhe geeinigt haben. Wir haben die Vereinbarungen von Minsk vom September bekräftigt. Wir haben erstmals klare zeitliche Vorgaben für die Umsetzung von Minsker Verpflichtungen - zu Wahlen, zur Grenzkontrolle, zum Gefangenenaustausch, um nur einige zu nennen.

Manchem wird das nicht reichen. Auch wir hätten uns mehr gewünscht. Aber es ist das, auf das sich heute Nacht die Präsidenten der Ukraine und Russlands einigen konnten.

Wir hoffen, dass beide Seiten hier in Minsk ernsthaft und mit guten Absichten verhandelt haben. Und wir erwarten, dass sie in der besonders heiklen Phase bis zum In-Kraft-Treten des Waffenstillstands alles unterlassen, was die heutigen Vereinbarungen untergraben könnte. Noch immer können Gewaltexplosionen alles zunichte machen.

Die heutige Vereinbarung ist keine umfassende Lösung, und schon gar kein Durchbruch. Aber Minsk II könnte nach Wochen der Gewalt ein Schritt sein, der uns von einer militärischen Eskalationsspirale weg und hin zu politischem Momentum führen könnte. Für diese Chance hat der Einsatz sich gelohnt.

Woher kommt Ihre Motivation für diese Reise? Welchem Zweck dient diese und welche Botschaften und Projekte bringen Sie nach Kolumbien mit?

Mir ist es sehr wichtig, trotz der ernsten Krise in der Ukraine nicht unsere wichtigen Beziehungen mit Lateinamerika zu vernachlässigen. Dabei spielt Kolumbien als ein bedeutendes aufstrebendes Land eine ganz wichtige Rolle. Kolumbien befindet sich in einer entscheidenden Phase seiner Geschichte. Ich wünsche den Menschen in Kolumbien, dass 2015 ein Jahr des Friedens wird. Noch nie bestand eine so große Hoffnung darauf, den seit über 50 Jahren andauernden Konflikt zu beenden.

Deutschland unterstützt den Friedensprozess seit vielen Jahren und wird sein Engagement auch in einer Post-Konflikt-Phase fortsetzen. Dabei bieten wir auch unsere eigenen Erfahrungen bei der Aufarbeitung der Vergangenheit an. Ich will in meinen Gesprächen in Bogotá dazu konkrete Vorschläge unterbreiten.

Die Stärkung des Handels und der wirtschaftlichen Verflechtungen sowie die Intensivierung unserer Zusammenarbeit bei Wissenschaft und Forschung sind die anderen Schwerpunkte meines Besuchs. Dazu begleiten mich viele hochrangige Vertreter namhafter deutscher Unternehmen und Wissenschaftler.

Die deutsche Außenpolitik befindet sich in einer Phase größten Einflusses in der Welt. Die Suche nach Verbündeten und die Vertiefung von Bündnissen ist einer ihrer Bestandteile. Was erwartet Deutschland in diesem Zusammenhang von Kolumbien im Hinblick auf die strategische Zusammenarbeit mit der EU?

Ich sehe Kolumbien und Deutschland auf dem Weg in eine enge, vertrauensvolle und immer wichtigere Partnerschaft bei der Bewältigung globaler Herausforderungen. Kolumbien ist bereit und in der Lage, eine aktive und positive Rolle zu spielen, wenn es um internationale Sicherheit, den Kampf gegen Drogen und Terrorismus oder um Umwelt- und Klimaschutz geht. Die Ankündigung von Staatspräsident Santos , dass Kolumbien mittelfristig mehr außenpolitische Verantwortung auf der internationalen Bühne – insbesondere im Rahmen der Vereinten Nationen – übernehmen will, freut uns genauso wie Bereitschaft, in diesem Bereich auch mit der EU enger zusammenzuarbeiten. Kolumbiens Weg in die OECD unterstützen wir und bei der vollständigen Umsetzung des Freihandelsabkommens mit der EU sind wir auf gutem Weg. Das sind lösbare Etappenziele.

Wie beurteilen Sie den Stand der deutschen Beziehungen zu den Nachbarn Kolumbiens wie Venezuela und Ecuador?

Die Lage in Venezuela sehe ich mit großer Sorge. Die sehr schwierige wirtschaftliche Situation erfordert ein schnelles und mutiges Handeln der Regierung. Ohne tiefgreifende Reformen wird das Land die aktuelle Krise nicht überwinden. Wir hoffen, dass sich die Regierung auch bemühen wird, die Situation politisch nicht eskalieren zu lassen. Die Einschätzung meiner kolumbianischen Gesprächspartner zur Lage in der Region und den Nachbarländern interessiert mich natürlich sehr.

Zu Ecuador sind unsere Beziehungen traditionell freundschaftlich, so haben wir unter anderem beim Umwelt- und Klimaschutz über viele Jahre die gleichen Ziele verfolgt wie mit Kolumbien.

Kolumbien ist wie die übrige internationale Gemeinschaft von dem schwindelerregenden Anwachsen der Zustimmung der Bürger zu der antiislamistischen Bewegung Pegida in Dresden überrascht und beunruhigt. In anderen Städten ist es zu ähnlichen Bewegungen gekommen. Wie beurteilen Sie das Auftreten dieses neuerlichen Trends zu Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass und die Unterstützung, die dieser bei den deutschen Bürgern findet?

In Deutschland werden die Proteste, die sich gegen den Islam oder Flüchtlinge wenden, von der Mehrheit der Bevölkerung mit großer Sorge gesehen. Pegida und ihre Ableger stehen nicht für uns Land. Wir lassen uns weder von Islamhassern noch von Terroristen auseinander dividieren. Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland will ein weltoffenes und tolerantes Land. Insgesamt gehen viel mehr Menschen in Deutschland zu den zahlreichen Gegendemonstrationen, die für ein friedliches Miteinander werben. Und ich bin dankbar für die zahlreichen Menschen in meinem Land, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren. Sie schauen nicht weg, wenn Millionen Menschen in Europas Nachbarschaft Hilfe brauchen. Kaum ein Land in Europa nimmt mehr Flüchtlinge auf als Deutschland.

Am 7. Januar erschütterten die Terroranschläge von Paris die Welt. Sicherheitsexperten vertreten die Ansicht, dass auch Deutschland das Ziel islamistischer Anschläge werden könnte und dass diese insbesondere von deutschen Staatsangehörigen begangen werden könnten, die vom islamischen Extremismus rekrutiert wurden. Welchen Aktionsplan verfolgt die Bundesregierung, um den Eintritt deutscher Bürger in die Reihen der Extremisten zu verhindern und zu stoppen?

Präventions- und Aufklärungsarbeit wird immer wichtiger. Vor allem junge, ungefestigte Persönlichkeiten müssen vor dem Abgleiten in die Radikalität bewahrt werden. Das ist eine sehr weitgespannte Aufgabe, die die ganze Gesellschaft fordert. Unsere Gemeinden, Schulen, Vereine müssen um Menschen kämpfen, die unter den Einfluss der Extremisten zu geraten drohen. Solche Integrationsarbeit ist mühsam. Aber einfache Lösungen gibt es nicht. Um für die Sicherheit unserer Bürger zu sorgen, braucht es natürlich auch effektive Sicherheitsbehörden, die international kooperieren. Und unser Strafrecht verschärfen wir in Übereinstimmung mit Vorgaben der Vereinten Nationen, um dem Phänomen der „foreign fighters“ entgegen zu treten.

Interview: Patricia Salazar Figueroa.

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