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Rede des Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, Christoph Strässer, anlässlich der Verleihung der Otto-Hahn-Friedensmedaille an Prof. Dr. Manfred Nowak am 17. Dezember 2014

19.12.2014 - Rede

--es gilt das gesprochene Wort--

Die Büchse der Pandora ist ein berühmter Gegenstand aus der griechischen Mythologie. Der Überlieferung zufolge enthielt die Büchse allerlei Übel, die der Menschheit zuvor unbekannt waren, darunter Arbeit, Krankheit und Tod. Zeus hatte die Büchse Pandora anvertraut und ihr verboten, diese zu öffnen. Doch Pandora hielt sich nicht an das Verbot und so konnten alle Laster und Untugenden aus der Büchse entweichen und von da an eroberte das Schlechte die Welt. Wenn man derzeit die Nachrichten verfolgt, kann einen das Gefühl beschleichen, dass die Dose noch immer geöffnet ist und die Welt mit immer neuen Plagen überzieht: Finanzkrisen und hybride Kriegsführung, Ebola-Viren und Enthauptungsvideos.

Verleihung der Otto-Hahn-Friedensmedaille
Verleihung der Otto-Hahn-Friedensmedaille an Prof. Dr. Nowak© Otto Hahn/Michael Fahrig

Glücklicherweise gibt es aber viele mutige und engagierte Menschen, die sich unermüdlich dafür einsetzen, dass die Übel eingefangen und wieder in der Büchse der Pandora konserviert werden, oder dass sie zumindest verringert und die von ihnen angerichteten Verheerungen gemildert werden. Einer dieser unverzichtbaren Menschen ist Prof. Manfred Nowak, zu dessen Ehren wir uns heute versammelt haben.

Sehr geehrter Herr Professor Nowak,

das Übel, mit dem Sie sich seit Jahrzehnten beschäftigen, ist Folter. Sie sind weltweit einer der führenden Experten bei der Bekämpfung der Folter und haben wichtige Pionierarbeit auf diesem Feld geleistet. Während Ihrer Zeit als UN-Sonderberichterstatter über Folter haben Sie sich unerschrocken und ausdauernd für Folteropfer eingesetzt und kontinuierliche daran gearbeitet, Regierungen und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Folter unmenschlich und sinnlos ist. Sie haben sich dabei auch mit den Mächtigsten dieser Welt angelegt, nicht zuletzt mit der US-Regierung. Die Aufweichung des Folterverbots unter der Bush-Regierung, Geheimgefängnisse, Rendition Flights und Guantanamo – alle diese Themen haben Sie häufig angesprochen und dabei nicht mit Kritik an der US-Regierung gespart. Sie haben auch eine Inspektionsreise nach China unternommen und durch Ihre hartnäckige, akribische Methode zahlreiche Belege für Folter, grausame und unmenschliche Behandlung in den dortigen Haftanstalten gesammelt. Aber auch in vielen anderen Ländern haben Sie durch Besuchsreisen oder auf anderen Wegen immer wieder Folterfälle dokumentiert und damit der Weltöffentlichkeit schonungslos vor Augen geführt, dass Folter auch heutzutage noch weitverbreitet ist und in vielen Ländern nach wie vor routinemäßig und zum Teil sogar systematisch angewandt wird. Aber auch Missstände in Ihrem Heimatland Österreich haben Sie immer wieder kritisiert, auch auf die Gefahr hin, sich dadurch bei Landsleuten unbeliebt zu machen.

Sie haben immer wieder unbequeme Wahrheiten ausgesprochen und den Finger in die Wunde gelegt. Man könnte sagen, Sie sind ein richtiger Störenfried. Deshalb ist es umso bemerkenswerter, dass Sie heute mit einer Friedensmedaille geehrt werden. Ich bin überzeugt, dass es einige Menschen gibt, die sich darüber wundern und sich fragen: Was haben Menschenrechte eigentlich mit Frieden zu tun? Ist es nicht so, dass das kleinliche Aufarbeiten von Menschenrechtsverletzungen häufig den Frieden gefährdet und neue Gewalt provoziert? Ist Frieden nicht wichtiger als Menschenrechte?

Die klare Antwort auf alle diese Fragen lautet: Ohne Menschenrechte kann es keinen stabilen Frieden geben. Genau das hat übrigens eine Ihrer Vorgängerinnen als Preisträgerin der Otto-Hahn-Friedensmedaill gesagt, die frühere UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Mary Robinson. Wenn der Frieden in die Brüche geht und es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt, sind Menschenrechtsverletzungen häufig nicht nur ein Symptom, sondern dass Menschenrechte verletzt wurden, ist ganz oft die eigentliche Ursache für Krieg, Gewalt und Zerstörung. In diesem Sinne finde ich es sehr erfreulich, dass mit Ihnen, Herr Professor Nowak, heute erneut ein Vorkämpfer für die Menschenrechte mit der Otto-Hahn-Friedensmedaille geehrt wird. Das ist gewissermaßen Ausdruck dessen, dass Frieden und Menschenrechte zwei Seiten derselben Medaille bilden.

Übrigens erhalten Sie die heutige Auszeichnung nicht nur für Ihren Einsatz für den Frieden, sondern auch für Ihr „herausragendes Bemühen für Völkerverständigung“. Von Ihnen ist überliefert, dass Sie bei Ihrer Besuchsreise als UN-Sonderberichterstatter nach China einmal einen ziemlichen Tumult in einem Restaurant ausgelöst haben. Der Hintergrund: Bei einem vertraulichen Gespräch in dem Restaurant wurden Sie von mehreren Geheimdienstmitarbeitern beschattet und sogar mit Richtmikrophonen abgehört. Sie besaßen dann die Coolness, einen dieser Beamten bei seiner Arbeit zu fotografieren, was zu einem wilden Streit führte, in dessen Folge Sie das Lokal verlassen mussten – nicht, ohne weiterhin auf Schritt und Tritt von den Geheimdienstmitarbeitern verfolgt zu werden. Ich weiß nicht, ob die Juroren Anekdoten wie diese im Sinn hatten, als Sie Ihr „herausragendes Bemühen für Völkerverständigung“ gewürdigt haben. Auf jeden Fall kann man sagen, dass Sie sich damals gegenüber den beteiligten chinesischen Geheimdienstmitarbeitern sehr verständlich gemacht haben: Die Agenten werden sich sicherlich gemerkt haben, dass so ein kleines Land wie Österreich solch renitente Menschen hervorbringen kann.

Viel wichtiger als das ist aber ein anderer Aspekt: Beschattet wurden Sie, weil Sie sich mit einem bekannten chinesischen Menschenrechtsanwalt getroffen haben. Durch zahlreiche solcher Treffen mit Aktivisten aus der Zivilgesellschaft, mit Folteropfern und engagierten Bürgern haben Sie Brücke in viele Länder geschlagen. Oft geschah das sehr zum Ärger der jeweiligen Regierungen. Aber wo repressive Regime herrschen, die die Menschenrechte mit Füßen treten, ist wahre Völkerverständigung leider oft nur gegen den Willen dieser Regierungen zu erreichen, die ja häufig genug keine legitimen Repräsentanten der Völker sind, über die sie herrschen.

Sehr geehrter Herr Professor Nowak,

wenn man Ihre Leistungen würdigt, geht das nicht, ohne ein Wort über Ihren akademischen Beitrag zu verlieren. Besonders erwähnenswert ist hier der von Ihnen verfasste Kommentar zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der zu einem Standardwerk avanciert ist. Hinzu kommen zahlreiche weitere Publikationen sowie universitäre Tätigkeiten in Stanford, Columbia, Genf, Lund und Wien, um nur einige Orte zu nennen. Diese bemerkenswerte wissenschaftliche Karriere ist umso beeindruckender, wenn man weiß, dass Sie das Jurastudium zunächst sehr langweilig fanden und eigentlich lieber Filme machen wollten. Vielleicht erklärt dass aber, warum Sie sich nie im Elfenbeinturm der Wissenschaft verschanzt haben, sondern als Aktivist konkret dazu beigetragen haben, die Menschenrechte zu fördern und zu schützen, sei es in der bereits erwähnten Funktion als UN-Sonderberichterstatter über Folter, sei es als Richter an der für Bosnien-Herzegowina zuständigen Kammer des Jugoslawien-Tribunals oder sei als Mitglied der UN-Arbeitsgruppe über das erzwungene Verschwindenlassen von Personen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Wir werden wahrscheinlich nie erfahren, welcher Verlust der Filmwelt dadurch entstanden ist, dass Sie doch den Rechtswissenschaften treu geblieben sind und kein Filmemacher geworden sind. Dafür haben Sie vor allem während Ihrer Zeit als UN-Sonderberichterstatter zahlreiche filmreife Szenen erlebt: Von der Beschattung durch chinesische Sicherheitsbeamte, die Ihnen selbst ins WC folgten, über eine unfreiwillige Übernachtung am Flughafen von Harare, weil Ihnen die Regierung von Simbabwe ohne Vorankündigung die Einreise verweigerte, bis hin zu Einschüchterungsversuchen durch nordkoreanische Diplomaten und Bedrohungen durch Militärs in Äquatorialguinea. Hinzu kommt die Besichtigung schrecklichster Gefängnisse, Folterkeller und Verhörräume. Dabei sind Sie auch immer wieder in brenzlige Situationen geraten, die nicht ganz ungefährlich waren. Ganz zu schweigen, von den Risiken, denen Ihre Garderobe immer wieder ausgesetzt war, wenn Sie mal wieder eine Haftanstalt besichtigten, an deren Wände noch frische Farbe war, weil die Verantwortlichen in aller Eile kurz vor Ihrem Eintreffen einen vermutlich schon seit Jahren überfälligen Anstrich vornehmen ließen. Einige Ihrer Erlebnisse wären sicherlich erstklassiges Material für einen Thriller oder Agentenfilm. Wer weiß, vielleicht findet sich ja irgendwann noch ein Filmemacher, der das alles verfilmt.

Herr Professor Nowak,

Sie haben einige der schlimmsten Orte dieser Welt gesehen: Grauenhafte Kerker und Verliese sowie Massengräber. Sie haben mit vielen Folteropfern und Angehörigen von Verschwundenen gesprochen, die Ihnen ihr Martyrium geschildert haben. Dabei sind Sie den Menschen nicht mit unterkühlter Professionalität oder gar Zynismus begegnet, sondern mit großer Empathie. Sie haben selbst einmal erzählt, dass Sie Ihr erstes Interview mit einem Folteropfer – einem chilenischen Flüchtling – mitten im Gespräch abbrechen mussten, weil Ihnen schlecht wurde. Sie hielten sich dann für völlig ungeeignet für einen solchen Job. Als Sie gefragt wurden, ob Sie sich vorstellen könnten, UN-Sonderberichterstatter über Folter zu werden, haben Sie lange gezögert, weil Sie nicht wussten, „ob ich mir das antun soll“.

Diese Aussage zeigt, dass es Ihnen nicht um einen möglichen Prestigegewinn ging, als Sie dieses Amt übernommen haben, sondern dass Sie dieser Aufgaben mit außerordentlich hohem Verantwortungsgefühl begegnet sind. Ihnen gebührt der Dank der Weltgemeinschaft dafür, dass Sie sich „das angetan haben“. Und ich hoffe, dass die Auszeichnung, die Sie heute erhalten, auch eine kleine Entschädigung ist für all die schlaflosen Nächte, Einschüchterungsversuche, Konfrontationen und sonstigen Unannehmlichkeiten, die Ihnen Ihr Einsatz für Opfer von Folter und Verschwindenlassen bereitet hat.

Aber nicht nur die einzelnen Opfer haben Sie im Blick, sondern Sie haben auch das große Ganze im Blick, haben Regierungen beraten und Vorschläge gemacht, wie Sie Folter besser bekämpfen und verhindern können. Es wäre wünschenswert, dass künftig noch mehr Regierungen als bisher zurückgreifen auf Ihre Dienste, die Sie ja weiterhin im Rahmen Ihrer Tätigkeit am Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte anbieten. Zudem haben Sie es auch gewagt, Visionen zu entwickeln. So haben Sie kürzlich gesagt: „Ich bin überzeugt, dass die Zeit für einen Weltgerichtshof für Menschenrechte gekommen ist.“ Aus heutiger Sicht mag das wie eine sehr kühne Vision erscheinen, aber wenn man den Blick zurückwirft und sich vor Augen hält, was seit dem Ende des Weltkrieges für den Schutz der Menschenrechte alles erreicht wurde – oft nur in kleinen Schritten – dann wird klar, dass diese Vision vielleicht doch eines Tages Wirklichkeit werden könnte.

Die eingangs erwähnte Büchse der Pandora enthielt der Überlieferung zufolge neben allerlei Übeln auch noch eine weitere Sache: Hoffnung. Es ist dem unermüdlichen und klugen Wirken von Menschen wie Ihnen zu verdanken, Herr Professor Nowak, dass wir auch heute weiterhin hoffen dürfen. Hoffen auf eine Welt ohne Folter und andere Menschenrechtsverletzungen. Dafür danke ich Ihnen und spreche Ihnen meine Anerkennung aus. Und dafür werden Sie heute verdientermaßen mit der Otto-Hahn-Friedensmedaille ausgezeichnet.

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