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„Es gibt keine Friedensgarantie“

12.09.2014 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zu den Krisen in der Ukraine und im Nahen und Mittleren Osten sowie zur Haltung der Europäischen Union gegenüber Russland. Erschienen in der Passauer Neuen Presse vom 12.09.2014.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zu den Krisen in der Ukraine und im Nahen und Mittleren Osten sowie zur Haltung der Europäischen Union gegenüber Russland. Erschienen in der Passauer Neuen Presse vom 12.09.2014.

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Frage: Krisen und Kriege - Ukraine, Irak, Syrien, Nahost - fühlt man sich da nicht manchmal ohnmächtig? Gerät die Welt immer mehr aus den Fugen?

Von Ohnmacht kann keine Rede sein. Aber Sie haben schon Recht: Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Eine solche Vielzahl von ernsthaften Krisen, und dies gleichzeitig, daran kann ich mich nicht erinnern. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir uns nicht zu hastigen Entscheidungen treiben lassen, sondern Geduld üben und einen kühlen Kopf behalten. Es gab in den letzten Tagen doch auch gute Nachrichten. Dass der Waffenstillstand zwischen Israel und Palästinensern seit zweieinhalb Wochen hält, ist vor allem für die Menschen unglaublich wichtig. Auch in der Ukraine-Krise haben wir seit nunmehr einer Woche – mit einigen wenigen Ausnahmen – eine Waffenruhe. Meine Erfahrung sagt mir, es gibt kein Rezept und keine Garantie für einen dauerhaften Waffenstillstand. Allen sollte aber klar sein, dass politische Lösungen nicht im Maschinengewehrfeuer entstehen.

Gerade die osteuropäischen Staaten drängen auf ein entschlosseneres Vorgehen gegen Russland. Wie reagieren Sie auf diese Forderungen?

Für die Ängste und das Gefühl der Bedrohung, die unsere osteuropäischen Nachbarn in diesen Tagen äußern, habe ich großes Verständnis. Wir waren die ersten, die auf die Sorgen der Balten reagiert haben. Ich bin seit Ausbruch des Ukraine-Konflikts mehrfach ins Baltikum gefahren, um zu zeigen, dass an unserer Solidarität nicht zu rütteln ist. In Budapest haben wir mit den Visegrad-Staaten , also den Tschechen, Slowaken, Polen und Ungarn gesprochen und auch hier klar gemacht, dass wir nicht schweigen, wenn ein Land im 21. Jahrhundert mitten in Europa willkürlich Grenzen korrigiert. Deshalb sollten wir weiterhin beides tun: politischen und wirtschaftlichen Druck auf Moskau ausüben, wenn nötig erhöhen und gleichzeitig Verhandlungswege offen halten.

Die aktuellen Nachrichten machen Hoffnung. Ein Schritt in Richtung Frieden oder nur eine weitere Etappe im Katz-und-Maus-Spiel von Russlands Präsident Wladimir Putin?

Wir haben in den letzten Monaten zu oft erlebt, dass Moskau viel versprochen, sein Handeln am Ende aber nicht zu einer Entspannung der Lage in der Ost-Ukraine beigetragen hat. Die Waffenruhe ist deshalb auch nur der Anfang vom Ende des Konflikts. Das wichtigste, was wir alle miteinander erreicht haben, ist, dass der ukrainische Präsident Poroschenko und Russlands Präsident Putin inzwischen regelmäßig miteinander reden. Offenbar sind beide gewillt, gemeinsam an dem vereinbarten Zwölf-Punkte-Plan zu arbeiten. Wenn es stimmt, dass ein Großteil der Angehörigen der russischen Streitkräfte die Ostukraine wieder verlassen hat, wäre das ein wichtiger Schritt.

Der ukrainische Präsident ruft zum Partisanenkrieg auf, und auch die Pläne zum Bau einer Mauer an der Grenze zu Russland sind noch nicht vom Tisch. Ist das nicht Öl auf das Feuer?

Wir sollten weniger auf Presseverlautbarungen schauen und mehr auf das, was tatsächlich geschieht. Es gibt auf beiden Seiten einige, die ausschließlich auf die harte Linie setzen und den Dialog komplett abbrechen wollen. Dass der ukrainische Präsident sich davon nicht beirren lässt, sondern an seinem Kurs der Entschärfung der Krise durch Dialog mit Russland festhält, ist mutig und genau richtig.

Warum tut sich die Europäische Union weiterhin so schwer mit der Verhängung von Sanktionen gegen Russland?

Es gibt in Europa eine klare Haltung. Allen war immer klar, dass Sanktionen niemals nur eine Seite treffen, sondern immer auch Rückwirkungen haben. Wirtschaftliche Einbußen haben uns nicht davon abgehalten, den Druck auf Russland weiter zu erhöhen. Wir haben jetzt auch eine neue Stufe der Sanktionen beschlossen. Nur wenn Russland signifikant und nachprüfbar den Friedensplan umsetzt, könnten die Sanktionen zurückgenommen werden. Es liegt in den Händen von Kiew, vor allem aber von Moskau, dass die Minsker Vereinbarung respektiert und ein Frieden möglich wird.

Haben Europa und die NATO zu wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten des Kreml genommen und den Einfluss zu sehr Richtung Osten ausgeweitet?

Unsinn. Bei aller notwendigen Selbstkritik dürfen wir nun auch keine Geschichtsfälschung betreiben. Die Ukraine ist ein souveräner Staat, dem man nicht die freie Entscheidung über seine Zukunft verwehren darf.

Aber viele Ukrainer fühlen sich von Europa und vom Westen im Stich gelassen.

Wir haben seit Beginn der Krise unermüdlich immer wieder neue konkrete Initiativen angestoßen, um Schritte hin zu einer politischen Lösung des Konflikts möglich zu machen. Dass die Menschen in der Ukraine uns das hoch anrechnen, weiß ich nicht nur aus meinen politischen Gesprächen, sondern auch von meinen vielen Besuchen vor Ort - in Kiew, Donezk und Odessa. Auch jetzt sind wir bereit, zur Umsetzung der Minsker Vereinbarung beizutragen, wo wir können.

Lässt sich die Annexion der Krim überhaupt noch rückgängig machen?

Die Annexion der Krim durch Russland ist und bleibt völkerrechtswidrig. Hier gibt es keinen politischen Handel und keine Anerkennung.

Die USA wollen ihren Kampf gegen den „Islamischen Staat“ auf Syrien ausweiten und ein breites Bündnis gegen den Terror schmieden. Eine neue Koalition der Willigen, in der auch Deutschland mitkämpfen wird?

Bezeichnungen wie die Koalition der Willigen rufen falsche Wahrnehmungen hervor. Wir sollten deshalb weg von der Debatte über Schlagwörter. Wichtiger ist die Frage, wie wir ISIS den Boden entziehen können. Alle, die meinen, den Kampf vornehmlich militärisch führen zu können, geben sich einer Illusion hin. Dennoch: Ohne die Luftunterstützung der Amerikaner wäre der Vormarsch der ISIS im Nordirak kaum noch zu stoppen gewesen. Auch unsere Entscheidung, die kurdischen Sicherheitskräfte auszurüsten, war schwierig, aber richtig. Das Ganze muss aber in eine politische Strategie eingebettet werden.

Wie sollte diese Strategie konkret aussehen?

Wir müssen vor allem vier Punkte erreichen: Wir brauchen eine neue irakische Innenpolitik. Mir scheint, dass der neue Ministerpräsident Al-Abadi sich ernsthaft um die Integration aller religiösen Gruppen und Regionen bemüht. Denn eins ist klar: Die Unterstützung der ISIS durch die sunnitischen Clans muss ein Ende haben. Zweitens: Auch die regionalen Akteure müssen sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Einfluss radikal-islamistischer und terroristischer Gruppierungen verständigen. Hier gab es in den letzten Tagen positive Signale. Dazu gehört drittens, dass dem Terrorregime ISIS der ideologische Nährboden entzogen wird. Die große Mehrheit der muslimischen Autoritäten hat sich gegen ISIS positioniert. Auch Muslime sollten gegen den Missbrauch ihrer Religion durch ISIS noch lauter die Stimme heben. Viertens geht es darum, die finanzielle Unterstützung der ISIS abzuschneiden und den Zufluss von Kämpfern zu stoppen. Wir stehen erst am Anfang unseres Kampfes gegen die ISIS. Am Montag findet ein erster Austausch auf Einladung des französischen Präsidenten in Paris statt. Ich habe am Rande der UN-Generalversammlung zu einem G7-Treffen in New York eingeladen. Vor allem wird es darum gehen, mit den Staaten der Region konkrete nächste Schritte im Kampf gegen ISIS zu vereinbaren.

Jetzt wird Kritik laut, dass die Hilfe für die Flüchtlinge in der Region nicht ausreichend ankommt.

Wir haben nicht das Problem, dass nicht genug humanitäre Hilfe zur Verfügung steht. Ich habe mich vor Ort selbst davon überzeugen können, dass die Hilfe in Flüchtlingslagern ankommt. Die größte Herausforderung besteht jetzt darin, zu helfen, dass die Flüchtlinge gut über den Winter kommen.

Interview: Andreas Herholz. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Passauer Neuen Presse.

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