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„Nicht einfach so tun, als sei nichts geschehen“

13.04.2015 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zum bevorstehenden Gipfeltreffen der G7-Außenminister in Lübeck. Erschienen in der Welt (13.04.2015).

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zum bevorstehenden Gipfeltreffen der G7-Außenminister in Lübeck. Erschienen in der Welt (13.04.2015).

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Herr Steinmeier, wirft der Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Tröglitz einen Schatten auf Deutschland als Gastgeber der G7?

Die Ereignisse von Tröglitz sind eine Schande. Wir sollten nicht überrascht sein, dass auch bei unseren Partnern in der Welt mit großer Sorge registriert wird, wenn in Deutschland Flüchtlingsunterkünfte brennen, und dass genau verfolgt wird, wie die deutsche Gesellschaft darauf reagiert. Ich bin froh, dass ich sagen kann, dass eine breite Mehrheit in unserem Land Fremdenfeindlichkeit klar ablehnt. Mehr noch: dass in vielen Initiativen vor Ort mitangepackt wird, um Flüchtlingen zu helfen, mit ihrer Situation zurechtzukommen. Wir werden Deutschland auch im Jahr unserer G7-Präsidentschaft als tolerantes, weltoffenes und seiner Verantwortung bewusstes Land präsentieren. Und wo könnte man das besser tun als in der alten Hansestadt Lübeck, die mit Thomas Mann, Willy Brandt und Günter Grass gleich drei Nobelpreisträger zu ihren Einwohnern zählen darf.

Wird Deutschland seiner Verantwortung für Flüchtlinge wirklich gerecht?

Seit dem zweiten Weltkrieg waren weltweit nicht mehr so viele Menschen auf der Flucht wie heute, mehr als 50 Millionen Menschen. Die Auswirkungen spüren wir auch in Europa – auch wenn die Zahlen derjenigen, die bei uns Schutz suchen, verblassen gegenüber den riesigen Flüchtlingsströmen, die die Nachbarstaaten Syriens wie der Libanon, Jordanien und die Türkei zu bewältigen haben. Wir dürfen in Europa, auch in Deutschland, nicht wegschauen. Auch wenn wir das Flüchtlingselend nicht lösen können – wir müssen helfen, die Folgen zu lindern.

Und zwar wie?

Wir tun ja bereits eine ganze Menge. Kein anderes Land in Europa hat so viele syrische Flüchtlinge aufgenommen wie wir, inzwischen haben mehr als 100.000 Menschen aus Syrien Zuflucht bei uns gefunden. Wir haben seit 2011 mehr als eine Milliarde Euro für die Flüchtlinge aus Syrien und die Stabilisierung der Nachbarländer, die die größte Last tragen, gegeben. Aber es muss noch mehr passieren, um zu verhindern, dass immer wieder Menschen auf dem lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer sterben. Es geht auch nicht nur darum, den Millionen Flüchtlingen Nahrung und Wasser, den Kindern und Jugendlichen ein Mindestmaß an Schulbildung zu geben. Vor allem müssen wir an Rückkehrperspektiven arbeiten. Deshalb arbeiten wir mit anderen an Perspektiven zur Überwindung des Bürgerkriegs in Syrien, der jetzt ins fünfte Jahr geht.

Bundespräsident Gauck wünscht sich eine stärkere Rolle Deutschlands in der Welt - auch militärisch. Trägt die G7-Präsidentschaft dazu bei?

Ich glaube, wir haben im vergangenen Jahr bewiesen, dass Außenpolitik mehr kann als nur zwei schlechte Extreme – nach dem Motto: entweder folgenloses diplomatisches Gequatsche oder aber Auslandseinsätze der Bundeswehr. Der Instrumentenkasten der Außenpolitik ist viel umfassender.

Welche Instrumente bevorzugen Sie?

Wir nutzen sie in ihrer ganzen Bandbreite: in der Ukraine-Krise, im Kampf gegen Ebola, in den bedrohlichen Krisen im Nahen und Mittleren Osten und in den Atomverhandlungen mit dem Iran. Mit der Unterstützung kurdischer Sicherheitskräfte gegen ISIS mit Waffen und militärischer Ausstattung haben wir auch militärische Mittel nicht ausgeschlossen. Aber die Wahl der Mittel muss für die Lösung der jeweiligen Probleme auch tauglich sein. In Lausanne etwa haben sich Standhaftigkeit und Hartnäckigkeit in der Diplomatie ausgezahlt. Wir sind uns unserer Verantwortung für den Erhalt der internationalen Ordnung und ihrer Regeln vollauf bewusst - und wir versuchen, uns mit unseren Erfahrungen, unseren Ideen und unserem Einfluss in die Bemühungen um Konfliktlösungen einzubringen.

Wo sehen Sie die Grenzen des deutschen Engagements in der Ukraine-Krise?

Deutschland hat in der Ukraine-Krise von Beginn an Verantwortung übernommen, mit klarem Kompass und fester Haltung. Wir haben - mancher Rückschläge zum Trotz – an Bemühungen festgehalten, jenseits von Verurteilung und Sanktionsbeschlüssen, an einer Perspektive zur Entschärfung des Konflikts zu arbeiten. Auch wenn es daran anfangs Kritik gegeben hat – eine wirklich realistische Alternative gab es doch nicht. Es konnte in diesem Konflikt keine militärische Lösung geben, erst recht nicht zugunsten der Ukraine. Mit den Minsker Vereinbarungen haben wir jetzt einen handfesten und von allen Konfliktparteien getragenen Fahrplan zur politischen Entschärfung des Konflikts. Tatsächlich ist das Gewaltniveau in den Wochen seit Minsk signifikant gesunken.

Halten Sie Minsk für tragfähig?

Der in Minsk vereinbarte Waffenstillstand hält weitgehend, der Abzug schwerer Waffen ist weit fortgeschritten. Aber es kommt immer noch zu Verletzungen des Waffenstillstandes. Deshalb können wir noch keine Entwarnung geben. Die Zwischenfälle, zu denen es vor allem um den Flughafen von Donezk und in Shyrokine in der Nähe von Mariupol immer wieder kommt, zeigen, dass die Gefahr einer erneuten Eskalation nicht gänzlich gebannt ist. Auch an diesen Orten muss endlich Ruhe einkehren. Aber gerade deshalb heißt es jetzt: Dran bleiben, damit der Waffenstillstand gefestigt wird und der Einstieg in die nächste Etappe der Umsetzung von Minsk gelingt.

Was erwarten Sie dabei von Russland?

Ich habe meine Kollegen aus Frankreich, Russland und der Ukraine für Montag in die Villa Borsig in Berlin eingeladen, um mit ihnen darüber zu sprechen, wo und wie wir die Minsker Vereinbarungen weiter voranbringen können. Von Moskau erwarten wir dabei ebenso wie von Kiew, dass jetzt die zentralen Fragen der nächsten Umsetzungsphase von Minsk angepackt werden, um den Einstieg in den politischen Prozess zu schaffen. Da geht es zum Beispiel um die Vorbereitung von Lokalwahlen in den von Separatisten besetzten Gebieten, aber auch um den humanitären Zugang und den Wiederaufbau in der Ostukraine. Bei letzten Treffen des in Minsk vereinbarten Überwachungs-Mechanismus in Paris haben wir uns darauf verständigt, dass in der trilateralen Kontaktgruppe unter Vermittlung der OSZE Arbeitsgruppen für genau diese schwierigen Fragen eingerichtet werden. Damit ist man bisher ein gutes Stück vorangekommen, aber das reicht noch nicht. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir uns am Montag in Berlin die Zeit nehmen, um uns in dieser entscheidenden Phase über die nächsten Schritte auszutauschen.

Gibt sich Deutschland damit zufrieden, dass die Krim von Moskau kontrolliert wird?

Das Gegenteil ist richtig. Unsere Haltung in dieser Frage ist glasklar: Die Annexion der Krim war und ist völkerrechtswidrig.

Kann der russische Präsident Putin trotzdem auf eine Lockerung der Sanktionen hoffen?

Die Zukunft der Sanktionen ist an die Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk geknüpft. Das gilt! Und damit liegt der Ball auch im Spielfeld Moskaus. Wir setzen uns mit aller Kraft dafür ein, dass wir vorankommen bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Das bleibt mühsam, und der Zustand ist nach wie vor fragil. Aber es lohnt sich weiterzuarbeiten. Dazu brauchen wir die Bereitschaft Kiews und erst recht die von Moskau. Morgen steht die nächste Phase des Umsetzungsprogramms bei meinem Treffen mit den Kollegen aus Kiew, Paris und Moskau in Berlin auf der Tagesordnung. Die G7-Außenminister werden an den beiden Folgetagen in Lübeck großes Interesse haben, unsere Einschätzungen zum gegenwärtigen Stand des Ukraine-Konflikts zu hören und zu diskutieren.

Die Linkspartei hätte Putin gern dabei, wenn sich die Staats- und Regierungschefs der G 7 im Juni auf Schloss Elmau in Oberbayern treffen …

Es liegt nicht in unserem Interesse, Russland dauerhaft zu isolieren. Aber nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim konnten wir nicht einfach so tun, als sei nichts geschehen und ‚business as usual‘ betreiben. Der Weg zurück zur G 8 führt über die Achtung der Einheit der Ukraine und die Umsetzung der russischen Verpflichtungen aus der Minsker Vereinbarung. Die aktuellen Verhandlungen zum Atomkonflikt mit dem Iran und die dramatischen, ungelösten Konflikte in Syrien, Jemen und Libyen zeigen allerdings, dass wir ein eigenes Interesse haben sollten, Russland in die Suche nach Lösungen stärker einzubinden.

Sehen Sie die Gefahr, dass Griechenland in diesem Konflikt von der Linie der EU abweicht?

Die ganze Debatte über Tsipras‘ Moskau-Besuch ist mir viel zu nervös und aufgeregt. Dass der griechische Ministerpräsident Moskau besucht, ist zunächst mal sein gutes Recht. Dass Russland den Griechen großzügig aus der Patsche hilft, war in Erinnerung an die zypriotischen Erfahrungen nicht wahrscheinlich und ist doch angesichts der wirtschaftlichen Situation Russlands heute nicht realistischer geworden. Die mageren Ergebnisse des Moskau-Besuchs werden in Griechenland hoffentlich die Wahrnehmung gestärkt haben, dass das Land weiterhin dringend auf Europa angewiesen sein wird. Und dass das auch bedeutet, in schwierigen Fragen Verständigung mit den europäischen Nachbarn zu suchen. Im Ukraine-Konflikt haben wir es manchmal mit Mühe, aber immer geschafft, Geschlossenheit zu wahren. Wir werden mit aller Kraft daran arbeiten, dass das so bleibt.

Interview: Jochen Gaugele. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Welt.

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