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Waffen schaffen keine Sicherheit

16.08.2017 - Interview

Beitrag von Außenminister Sigmar Gabriel, erschienen in der Rheinischen Post (16.08.2017).

Beitrag von Außenminister Sigmar Gabriel, erschienen in der Rheinischen Post (16.08.2017).

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Ich war 32, als der Kalte Krieg zu Ende ging. Damals dachten alle: Jetzt ist die Zeit des Wettrüstens vorbei, jetzt kommt der große Frieden. Ich war gerade Abgeordneter im niedersächsischen Landtag geworden. Heute merken wir: Nicht nur der Kalte Krieg mit Russland ist zurück, sondern es gibt überall auf der Welt echte „heiße Kriege“. Bürgerkrieg, Terror und Konfrontationen zwischen Staaten gehören leider wieder zum Alltag. Und anders als zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation sind diese Konflikte und Kriege weit unübersichtlicher und schwerer zu beherrschen.

Die Frage ist: Wie reagieren wir darauf? Die Antwort des US-Präsidenten Donald Trump lautet: aufrüsten. Mehr noch: Er erhöht seine Militärausgaben und senkt zugleich Entwicklungshilfe und Sozialausgaben. Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre CDU/CSU dabei sind, diesem verhängnisvollen Weg zu folgen, hätte ich das für unmöglich gehalten und als völlig überzogene Kritik bezeichnet.

Die Realität ist aber leider, dass genau das der Fall ist. Merkel, die CDU/CSU und nun auch noch die FDP wollen dem Diktat Trumps folgen, und die Rüstungsausgaben Deutschlands verdoppeln. Mehr als 70 Milliarden Euro sollen wir pro Jahr (!) nach Trumps und Merkels Willen für Rüstung ausgeben. Und weil das viel Geld ist - Frankreich als Nuklearmacht gibt zum Beispiel „nur“ 40 Milliarden Euro pro Jahr aus -, erklärt der CDU-Finanzexperte und politische Ziehsohn von Wolfgang Schäuble, Jens Spahn, dass man das Geld beim Sozialetat einsparen solle.

Das lehnt Merkel zwar ab, aber wer soll ihr das glauben? Die CDU-Kanzlerin hat auch mal kurz vor der Wahl die Abschaffung der Wehrpflicht, die Abschaltung von Atomkraftwerken oder die Maut scharf abgelehnt - und kurz nach der Wahl das exakte Gegenteil getan.

Diese Unterwerfung unter die Trumpsche Aufrüstungspolitik ist falsch und unnötig. Abgesehen davon, dass die Nato einen solchen apodiktischen Beschluss nie gefasst hat, spricht auch die Vernunft gegen diesen Irrweg: Europa gibt ungefähr die Hälfte der Verteidigungsausgaben der USA aus - aber nur mit 15 Prozent der Effizienz. Wenn wir besser zusammenarbeiten würden, die Milliardenverschwendungen ein Ende hätten, könnten alle in Europa Geld sparen, statt die Rüstungsausgaben dramatisch zu erhöhen.

Deutschland wäre gut beraten, die Effizienz statt der Ausgaben zu verdoppeln. Denn dass auch die Bundeswehr mehr Unterstützung braucht, ist auch für mich völlig klar. Seit zwölf Jahren doktern Verteidigungsminister der Union an der Bundeswehr herum.

Der ehemalige Verteidigungsminister zu Guttenberg wollte sogar fünf Milliarden Euro pro Jahr an ihr sparen - seine Bundeswehrreform war ungefähr so sorgfältig geplant wie seine Doktorarbeit. Deshalb müssen wir unseren Soldatinnen und Soldaten bessere Ausstattung und bessere Bezahlung geben. Das aber ist etwas anderes, als die Rüstungsausgaben gleich verdoppeln zu wollen.

Noch wichtiger ist, dass jeder deutsche Soldat, der im Auslandseinsatz war, uns sagt, dass nur mit Waffen und Militär keine Sicherheit und keine Stabilität erreicht werden. Nur nachhaltige Entwicklung, der Kampf gegen Hunger, Elend und korrupte Regierungen und bessere Chancen für die Menschen schaffen nachhaltigen Frieden.

Das ist Europas große Aufgabe: in den Frieden zu investieren statt in den Krieg. Und Deutschland muss Friedensmacht bleiben und nicht zur Rüstungsmaschine werden. Darum geht es auch bei der Bundestagswahl. Es geht darum, sich der Unterwerfung unter die Militarisierung der Außenpolitik durch Donald Trump entgegenzustellen. Und sich ihr nicht zu unterwerfen, wie es zu meinem Entsetzen nun auch CDU/CSU und FDP vorhaben.

Auch in Europa sind Frieden und Sicherheit aufs Neue in Gefahr. Militärische Konflikte sind im 21. Jahrhundert näher an uns herangerückt. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland und die Situation in der Ost-Ukraine sind ein großer Vertrauensbruch. Es ist richtig, dass die Nato darauf reagiert hat. Deutschland steht in der vordersten Reihe derer, die für die Sicherheit des Bündnisses Sorge tragen.

Ein Bataillon der Bundeswehr tut Dienst in Litauen an der Ostgrenze der Nato. Aber wenn wir uns allein in der Logik der Abschreckung bewegen, leisten wir der Eskalation Vorschub. Wir sollten nicht tatenlos zuschauen, wenn die europäische Sicherheitsarchitektur langsam zu einem Trümmerfeld ausrangierter, gekündigter und überholter Verträge zu werden droht. Wir brauchen eine gemeinsame Anstrengung in der Rüstungskontrolle. Davon profitieren alle Europäer, auch die Russen.

Das bedeutet einerseits einen umfassenden Neustart der konventionellen Rüstungskontrolle, also der „traditionellen Kriegswaffen“ in Europa. Dabei müssen wir auch Russland in die Verantwortung nehmen. Zum anderen müssen wir unsere Regeln und unsere Ordnung im Bereich der nuklearen Rüstungskontrolle stärken.

Wie dringend das ist, sehen wir gerade in Nordkorea. Pjöngjangs Ritt auf der Bombe erschüttert die ganze Region und hat Auswirkungen bis nach Europa. Eine Lösung für diesen Konflikt wird es nur auf dem Verhandlungsweg geben. Wer der Vision einer Welt ohne Nuklearwaffen aber wirklich näherkommen will, braucht funktionierende Verträge und Vereinbarungen mit verlässlichen Überwachungsmechanismen. Die Nuklearwaffenstaaten müssen ihre Arsenale reduzieren, alle Atomtests dauerhaft unterlassen und auf die Produktion waffenfähigen Materials verzichten.

Dabei wird es auf Russland und die USA ankommen, die zusammen rund 90 Prozent der weltweiten Nuklearwaffen besitzen. Ich weiß noch, wie am 11. Oktober 1986 die Welt nach Reykjavik blickte. Das war noch vor meiner Zeit im niedersächsischen Landtag.

Damals saß ich noch im Kreistag Goslar und machte Kommunalpolitik. Und im Weißen Haus in Reykjavik trafen sich Ronald Reagan und Michail Gorbatschow und machten Weltpolitik. Die beiden haben einen Vertrag ausgearbeitet, von dem wir heute noch profitieren: den INF-Vertrag, der landgestützte Mittelstreckenraketen ausschließt und damit zu einem Grundpfeiler europäischer Sicherheit geworden ist.

Genau dieser Vertrag ist derzeit in Gefahr. Russland muss die Vorwürfe ausräumen, es verletze diesen Vertrag wissentlich - besonders vor dem Hintergrund, dass Moskau sein nichtstrategisches Nukleararsenal in Europa ausbaut. Die Amerikaner sollten den Dialog zur strategischen Stabilität wieder aufnehmen und alles dafür tun, um die bestehende Rüstungskontrollarchitektur zu retten. Wir werden uns außerdem weiter dafür einsetzen, dass Moskau und Washington den New-Start-Vertrag verlängern, der 2021 ausläuft und der die strategischen Waffen und Trägersysteme reduziert hat.

Unser langfristiges Ziel muss auch sein, dass die verbliebenen taktischen Atomwaffen abgezogen werden, die immer noch in Europa lagern. Das geht aber nur, wenn wir endlich deutliche Fortschritte bei der Abrüstung insgesamt machen.

Die Situation ist heute eine andere als 1986. Die russischen Aggressionen haben viel von dem aufs Spiel gesetzt, das wir schon mal erreicht geglaubt hatten. Trotzdem: Auch heute brauchen wir Dialog, eine klare Haltung, aber auch klare Angebote. Wir müssen uns aus der teuflischen Logik befreien, nach der Rüstung Sicherheit schafft. Das ist die Denke von Leuten wie Präsident Trump, die er auch seinen Nato-Partnern aufzwängen will. Leider fürchte ich, dass Frau Merkel genau das nach der Wahl vorhat. Milliarden für Waffen zu verpulvern, um Donald Trump zu gefallen. Dieser Kniefall ist mit der SPD nicht zu machen.

Es kann nicht sein, dass wir unsere Energie, Ideen und unser Geld vor allem in die Entwicklung neuer Waffensysteme stecken. Mindestens denselben Aufwand sollten wir für funktionierende Abrüstung betreiben. Deutschland muss Vorreiter der Abrüstung sein und kein Mitläufer der Aufrüstung.

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