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„Bedarf an humanitärer Hilfe größer denn je“

23.05.2016 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier reist am Montag (23.05.16) zum Nothilfegipfel nach Istanbul. Im Interview spricht er auch über das EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Erschienen in der Rheinischen Post am 23.05.2016.

Herr Minister, die UN will 500 Millionen Euro zusätzlich zur Eindämmung humanitärer Krisen bereitstellen. Wo fehlt das Geld am meisten?

Angesichts der Vielzahl der Krisen und Konflikte und der größten globalen Flüchtlingskrise seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist der Bedarf an humanitärer Hilfe heute größer denn je. Es liegt in unser aller Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass internationale Hilfsorganisationen eine verlässliche Grundlage für ihre Arbeit haben und nicht ständig darum bangen müssen, wie sie über den nächsten Monat kommen, um das Wichtigste zu tun: Menschenleben zu retten.

Was tut Deutschland?

Deutschland geht hier mit gutem Beispiel voran. Wir haben in den vergangenen Jahren unsere humanitäre Hilfe drastisch erhöht, sind beim Londoner Gipfel mit Zusagen von 2,3 Milliarden Euro der größte Geber gewesen und werden unser Engagement für die Menschen fortsetzen. Gerade bei den ganz drängenden Krisen, in denen der Nothilfefonds der Vereinten Nationen zum Einsatz kommt, haben wir unseren Beitrag inzwischen mehr als verdoppelt und gehören auch hier zu den größten Unterstützern. Der Gipfel von Istanbul hat sich zum Ziel gesetzt, das Gesamtbudget auf eine Milliarde US-Dollar zu erhöhen. Hier ist die internationale Gemeinschaft als Ganzes aufgefordert, Solidarität zu zeigen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir unseren Beitrag in Istanbul um zehn Millionen Euro auf dann insgesamt 50 Millionen Euro aufstocken.

Müssen die arabischen Länder und China stärker von der UN in die Pflicht genommen werden?

Es geht nicht darum, mit dem Zeigefinger auf einzelne Staaten zu zeigen. Humanitäre Hilfe zu leisten, ist eine globale Verantwortung, der sich alle Staaten stellen müssen. Von diesem Gipfel, den wir maßgeblich mitgestaltet haben, soll ein Signal ausgehen, dass sich alle stärker engagieren.

Was muss die UN tun, um die Not der Menschen in Syrien zu lindern?

Die Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen nutzen alle Zugangsmöglichkeiten, um humanitäre Hilfsgüter zu den Menschen nach Syrien zu bringen. Das läuft über Transport aus der Türkei und Jordanien wie auch aus Damaskus in nicht vom Assad-Regime kontrollierte Gebiete. Ein Ergebnis unser Wiener und Münchner Beratungen war, dass 800.000 Menschen, die vorher von humanitärer Hilfe abgeschnitten waren, versorgt werden konnten. Das hat Tausende Menschenleben gerettet. Aber es gibt immer noch zu viele Menschen in Syrien, die von jeglicher Hilfe abgeschnitten sind. Bei unserem letzten Treffen in Wien im Rahmen der Syrien-Kontaktgruppe haben wir den Vereinten Nationen deshalb das Mandat erteilt, nach Wegen für die Versorgung aus der Luft zu suchen, damit auch jene Menschen versorgt werden können, die bisher von humanitärer Hilfe abgeschnitten sind. Es liegt vor allem in der Verantwortung des Regimes, den Zugang humanitärer Hilfe zu den abgeschnittenen Gebieten zu ermöglichen.

Fürchten Sie, dass das EU-Türkei-Abkommen wegen der politischen Entwicklung in der Türkei scheitert?

Erst glaubte kaum jemand daran, dass die Vereinbarung kommt. Dann hielten die selbst ernannten Experten die Vereinbarung für nicht umsetzbar. Jetzt heißt es, sie werde sowieso scheitern. Fakt ist doch: Es gibt ein Abkommen mit beiderseitigen Verpflichtungen, und bisher halten sich alle Seiten daran. Aber richtig ist: die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, Eingriffe in Rechtstaatlichkeit, der eskalierende Kurdenkonflikt und jetzt auch die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten - all dies sind Entwicklungen, die uns Sorgen machen und die wir, ganz unabhängig vom Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit nicht ignorieren können, sondern über die wir mit Ankara sprechen müssen. Es kann doch keiner mit voller Gewissheit sagen, dass das Abkommen hält.

Braucht Europa in der Flüchtlingskrise doch einen Plan B?

Schön, wenn das so einfach wäre. Es gibt eben nicht den einen magischen Schalter, den man nur umlegen muss, sondern ein ganzes Bündel von Maßnahmen für Europa - und daran arbeiten wir seit Beginn der Flüchtlingskrise. Dazu gehört die Türkei-Vereinbarung, parallel treiben wir aber den europäischen Grenz- und Küstenschutz voran. Wir verhandeln weiter über eine Reform des europäischen Asylsystems. Und wir unterstützen Griechenland. Gleichzeitig ist klar, dass wir Migration nur in Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern regeln können - mit meinem französischen Kollegen Jean-Marc Ayrault habe ich deshalb vor Kurzem in Niger und Mali Gespräche geführt. Wir arbeiten Tag und Nacht an einer politischen Lösung für Syrien und unterstützen die Einheitsregierung in Libyen dabei, dass Stabilisierung und Wiederaufbau schneller in Gang kommen, damit sich die Lage der Menschen spürbar verbessert.

Interview: Eva Quadbeck.

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