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Rede von Außenminister Sigmar Gabriel bei der Eröffnung des Deutschen Pavillons der Biennale Venedig

10.05.2017 - Rede

Liebe Frau Pfeffer,
liebe Frau Imhof,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Bundestags,
liebe Frau Kollegin Grütters,
lieber Frau Seiler-Albring,
lieber Herr Grätz,
sehr geehrte Damen und Herren

ich freue mich sehr, gemeinsam mit Ihnen allen heute den deutschen Pavillon der diesjährigen Kunstbiennale in Venedig eröffnen zu dürfen.

Dass es heute überhaupt zu dieser Eröffnung kommen kann, haben wir einer Vielzahl von Menschen zu verdanken, die in den letzten Monaten daran gearbeitet haben.

Zuallererst Frau Pfeffer, die den deutschen Pavillon in diesem Jahr kuratiert hat. Natürlich ebenso ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch denen des Instituts für Auslandsbeziehungen, hier vertreten durch seine Präsidentin und den Generalsekretär.

Zahllose Helferinnen und Helfer haben monatelang mit großem Engagement mitgeplant und mitangepackt. Ihnen allen einen herzlichen Dank!

Mein herzlicher Dank gilt auch den zahlreichen Sponsoren, Förderern und Partnern. Wir leisten auch als Auswärtiges Amt, als Bundesregierung und mit dem Parlament im Rücken was möglich ist, aber ohne Sponsoren wäre dies eben nicht möglich.

Und natürlich geht mein besonderer Dank an die Künstlerin: Liebe Anne Imhof, herzlichen Dank, dass Sie sich diesem Projekt mit so viel Energie und Kreativität gewidmet haben und uns etwas Spannendes, etwas Nachdenkliches und auch Aufregendes präsentieren!

Meine Damen und Herren,

Sie alle sind sicher mehr als gespannt, was Frau Pfeffer und Frau Imhof heute nach langer und intensiver Vorarbeit präsentieren werden. Es ist ja schon viel darüber geschrieben worden – das ist ja schon einmal ein gutes Zeichen! Wir alle schauen daher mit Gespanntheit auf das, was hier erlebt werden kann. Uns erwartet, glaube ich, eine ziemliche optische Wucht und eine künstlerische Tiefe, die bei den unterschiedlichen Elementen dieser Installation zum Tragen kommen.

Ich will mich beschränken auf eine wenige Anmerkungen, die sich hier, an diesem Ort gerade zu aufdrängen.

Wir stehen heute vor diesem deutschen Pavillon hier in den Giardini di Castello als einem künstlerischen Ort. Ein Ort, an dem wir einen Schritt zurücktreten können, der uns erlaubt, von unserem schnellen Alltag Abstand zu gewinnen.

Aber der Ort ist trotz seiner Einmaligkeit keine weltentrückte Oase. Im Gegenteil. Hier findet Kunst statt, die nicht vakuumverpackt daherkommt, sondern die sich in einem ziemlich politischen Kontext wiederfindet.

Ich glaube, dies spiegelt sich nicht nur in der Arbeit von Anne Imhof wider, die uns hilft die gesellschaftlichen Räume, ihre Kraft- und Machtzentren auszuleuchten. Die Künstlerinnen und Künstler geben uns auch die Chance, eine andere Perspektive einzunehmen. Ich glaube zum Beispiel für uns in der Politik sind das ganz wichtige Stolpersteine, wenn wir so aufmerksam gemacht werden auf Dinge, die wir sonst Gefahr laufen zu übersehen.

Das spiegelt sich auch wider in diesem Gebäude selbst. Einem Gebäude, das nicht verheimlichen kann, dass es zum Opfer nationalsozialistischer Gestaltungswut wurde.

Heute kommt uns das Gebäude nicht mehr besonders bedrohlich vor. Die wuchtigen Säulen sind eingerahmt von Anne Imhofs Glasinstallation. Und sie sind eingebettet in mehr als siebzig Jahre Frieden in Europa.

Und dennoch schwingt die Vergangenheit mit. Sie ist Teil des Raums, den wir uns als Besucher und Beobachter der Performance neu erschließen: In der wuchtigen Fassade des Pavillons ist der Absolutheitsanspruch eines nationalen oder gar nationalistischen Kunstverständnisses immer noch deutlich erkennbar.

Ein Verständnis, oder ich möchte eher sagen, ein Missverständnis, das postuliert: Kunst müsse in erster Linie die eigene nationale Überlegenheit gegenüber anderen benachbarten Kunst- und Kulturformen demonstrieren. Ein Kunstverständnis, das auf Abgrenzung und Ausgrenzung setzt. Das Überlegenheit und Arroganz an die Stelle von Dialog, Austausch und Kommunikation treten lässt.

Meine Damen und Herren,

ein solches Verständnis fordert im Kern zur nationalen Enge auf. Und es zieht Grenzen, zuerst in den Köpfen. Aber in letzter Konsequenz will es die Abgrenzungen von Menschen, Gesellschaften, Ländern.

Wir erleben ja, dass solche Gedanken heute wieder eine Renaissance haben. Vielleicht nicht so stark in der Kunst, aber auf jeden Fall in der Gesellschaft, in unseren Völkern und sicher auch in der Politik. Wir spüren doch, dass es gerade bei uns hier in Europa Tendenzen gibt, nationalistische Abkürzungen zu nehmen, um komplexe gesellschaftliche Probleme scheinbar mit einfachen Lösungen zu versehen. Populisten werfen ihre Angeln aus mit Parolen, die vorgaukeln, einzelne Staaten könnten in einem vernetzten Europa und in einer globalisierten Welt Gestaltungskraft dadurch wiedergewinnen, indem sie sich abkoppeln.

Ich glaube wenn wir diese Irrwege nicht beschreiten wollen, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass der politische, dass der gesellschaftliche und auch der künstlerische Freiraum, der unser Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ausmacht, nicht wieder zusammengeschrumpft auf nationales Kleinformat!

Lösungen können wir nicht dadurch finden, indem wir versuchen, Kulturen mit einem exklusiven Goldstandard zu definieren. Oder indem wir eigene „Leitkulturen“ gegenüber anderen in Stellung bringen. Es ist eben nur ein kleiner Schritt von der Einengung des Kulturbegriffs auf aktuell mehrheitsfähige Normen zur kulturellen Ignoranz oder gar Intoleranz. Wenn wir einzelne Länder als „Kulturnation“ bezeichnen, sprechen wir ihnen eine Sonderstellung zu, die sie nicht haben. Ein Dialog über Kultur kann gar nicht gelingen, wenn man an dessen Anfang Feststellungen voller provozierender Abgrenzung stellt.

Mein Verständnis der politischen Einbettung des Kulturbegriffs ist zugegebenermaßen ein ziemlich einfacher: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Das ist Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes. Und ich finde bei aller erlaubten Debatte um Leitkultur haben wir es als Deutsche eigentlich ziemlich gut. Weil wir Eltern und Großeltern hatten, die eine ziemlich kluge Leitkultur entwickelt haben. Die befindet sich in den ersten 20 Artikeln der deutschen Verfassung. Wer das liest, der versteht und hat sich angeeignet eigentlich all das, was er braucht, um im eigenen Land, aber auch mit allen anderen Völkern der Welt auf eine vernünftige, eine friedliche und eine kulturell aufgeschlossene Art und Weise zu leben. Wir haben das denjenigen zu verdanken, die aus solchen Gebäuden wie dem hiesigen die richtigen Konsequenzen gezogen haben.

In Artikel 5 steckt ein klarer Auftrag an die Politik. Aber nicht der Kunst Vorgaben zu machen. Freiräume für die Kunst zu bewahren und auszubauen, das ist der politische Auftrag, den uns das Grundgesetz vorgibt.

Und es ist zugleich ein Thema, dem sich auch Künstlerinnen und Künstler widmen. Anne Imhof setzt sich natürlich nicht zufällig in ihrer Installation mit dem Thema Grenzen und Abgrenzungen auseinander, tastet sich vor, auch in schwierige Räume, wie den deutschen Pavillon hier in Venedig.

Für solche Arbeiten, für solche künstlerischen Gedanken braucht es Freiraum! Christine Macel, Kuratorin der diesjährigen zentralen Kunstausstellung der Biennale, betont in ihrem künstlerischen Konzept: „Kunst bietet den ultimativen Austragungsort für Reflexionen, individuellen Ausdruck, Freiheit und zugleich für grundsätzliche Fragestellungen“.

In unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik verfolgen wir als Auswärtiges Amt deshalb genau diesen Ansatz.

Ich sage das gerade anlässlich der Eröffnung unseres „nationalen“ Pavillons hier in Venedig. Denn dieser Pavillon setzt, genau wie unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik insgesamt, eben nicht mehr auf die Repräsentation nationaler Kunst.

Es geht uns vielmehr darum, Freiräume zu schaffen und zu schützen. Räume, in denen unterschiedliche Narrative erfahren, tradierte Geschichten, Bilder und Meinungen reflektiert und ein Austausch darüber stattfinden kann, was uns prägt, womit wir als Gesellschaften konfrontiert sind. Eben keine Einengung auf eine nationale Sichtweise, sondern eine Einladung zur Kommunikation und zum Dialog steckt in dieser Politik.

Deshalb, glaube ich, wird Anne Imhofs Installation gerade hier und gerade jetzt eine großartige Wirkung entfalten. Denn, so habe ich es zumindest in ihren bisherigen Werken gesehen, sie wird keinen absoluten Anspruch erheben, sie wird uns die Welt nicht abschließend erklären. Sie wird uns jedoch, dessen bin ich mir, herausfordern, provozieren, vielleicht konfrontieren mit harten Realitäten und uns bestimmt anregen, diesen Freiraum selbst zu erspüren und damit auch den Schatz zu erfahren, der dieser Artikel 5 des Grundgesetzes darstellt.

Noch einmal: herzlichen Dank all jenen, die an der Entstehung dieser Installation mitgewirkt haben!

Und jetzt wünsche ich uns allen – bei allem Nachdenken – eben auch viel Vergnügen bei dieser großartigen Ausstellung hier in Venedig!

Vielen Dank!

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