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„Wegducken hilft nicht“

03.06.2015 - Interview

Außenminister Steinmeier im Interview zum bevorstehenden G7-Gipfeltreffen und zu den aktuellen Krisen. Erschienen in den Stuttgarter Nachrichten (03.06.2015).

Außenminister Steinmeier im Interview zum bevorstehenden G7-Gipfeltreffen und zu den aktuellen Krisen. Erschienen in den Stuttgarter Nachrichten (03.06.2015).

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Herr Steinmeier, in wenigen Tagen findet auf Schloss Elmau in Bayern der G7-Gipfel statt. Angesichts der weltpolitischen Lage dürfte das Treffen selten zuvor einen solchen Stellenwert gehabt haben wie dieses Mal. Welche Erwartungen haben Sie, welches Signal muss in die Welt hinausgehen?

Die Erwartungen an Deutschland sind gewaltig. Ich war in den letzten Tagen in der Ukraine, in Israel und in Gaza und beim Treffen der Anti-ISIS-Koalition in Paris. Schon diese Aufzählung zeigt: Die Zahl der drängenden Krisen in unserer Nachbarschaft, die unsere Aufmerksamkeit verlangen, war nie größer. Deswegen ist es so wichtig, dass die sieben größten demokratischen Wirtschaftsnationen bei ihrem Gipfeltreffen in Deutschland ein klares Signal senden: Wir ziehen an einem Strang bei der Lösung der Probleme unserer Zeit.

Gesprächsstoff gibt es eigentlich genug. Von den aktuellen Krisenherden dieser Welt – zum Beispiel der Ukraine-Konflikt, der Libyen-Krieg, die Turbulenzen im Nahen Osten oder aus anderen Ländern – kommen nahezu täglich neue Hiobsbotschaften. Fast scheint es so, als sei der gesamte Weltfrieden in Gefahr. Wie heikel ist die aktuelle Lage?

Es scheint in der Tat so, dass in den letzten Jahren die Krise zum Dauerzustand geworden ist. Jeden Abend sehen wir schreckliche Bilder in den Nachrichten: Menschen, die vor Krieg und Terror fliehen, oft nur das nackte Leben retten können. Darüber dürfen wir aber nicht in Angststarre verfallen. Beispiele wie der Kampf gegen die Ebola-Epidemie, aber auch die Atomverhandlungen mit Iran zeigen, dass selbst komplexe Probleme lösbar sein können, wenn die internationale Gemeinschaft geschlossen handelt. Es lohnt sich, frühzeitig auf politische Lösungen hinzuarbeiten, statt erst zu reagieren, wenn Krisen bereits ausgebrochen sind. Gerade darum geht es beim G7-Prozess.

Die Anschläge von Paris haben gezeigt, dass die Terroristen – zum Beispiel des Islamischen Staates – vor nichts mehr halt machen. Wie sehr macht Ihnen das Angst? Hat die Staatengemeinschaft die Entwicklungen im Untergrund jahrelang nicht wahrgenommen, vielleicht unterschätzt?

Dass auch wir in Europa Ziel islamistischer Terrorgruppen sind, wissen wir schon seit den Anschlägen in Madrid 2004 und London 2005 nur zu gut - auch wenn es bisher gelungen ist, derartige Anschläge in Deutschland zu verhindern. Unsere Antwort muss eine dreifache sein: Politisch müssen wir Länder wie Afghanistan, aber auch Libyen, Irak und Syrien stabilisieren, um dem Terror den Boden zu entziehen. Militärisch unterstützen wir den Kampf der Peschmerga gegen ISIS. Vor allem dürfen uns von denjenigen, die außer Gewalt und Hass nichts zu bieten haben, nicht in unserem Eintreten für ein friedliches Miteinander in Europa beirren lassen.

Sie kommen gerade vom Treffen der Anti-ISIS-Koalition in Paris. In Syrien und Irak scheint ISIS wieder an allen Fronten auf dem Vormarsch zu sein. Ist das Konzept, ISIS mit Luftschlägen und Waffenlieferungen zurückzudrängen, nicht gescheitert?

Es ist uns im letzten Jahr gelungen, eine beispiellose Allianz gegen ISIS zu bilden. Arabische Staaten wie Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben eine Führungsrolle übernommen. Es ist – auch durch die Luftangriffe der Alliierten - gelungen, den Vormarsch im Nordirak und in Kobane zu stoppen. Das ist wichtig. Aber richtig ist auch: ISIS ist noch längst nicht besiegt. Die teils jahrzehntealten Defizite und Konflikte, die die Entstehung von ISIS erst ermöglicht haben, sind nicht von Heute auf Morgen zu beseitigen. Dafür brauchen wir einen längeren Atem. Vor allem muss es gelingen, der sunnitischen Bevölkerung wieder eine politische und wirtschaftliche Perspektive anzubieten, um dem Terror den Boden zu entziehen. Daran arbeitet Ministerpräsident Al-Abadi, und dabei unterstützen wir ihn.

Früher war das Treffen der mächtigsten und einflussreichsten Staaten ja eine Achter-Runde, also ein G-8-Gipfel. Dann aber kam es zum Zerwürfnis mit Russland. Kann oder sollte das Riesenreich auf Dauer nicht wieder in den Gesprächszirkel zurückkehren oder ist das Tischtuch durch den Ukraine-Konflikt völlig zerschnitten?

Ich habe immer gesagt: Es kann nicht darum gehen, Russland dauerhaft zu isolieren, im Gegenteil! Wir brauchen Moskau bei der Lösung der vielen Krisen und Konflikte in der Welt. Unsere Botschaft an Russland ist: Die Tür für eine Rückkehr in den Kreis der G8 ist nicht verschlossen. Moskau muss aber selbst an den Bedingungen für eine solche Rückkehr arbeiten. Der Weg führt über die Achtung der Einheit und Souveränität der Ukraine und über die Umsetzung der russischen Verpflichtungen aus den Minsker Vereinbarungen.

In der Ukraine wird der Waffenstillstand auch Monate nach den Minsker Vereinbarungen immer noch täglich gebrochen. Glauben Sie wirklich noch daran, dass Minsk die Lösung dieses Konflikts bringen wird?

In der Tat: Die Lage ist nach wie vor fragil, das war auch bei meinem Besuch in der Ostukraine am Freitag deutlich zu spüren. Trotzdem dürfen wir gerade jetzt nicht mit den Bemühungen nachlassen. Immerhin hat es in den letzten Wochen auch Fortschritte gegeben. Die Arbeitsgruppen der Kontaktgruppe haben ihre Arbeit aufgenommen. Dort müssen nun die nächsten Schritte hin zu einem politischen Prozess und einer nachhaltigen Lösung des Konflikts gegangen werden. Wir werden das weiter eng begleiten.

Sowohl Kanzlerin Merkel als auch Sie in Ihrer Funktion als Bundesaußenminister waren in den vergangenen Monaten auf der internationalen Bühne oftmals als Vermittler unterwegs. Woher kommt es, dass die Bedeutung von Deutschland auf dem internationalen Parkett zuletzt so stark zugenommen hat?

Deutschland ist das größte Land in Europa, und wir stehen wirtschaftlich und politisch stabil da, das ist das eine. Wir sind aber auch wirtschaftlich so eng mit der Welt vernetzt wie kaum ein anderes Land. Das hat uns bei den Partnern an vielen Orten der Welt Respekt und Glaubwürdigkeit eingebracht, das führt aber auch zu großen Erwartungen an uns. Das heißt nicht, dass wir uns überall einmischen sollen. Aber dort, wo wir gebraucht werden und einen Unterschied machen können, müssen wir auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.

Mancher sieht diese neue Rolle Deutschlands mit Freude und als Zeichen von Wertschätzung, anderen missfällt diese Stärke und das damit verbundene Selbstbewusstsein der Deutschen. Was sagen Sie solchen Kritikern?

Auch wenn manch einer sich das wünschen mag: Vor den Krisen und Konflikten in unserer Nachbarschaft können wir uns nicht einfach abschotten. Unsere Sicherheit und unser Wohlstand hängen von unserer engen politischen und wirtschaftlichen Vernetzung mit der ganzen Welt ab. Wo Ordnung zerfällt, sind auch wir betroffen. Wegducken hilft nicht. Das bedeutet aber noch lange nicht, militärischen Interventionen das Wort zu reden. Stattdessen müssen wir immer versuchen, die Realität in ihren Schattierungen zu verstehen und nach den bestmöglichen Antworten suchen. Dazu gehört der Grundsatz: Keine Alleingänge. Wir suchen die enge Abstimmung mit der internationalen Gemeinschaft, und die europäische Integration ist und bleibt das Fundament deutscher Außenpolitik.

Interview: Frank Krause. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Stuttgarter Nachrichten.

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