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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Abschlussveranstaltung des Wirtschaftstages der Botschafterkonferenz zum Thema „Mobilität“

25.08.2015 - Rede

Sehr geehrte Damen und Herren,
Lieber Herr Schwarzenbauer,
Lieber Herr Bültmann,

im Februar schrieb die ZEIT: „In der Autoindustrie geht es zu wie im Fußball. Es treten 22 Profis an und am Ende gewinnen immer die Deutschen. Oder?“

Das Fragezeichen am Ende dieser Aussage dürfte manchen im Saal verwundern. Galt es nicht jahrzehntelang quasi als volkswirtschaftliches Naturgesetz, dass die Deutschen nicht nur die meisten Autos bauen, sondern auch die besten. Mit den besten Ingenieuren.

Steht dieses „Naturgesetz“ heute in Frage? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Wirtschaftsstandort Deutschland? Und warum sollten wir Diplomaten uns mit dieser Frage beschäftigen? – Darüber wollen wir in der nächsten Stunde diskutieren.

Ich freue mich, dafür an meiner Seite zwei ausgewiesene Fachleute aus den beiden Bereichen zu haben, die in der Zukunft die Mobilitätsbranche bestimmen werden: einen klassischen Automobilbauer „Made in Germany“ und einen Vertreter jener Tech-Champions, die durch Vernetzung und Big Data die Automobilindustrie revolutionieren wollen.

Herzlich willkommen, Peter Schwarzenbauer von BMW und Michael Bültmann von HERE Deutschland!

***

Warum beschäftigt uns die Zukunft der Mobilität und der Mobilitätswirtschaft in der Außenpolitik? Meine Antwort: Weil die Welt in Bewegung ist – und zwar so stark wie nie zuvor.

Lassen Sie mich das anhand von drei Thesen erläutern:

Erstens: Die Menschheit zieht es in die Stadt:

Heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, das sind 3,5 Milliarden Menschen. Im Jahr 2050 sollen es fast doppelt so viel sein!

Was das heißt, das habe ich letzte Woche in Sao Paulo erlebt. Die brasilianische Metropole ist eine der sogenannten „Megacities“ dieser Welt. Die Wirtschaftsleistung, die dort erbracht wird, ist so hoch wie die der gesamten Türkei! Und wer einmal in Sao Paulo im Stau gestanden heißt, der weiß, welche Herausforderungen dieses Wachstum mit sich bringt.

Das betrifft Logistikprozesse, Verkehrssysteme und Transportmittel, aber auch Versorgungs- und Entsorgungssysteme. Die entscheidende Frage ist dabei, wie der städtische Raum lebenswert gestaltet und auf künftige Veränderungen ausgerichtet werden kann.

Denn mobil sein heißt ja nicht nur, Distanzen zu überwinden oder Güter zu transportieren. Nein, Mobilität bedeutet vor allem auch: Schneller und sicherer Zugang zu Bildung, Kultur und Arbeit. Mobilität steht gerade in Städten und urbanen Ballungsräumen für Teilhabe am öffentlichen Leben und am wirtschaftlichen Aufschwung. Städte sind Orte des sozialen Wandels. Verbesserte Mobilitätsangebote tragen dazu bei, das Miteinander gesellschaftlicher Gruppen zu erleichtern und den sozialen Zusammenhalt zu fördern. Gerade in den Ballungszentren in Asien, aber auch in Afrika und Lateinamerika wird die Mobilitätsfrage daher auch darüber entscheiden, ob Staaten in Zukunft ihren Aufgaben in der Daseinsvorsorge gerecht werden können.

Damit komme ich zu These 2:

Die Mobilität der Zukunft ist nur mit moderner Technologie zu bewältigen.

Um Mobilität in Megacities in Zukunft zu ermöglichen und dabei gleichzeitig die Belastungen für Umwelt und Klima zu minimieren, brauchen wir modernste Technologien. Sie und Ihre Unternehmen können einen Beitrag zur Bewältigung dieser globalen Herkulesaufgabe leisten.

Ob beim Bau der neuen U-Bahn in Lima, ob bei der Planung von neuen Häfen in Indonesien oder der Entwicklung eines Mobilitätskonzeptes für Schnellbusse in Daressalam – in welches Land ich auch komme, fast immer werde ich danach gefragt, welche Lösungen und Technologien deutsche Unternehmen für Mobilitätsfragen anbieten können.

Die Verlässlichkeit deutscher Firmen ist dabei oft ausschlaggebend. Anders als manch andere, lassen Sie, meine Damen und Herren, sich selten in einem Land nieder, um schnelles Geld zu machen. Nein, Ihnen geht es in der Regel darum, langfristig Werte aufzubauen. Diese Verlässlichkeit, diese partnerschaftliche Haltung und nicht zuletzt die exzellenten Produkte „Made in Germany“ tragen auch auf politischer Ebene dazu bei, dass Deutschland international ein so gefragter Partner ist.

Meine dritte These lautet: Mit den deutschen Fahrzeugbauern – ob Auto, Bahn oder öffentlicher Nahverkehr – steht und fällt unsere Mobilitätskompetenz in der Welt.

Seit über 100 Jahren ist die Automobilindustrie die treibende Kraft einer technischen Entwicklung, die uns in einem unvorstellbaren Maß Mobilität und Freiheit beschert. Heute steht die Branche vor großen Veränderungen.

Im Jahr 2013 produzierten deutsche Unternehmen im Ausland über 8,6 Mio. PKW. – viermal so viel wie 1995! Dabei hat es in der Produktion eine deutliche Verschiebung vom bisher dominanten Europa nach China gegeben. Die automobile Landkarte wird neu gezeichnet. Nicht nur in der Produktion, sondern vor allem auch in der Innovation. Hier geht die Verschiebung allerdings in Richtung der USA.

Die Automobilindustrie ist seit jeher eine entwicklungsintensive Branche. Technische Innovation ist hier existenziell für die gesamte Volkswirtschaft und Wertschöpfungskette. Und die entscheidende Frage dabei ist heute, wie schnell es gelingt, Industrie und Engineering mit Informationstechnologien und Big Data effizient zu verschmelzen.

Einen technologischen Wendepunkt hatten wir vor ungefähr sieben Jahren, als Apples iPhone mobiles Internet in jede Hosentasche brachte. Dass es einem Unternehmen wie Google nun gelingt, ein selbstfahrendes Auto zu entwickeln, macht diesen und auch andere Daten-Konzerne zur ernsthaften Konkurrenz für traditionelle deutsche und europäische Automobilbauer.

Autos werden zu rollenden Smartphones, Busse zu Apps auf Rädern. Wo und von wem die Karosserie zusammengeschweißt wird – wenn sie denn überhaupt noch geschweißt und nicht gedruckt wird - ist zweitrangig. Technologische Umwälzungen dieser Art können damit gerade für die Starken und Erfolgreichen von heute zur Gefahr werden. Oder aber auch zu einer Chance! Dabei geht es nicht ums Weiterentwickeln von Fahrzeugen, sondern ganz grundsätzlich ums Neuerfinden der Mobilität. Wie hart dieser Wettbewerb ist, zeigt die Tatsache, dass für ein noch recht junges Unternehmen wie HERE vor wenigen Wochen nach einem langen Bieterkampf auf beiden Seiten des Atlantik am Ende ein deutsches Automobilkonsortium die stolze Summe von 2,8 Milliarden Euro bezahlt hat.

***

Meine Damen und Herren,

innovations-Entwicklungen im Ausland im Blick zu haben und zu bewerten, das ist eine Aufgabe, die wir Diplomaten, liebe Kolleginnen und Kollegen, intensiver als bisher angehen müssen.

Ich sagte es im letzten Jahr an dieser Stelle und ich wiederhole es gerne: Wir Diplomaten sind so etwas wie der Vertrieb der Bundesrepublik. Wir müssen noch stärker als bisher technologische und ökonomische Entwicklungen im Blick haben, die unsere Unternehmen und damit unser Wohlstandsmodell herausfordern.

Auf die Mobilität übertragen heißt das: Wir müssen verstehen, wie sich der globale Markt unter digitalen Bedingungen verändert und wie sich unsere Unternehmen darauf einstellen. Dabei steht die Mobilitätsbranche beispielhaft für viele andere Industrien.

Ich bin gespannt, welche Antworten unsere Experten auf diese Fragen haben.

Ich reiche damit das Mikro an BMW weiter – lieber Herr Schwarzenbauer, Sie haben das Wort.

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