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„Umdenken müssen diejenigen, die sich eine zu gemütliche Vorstellung von Außenpolitik machen“

10.02.2016 - Interview

Was kann ein Außenminister gegen Autokraten erreichen? Steinmeier warnt im Interview vor Überheblichkeit und mahnt Realismus an: „Ich habe mich entschieden, nicht den Mond anzuheulen.“ Erschienen in der Süddeutschen Zeitung (10.02.2016).

Was kann ein Außenminister gegen Autokraten erreichen? Steinmeier warnt im Interview vor Überheblichkeit und mahnt Realismus an: „Ich habe mich entschieden, nicht den Mond anzuheulen.“ Erschienen in der Süddeutschen Zeitung (10.02.2016).

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SZ: Immer diplomatisch, nie ein scharfes Wort. Können Sie nicht anders?

Ich sehe das anders. Es geht heute in der Außenpolitik immer häufiger um Fragen von Krieg und Frieden, um viele Menschenleben, und das in unserer direkten Nachbarschaft, in der Ukraine, im Mittleren Osten, in Nordafrika. Das ist kein Spiel für die Medien. Da, wo es ums Ganze geht, wird hart gestritten. Härter als im deutschen Bundestag, und zwar von allen.

Führen Sie ein Doppelleben? Eines für die Öffentlichkeit, immer ausgewogen und gelassen, und eines für Verhandlungen, hinter verschlossenen Türen?

Nein. Die Dinge haben sich aber stark verändert. Außenpolitik wird medial viel dichter begleitet als früher. Damals fanden Verhandlungen nur hinter verschlossenen Türen statt, nur vereinbarte Kommuniqués drangen an die Öffentlichkeit. Heute werden Zwischenschritte bekannt und Halbwahrheiten bewusst nach außen gespielt, um taktische Vorteile zu erlangen. Verhandlungspartner können ihr Gesicht schneller verlieren, wenn sie Zugeständnisse andeuten oder im Zorn mal ausrasten. Das macht es nötig, in der Öffentlichkeit immer kontrolliert zu agieren und auch in scharfen Konflikten nicht den Punkt zu überschreiten, wo Gespräche nicht mehr möglich sind.

Sie haben es mit Autokraten, Diktatoren, Unterdrückern zu tun, die unsere Vorstellung von Menschenrechten mit Füßen treten. Verfluchen Sie diese Welt manchmal?

Ich bin oft fassungslos, in welchem Maße die ohnehin knappe Ressource Vernunft aus der Welt verschwunden ist. Und wie von vielen Seiten die Axt angelegt wird an ein Ordnungsmodell, das sich die Staaten dieser Welt aus der Erfahrung von zwei Weltkriegen gegeben haben. In vielen Regionen scheint es für Autokraten kein Problem zu sein, die UN-Charta unterschrieben zu haben und gleichzeitig eine Politik zu verfolgen, die mit den Regeln der Völkergemeinschaft bricht. Da, wo ich herkomme, sagt man: Wut frisst Hirn! Aber ich habe mich entschieden, nicht den Mond anzuheulen, sondern versuche mit unseren Mitteln, das zu retten, was friedliches Zusammenleben möglich macht.

Müssen Sie sich manchmal verleugnen?

Heute nicht mehr. Nach so vielen Jahren in der Außenpolitik weiß man, wo ich herkomme, wofür ich stehe. Ich muss nicht meine Lebensgeschichte und das Grundgesetz zitieren, um deutlich zu machen, für welche Wertvorstellungen wir eintreten. Aber Werte setzen sich nicht von selbst durch. Und die hierzulande so oft wiederholte Überlegenheit unserer Werte verändert die Welt noch nicht. Deshalb muss ich meine Kraft darauf konzentrieren, Menschen und Regierungen mit anderen Wertvorstellungen zu überzeugen.

Sind unsere Werte überlegen?

Ich kenne keine Region der Welt, in der das Leben ähnlich lebenswert ist wie bei uns. Wir haben so lange wie nie zuvor in Europa Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit leben und erleben dürfen. Die Würde des Menschen, das Wohl jedes Einzelnen steht für uns im Zentrum. Aber wir führen in der Außenpolitik kein Selbstgespräch. Wir verhandeln mit anderen, die eine gute Lage eher dann verwirklicht sehen, wenn Ruhe, häufig gemeint als Friedhofsruhe, mit Gewalt durchgesetzte Stabilität und die Verhinderung von streitiger Auseinandersetzung gesichert sind. Das ist weit entfernt von unserer Vorstellung einer guten Gesellschaft. Aber es ist eine Realität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

Müssen sich die Deutschen verabschieden von dem Glauben, überall das Gute durchsetzen zu können?

Umdenken müssen diejenigen, die sich eine zu gemütliche Vorstellung von Außenpolitik machen. Und jene, die die Illusion haben, wir könnten unsere Beziehungen weitgehend auf den Teil der Welt beschränken, der unsere Wertvorstellungen teilt. Das war und bleibt unrealistisch. In dem Maße, in dem die Konflikte der Welt näher an uns heranrücken, sei es über Terrorismus oder durch Fluchtbewegungen, wird immer mehr Menschen klar, dass zur Eindämmung solcher Gefahren Koalitionen mit Luxemburg und der Schweiz nicht ausreichen. Das Einzige, was manchmal eint, ist das Interesse, einen Krieg zu beenden und die Ausbreitung von Terror zu vermeiden. Der Weg dorthin ist alles andere als einfach und streitfrei.

Es gibt in Deutschland viel Kritik an Ländern, die bei den Syrien-Gesprächen mit am Tisch sitzen. Weil sie die Menschenrechte mit Füßen treten, die Freiheit der Medien bekämpfen, selbst Krieg führen. Ob das die Türkei ist oder Saudi-Arabien, Iran oder Russland. Haben die Kritiker nicht einfach recht?

Ich habe Verständnis dafür, dass so viel über meine letzte Reise nach Saudi-Arabien diskutiert worden ist. Ich habe die Hinrichtungen Anfang des Jahres mit derselben Sorge, mit denselben Gefühlen verfolgt wie andere auch. Ich habe sofort mit dem saudischen Kollegen telefoniert und ihm unsere Haltung zur Todesstrafe klargemacht. Auch ich bin dagegen, dass wir das ignorieren. Die Frage ist nur: Was folgern wir daraus? Und da machen es sich viele zu einfach. Die Opposition kann es sich einfach machen. Sie trägt keine Verantwortung und versucht, in einer nicht einfachen Situation einen Punkt gegen die Regierung zu machen. Andere ärgern mich mehr.

Wer zum Beispiel?

Die, die glauben machen wollen, man könne deutsche Außenpolitik aus dem Ohrensessel in Berliner Herrenzimmern machen. Oder die der Illusion erliegen, ein scharfes Statement vor einem Berliner Mikrofon habe tatsächlich Einfluss auf die Handelnden in Teheran oder Riad. Man kann so denken, aber so funktioniert Außenpolitik leider nicht - und es entspricht auch überhaupt nicht meiner Erfahrung. Wer etwas bewirken will, braucht Glaubwürdigkeit. Er muss hin zu den Konflikten und Konfliktparteien, das direkte Gespräch suchen. Ich weiß, dass das schwieriger und aufwendiger ist als ein schneller Satz in ein Berliner Mikrofon.

Der Fall des Bloggers Badawi in Saudi-Arabien ist ein Beispiel dafür, wie die einen offen schärfste Kritik üben und andere, darunter Sie, jedes laute Wort meiden. Muss man nicht trommeln, damit die Menschen nicht vergessen werden?

Ich glaube, es wäre falsch, nur auf Lautstärke oder nur auf stille Diplomatie zu setzen. Wir brauchen beides, nur zu unterschiedlichen Zeiten. Mal das laute Trommeln, mal das leise Sprechen. Wir brauchen manchmal Öffentlichkeit, damit Fälle bekannt werden. Und wir brauchen Verhandlungsmöglichkeiten, die gesichtswahrende Lösungen für einen Staat, der Repressalien ausübt, überhaupt erst möglich machen. Zu meinen Erfahrungen gehört allerdings auch, dass Daueröffentlichkeit oder medialer Druck allein noch nicht zum Erfolg führen. Gerade dort, wo Meinungs- und Pressefreiheit unterdrückt wird, werden Medien nicht als schlagkräftige Spieler betrachtet, deren Einwände man berücksichtigen müsste. Die meisten Autokraten empfinden das nur als Provokation, der man sich erst recht nicht beugen darf.

Müssten Sie nicht gerade in solchen Fällen Ihre Grundsätze kenntlich machen?

Na ja, häufig erkennt man unser Tun eben erst dann, wenn in Fällen wie dem des Palästinensers Ashraf Fayadh in Saudi-Arabien eine humanitäre Lösung gelingt. Und ich hoffe und glaube, dass wir, wenn wir mit Riad über Raif Badawi so reden, wie wir über Fayadh geredet haben, eine ganz gute Chance haben, auch da Gutes zu erreichen. Würde ich den Eindruck haben, dass das nichts nutzt, würde ich sagen: Okay, dann machen wir es anders. Aber den Eindruck habe ich nicht.

Dass Sie sich einsetzen, kann man glauben, aber man kann es auch bezweifeln. Man erfährt darüber fast nichts.

Es ist halt nicht so öffentlich, wenn wir an eine Regierung herantreten, ihr sagen, dass wir nicht gleich alles umwälzen wollen, aber konkrete Fälle haben, die gelöst werden sollten. Da kann man dann kein Fähnchen raushängen.

Wie viel Moral braucht Außenpolitik?

Politik ohne Moral funktioniert nicht. Aber was heißt das? Politik ohne Moral hat keine Richtung, kein Ziel, und unterliegt immer der Gefahr, in der Akzeptanz des Bestehenden zynisch zu werden. Wer Politik aber mit Moral gleichsetzt, wird merken, dass er sich der Handlungsmöglichkeiten beraubt, die man braucht, um die Welt in kleinen Schritten, auch in Kompromissen zu verändern. Deshalb ja, Moral muss ein Kompass sein, der das Ziel anzeigt. Aber Moral liefert nicht die kleinteilige Landkarte, die alle Wege, Abkürzungen und Umwege zu diesem Ziel schon enthält.

Gibt es bei Menschenrechten Kompromisse?

Für uns nicht. Aber zur ganzen Wahrheit gehört, ich bin deutscher Außenminister, nicht russischer, nicht ägyptischer, nicht iranischer Präsident. Insofern ist die eigentliche Frage die: Ist die Angst vor Widersprüchen ausreichend Rechtfertigung dafür, nichts zu tun? Oder erwartet man nicht von einem deutschen Außenminister den Mut auszutesten, was geht. Und dann das Verantwortliche zu tun.

Haben Sie sich verändert?

Meine Ziele habe ich nicht verändert. Was vielleicht heute anders ist, ist mein Alltag in der Politik. Ich habe früher mehr eine auf Papiere, Briefe, Dokumente bezogene Außenpolitik gemacht. Jetzt geht es um Erfahrung, um Vertrauen, um persönliche Beziehungen, um Verlässlichkeit. Und daraus erwächst dann auch politisches Gewicht. Hoffe ich jedenfalls.

Hat Deutschland Feinde?

Ich könnte jetzt einfach sagen, dass diese Freund-Feind-Kategorie in der Außenpolitik nichts zu suchen habe. Aber das wäre ein Idealismus, der der Realität nicht gerecht wird. Ein ehemaliger Kollege hat nach Ausbruch der Ukrainekrise im Nato-Rat einmal verlangt, wir müssten uns entscheiden, ob Russland unser Feind oder unser Freund ist. Das hat mich befremdet. Ich habe ihm gesagt, diese Frage könne man nur mit vielen Tausend Kilometern Entfernung zu Europa stellen. Wir wissen, dass Russland immer - im Guten wie im Bösen - ein großer und wichtiger Nachbar Europas sein wird. Und im Guten wie im Bösen Einfluss nehmen wird auf die Geschicke, das Schicksal Europas. Deshalb fällt mir das mit der Feind-Erklärung nicht einfach.

Mit wem würden Sie sich nicht an einen Tisch setzen?

Das ist eine Frage, die wir uns immer wieder stellen. Darf man mit IS verhandeln? Das ist nicht nur eine Frage des Dürfens und der Moral. Terroristische Organisationen wie IS haben kein Interesse an einer Lösung. Ihr Ziel ist, alle diejenigen zu beseitigen, die sie am Ziel eines grenzüberschreitendes Kalifats hindern. Mit solchen Leuten kann man nicht reden.

Und Baschar al-Assad?

Da muss man einfach sagen: Wir sprechen mit ihm. Nicht wir als Deutsche oder Amerikaner. Aber der UN-Sondervermittler Staffan de Mistura tut das im Namen der Staatengemeinschaft. Nicht unentwegt und nicht in Genf. Aber er hat mit ihm gesprochen. Mehr halte ich nicht für nötig.

Interview: Stefan Braun. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Süddeutschen Zeitung.

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