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Eröffnungsansprache StM Günter Gloser anlässlich 17. Jahrestagung des Deutsch-Ungarischen Forums, Budapest, 23.11.2007

23.11.2007 - Rede

- es gilt das gesprochene Wort -

Anrede

Ich freue mich sehr, heute hier in Budapest zu sein und mit Frau Staatssekretärin Feksi Horvathne das Deutsch-Ungarische Forum zu eröffnen. Es findet dieses Jahr zum 17. Mal statt und hat nun schon eine kleine Tradition: Das Forum hat sich als Begegnungsstätte für Politiker, Wissenschaftler, Interessenvertreter im Bereich der bilateralen Beziehungen und der Europapolitik etabliert. Es ist ein wichtiges Forum für den Austausch zwischen Ungarn und Deutschland.

Am 10. September 1989 durchschnitt Ungarn die Grenzzäune und brachte damit im wörtlichen Sinne die Mauer zum Einsturz, die Europa geteilt hatte. Es ist bemerkenswert - und erfreulich! -, wie sehr heute, nur 18 Jahre später, unsere bilateralen Beziehungen und unsere Interessen von der europäischen Tagesordnung geprägt sind.

Es ist daher nur folgerichtig, dass Deutsche und Ungarn sich mit der Zukunft der Europäischen Union als ihrer gemeinsamen Zukunft befassen. Im ersten Halbjahr 2011 wird Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Meine Botschaft an Sie ist: Nutzen Sie die Gestaltungsmöglichkeiten, um das europäische Haus weiterzubauen.

Das Motto des diesjährigen Forums, „die EU im Jahre 2027“, scheint noch weiter vorauszuschauen: Wir haben gerade unter viel Mühen den Reformvertrag für die Unterzeichnung vorbereitet und damit eine wichtige Etappe genommen. Die EU versetzt sich mit diesem Vertrag in die Lage, in der globalisierten Welt Politik nach innen und nach außen gemäß seinen Wertvorstellungen zu mitgestalten.

Aber wer geglaubt hätte, er könne nun verschnaufen und sich ausruhen den muss ich enttäuschen! Und so sehen das auch die Veranstalter unseres Forums „EU 2027“.

Denn die Welt um uns herum ist nicht stehen geblieben. Im Gegenteil: Sie entwickelt sich in atemberaubenden Tempo.

Neue Mächte drängen auf die Bühne des Weltgeschehens. China ist dabei, eine der größten Wirtschaftsnationen zu werden. Andere Schwellenländer wie Indien oder Brasilien folgen. Die internationalen Gewichte verschieben sich!

Hinzu kommen regionale Konflikte und Krisen wie in Afghanistan, Iran, Irak, Afrika oder im Nahen Osten, deren Entstehung teilweise weit zurückreicht, die aber heute mit neuer Schärfe in den Vordergrund treten.

Hinzu kommen auch die Auswirkungen des Klimawandels. Sie sind heute schon spürbar, auch hier bei uns in Europa.

Die Welt befindet sich in einem Prozess tief greifenden Wandels. Dabei gibt es von Internet bis Solartechnik viele Entwicklungen, die Chancen eröffnen, wie es sie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit gab. Andere Entwicklungen bergen erhebliche Risiken und Gefahren.

Wir stehen in der Verantwortung, diese Prozesse im Interesse und zum Vorteil der Menschen in unseren Ländern zu gestalten. Diese Aufgabe können wir Europäer nur gemeinsam schultern.

Schon heute ist kein europäischer Staat mehr in der Lage, auf sich allein gestellt im globalen Konzert eine führende Rolle zu spielen. Auch die großen nicht! Und das relative Gewicht und die Einflussmöglichkeiten der einzelnen nehmen weiter ab.

Bei aller Mühsal im europäischen Alltag: Mehr denn je ist die gemeinsame Verfolgung unserer Interessen in und durch Europa ohne Alternative!

Gestatten Sie mir im Folgenden einige der globalen Zukunftsthemen anzureißen, in denen es auf die gemeinsame Entschlossenheit und Geschlossenheit der EU ankommt und bei denen wir – auf der Grundlage des neuen Reformvertrags - weiter voran gehen müssen.

Zu Recht wurden diese Themen zum Gegenstand des diesjährigen Forums erkoren: die Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels im Rahmen der Globalisierung, Energie und Klimaschutz, Erweiterung und Europäische Nachbarschaft sowie Stärkung der außen-und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit.

Wachstum und Beschäftigung haben in der EU wieder zugenommen, auch wegen der im Kontext der Lissbaon-Strategie in allen MS unternommmenen entschiedenen Reformschritte. Es kommt darauf an, diesen positiven Trend zu verfestigen.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Akzentuierung der Sozialen Dimension der Lissabon-Strategie und jüngst angestoßene Diskussion über die externe Wettbewerbsfähigkeit der EU, z.B. hinsichtlich der Transparenz der Finanzmärkte, den Schutz unserer Unternehmen gegen des Zugriff ausländischer Staatsfonds.

Aber nur wenn wir uns die Offenheit unserer Gesellschaften erhalten, d.h. uns dem Wettbewerb stellen und uns aktiv und unvoreingenommen mit anderen Kulturen auseinandersetzen, werden wir nachhaltig unser europäisches Gesellschaftsmodell erhalten können.

Eine Wort zum Erweiterungsprozess. Ich bin der Meinung, dass der Erweiterungsgeschichte eine europäische Erfolgsgeschichte ist. Hier in Ungarn kann dies eindrucksvoll beobachtet werden. Wir sehen mehr Wohlstand, Wachstum und eine Tendenz hin zum Angleich der Lebensverhältnisse in Europa.

Die Erweiterung – hier zitiere ich aus dem Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission - „dient den strategischen EU-Interessen wie Stabilität, Sicherheit und Konfliktprävention. Sie hat geholfen, Wohlstand und Wachstumschancen zu verbessern und vitale Transport- und Energierouten zu sichern“.

Und: Dieselben Gründe, die in der Vergangenheit für Erweiterungen sprachen, gelten fort.

Wir stehen weiter zu den Verpflichtungen, die wir gegenüber den aktuellen und potentiellen Beitrittskandidaten übernommen haben. Die jüngst von der Kommission vorgelegten Berichte zu den Fortschritten zeigen deutlich:

Wir sind in einer Phase der Konsolidierung, die weiter anhalten wird. Ja, Reformen brauchen Zeit! Viele wichtige Schritte wurden gemacht, aber ebenso sind substantielle Wegmarken – gerade im Bereich der Justiz- und Verwaltungsreform – noch nicht genommen. Hier ist jedes Land selbst seines Glückes Schmied. Wichtig bleibt, dass das Gleichgewicht zwischen Verhandlungsfortschritten einerseits und Reformfortschritten andererseits nicht verloren geht.

Es ist klar: Reformen verlangen viel Einsatz und Kraft; vielleicht brauchen die Aspiranten zur Zeit einen Moment, um ihre Kräfte wieder zu sammeln und weitere Reformen anzugehen. Aber sie sollten nicht zu lange dafür brauchen, sonst entsteht der Eindruck, man wollte sich auf dem Erreichten ausruhen. Dies darf nicht sein. Das Erreichte sollte als Ermutigung dienen, auf diesem Weg weiter voranzuschreiten, um unser gemeinsames Ziel eines Tages erreichen zu können.

Von der Frage der EU-Mitgliedschaft bleibt weiterhin getrennt die Europäische Nachbarschaftspolitik. Sie greift in keiner Weise den künftigen Entwicklungen der Beziehungen unserer Partnerländer zur EU vor. Und sie schlägt keine Türen zu.

Die Nachbarschaftspolitik leistet einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Stabilität, Sicherheit und Wohlstand – in den Nachbarstaaten, und dadurch auch in der EU selbst.

Wichtige Elemente der vertieften ENP sind Handelsliberalisierung und wirtschaftliche Integration. Ein verbesserter Zugang unserer Partner zum Binnenmarkt, besonders in Gebieten, auf denen sie komparative Vorteile haben, ist einer der größten Anreize der ENP. Wir wollen diese wirtschaftliche Vernetzung durch eine neue Generation von Freihandelsabkommen erreichen, die auch die Umsetzung des EU-Acquis in spezifischen Feldern vorsehen sollen.

Ein großer Schritt nach vorn ist meiner Ansicht nach die Ergänzung des Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI) durch zwei neue Fazilitäten, die gezielt Reformfortschritte im Bereich Governance belohnt bzw. als Katalysator für Investitionen wirken soll.

Darüberhinaus gibt es eine Vielzahl von Bereichen, in denen wir die Zusammenarbeit intensivieren möchten. Als Beispiele seien hier ge-nannt der interkulturelle Austausch, die Energiepolitik, eine verbesserte Steuerung der Migration oder die Entwicklung einer intensivierten EU Politik gegenüber der Schwarzmeer-Region.

Ich habe eben das Stichwort Energiepolitik genannt. Bekanntermaßen ist dieses Thema seit vielen Monaten außenpolitischen Schwerpunktthema der Union bei fast allen Ministertreffen und Gipfelbegegnungen.

Bemerkenswert daran ist: Eine europäische Energiepolitik gibt es streng genommen noch gar nicht. Die Union ist erst dabei, sich im Reformvertrag darauf zu verständigen.

Die Maßnahmen, die wir im März dieses Jahres zum Energiebinnenmarkt beschlossen haben, sind noch nicht umgesetzt und es gibt noch erheblichen Diskussionsbedarf. So hat Deutschland noch ganz erhebliche Zweifel etwa an der Notwendigkeit der vorgeschlagenen eigentumsrechtlichen Entflechtung von Energieversorgung und Energieproduktion so wie die Kommission sie vorgeschlagen hat.

Es bleibt jedoch klar, dass die Vertiefung des Energiebinnenmarkts allen langfristig Vorteile bringen wird, indem sie die Energieversorgungssicherheit durch gut ausgebaute und europaweit verbundene Energienetze erhöht.

Europa braucht auch Sicherheit bei der Energieversorgung von außen. Teilweise hängen Mitgliedstaaten bei einzelnen Energieträgern von nur einem Versorger ab. Diversifizierung ist Teil einer Strategie für mehr Versorgungssicherheit. Das gilt national und europaweit. Die Nabucco-Pipeline, die durch Ungarn verlaufen soll, ist ein Beispiel.

Mehr Versorgungssicherheit bedeutet außenpolitisch auch: Verbraucher, Energieproduzenten und Transitländer müssen stabile Beziehungen aufbauen und vertiefen. Hier spielen mit Blick auf unsere Nachbarn im Osten eine zentrale Rolle: Russland als strategischer Partner, die Ukraine als Transitland, der Kaukasus als Zentrum der Zentralasienstrategie und alle weiteren von der Nachbarschaftspolitik erfassten Länder.

Energie hat außerdem einen engen Bezug zur Frage der Nachhaltigkeit. Die Klimaziele, denen sich die Union im März des Jahres verpflichtet hat, sind ehrgeizig.

Wie die Lasten, die damit verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten verteilt werden, wird uns in den nächsten Monaten beschäftigen. Ich weiß, dass die noch jungen Marktwirtschaften in den neuen Mitgliedstaaten eine Überlastung durch weitgehende Anforderungen fürchten. Wir sehen aber auch, dass das Einsparpotential hier teilweise besonders hoch ist. Wir werden den Vorschlag, den die Kommission dazu im Januar vorlegen wird, gemeinsam prüfen und sehen, ob auf dieser Basis ein Kompromiss möglich ist.

Abschließend möchte ich nochmals unterstreichen, dass die Europäische Integration auch in Zukunft als ein offenes System funktionieren wird: Die Integration ist

offen für neue Ideen, Innovationen und Entwicklungen

offen für den interkulturellen Dialog und für die Aufnahme und Integration von Zuwanderern

offen auch für weitere Beitritte.

Der Reformvertrag bringt wesentliche Verbesserungen auf dem Weg zu einem effizienten, transparenten und demokratischen Europa, das in der Lage ist, die Herausforderungen der Globalisierung aufzunehmen.

Entscheidend ist, dass wir unsere gemeinsamen europäischen Werte, die wir ja im Zusammenhang mit dem Reformvertrag nochmals bekräftigt haben und die voraussichtlich am 12. Dezember feierlich proklamiert werden, zur Grundlage unseres Handelns machen.

Ich bin zuversichtlich, dass wir mit dieser Maxime die Weichen richtig stellen für eine erfolgreiche EU 2027.

Dem 17. Deutsch-Ungarischen Forum wünsche ich, dass es hierzu einen Beitrag leistet.

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