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Rede von Bundesaußenminister Guido Westerwelle vor dem Deutschen Bundestag

10.11.2009 - Rede

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal an das anknüpfen, was Herr Kollege Vaatz hier eben gesagt hat. Das ist eine außerordentlich kluge und vor allen Dingen bemerkenswerte Einschätzung gewesen. Denn die vielen Gäste, die wir gestern empfangen konnten, haben alle ausgedrückt, wie beeindruckt unsere befreundeten Partner in der Welt von dieser friedlichen Revolution gewesen sind. Jeder hier weiß, dass das auch viel Staatskunst verlangt hat. Jeder kennt die Rolle von Helmut Kohl, von Hans-Dietrich Genscher und - es wächst zusammen, was zusammen gehört - von Willy Brandt; er sei ausdrücklich genannt. Aber niemand darf dabei vergessen: Die wahren Helden waren diejenigen, die nicht wussten, ob auf sie geschossen wird, als sie auf die Straße gingen. Das waren die wahren Helden dieser Zeit.

Meine Damen und Herren, das hat natürlich auch viel mit außenpolitischer Tradition und Kontinuität zu tun gehabt. In Wahrheit ist die Außenpolitik seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wirklich großes Inventar unserer Republik. Diese Kontinuität hat die Außenpolitik aller Regierungen vor uns - aller Regierungen - ausgezeichnet, und diese Kontinuität wird selbstverständlich auch jetzt fortgesetzt werden. Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik, sie ist interessengeleitet, aber sie ist ausdrücklich auch werteorientiert. Das ist der Kompass. Der galt früher, und der gilt auch in Zukunft.

Das hat die Angst vieler Völker der Welt vor uns Deutschen genommen, das hat uns in die friedliche Völkergemeinschaft zurückgeführt. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich gleich am Anfang sagen: Wir stehen mit dieser Bundesregierung für eine Einbindung unserer Politik in die europäische Politik und in die Politik der Völkergemeinschaft. Wir wollen keine Alleingänge, sondern wir wollen gemeinsames Handeln; auch dies ist wichtig.

Ich möchte nachdrücklich sagen: Es soll jedem klar sein, dass Kontinuität nicht mit Ideenlosigkeit verwechselt werden darf. Jeder setzt seine eigenen Akzente. Ich möchte ausdrücklich hinzufügen: Das hat auch Bundesaußenminister Steinmeier getan. Da es das erste Mal ist, dass ich in diesem Hohen Hause in meinem neuen Amt sprechen darf, möchte ich mich bei ihm, gewissermaßen in Abwesenheit - ich hätte es ihm gerne persönlich gesagt -, für seine Amtsführung in den letzten Jahren sehr herzlich bedanken.

Es ist immer so: Jeder denkt natürlich an die eigene Handschrift, an die eigenen Akzente, und es gibt Dinge, die aus meiner Sicht und aus Sicht der Bundesregierung vielleicht noch besser gemacht werden können. Ich möchte zunächst vor allen Dingen auf die Europapolitik Bezug nehmen.

Ich habe sehr früh, lange vor der deutschen Einheit, von Hans-Dietrich Genscher ein Selbstverständnis gelernt, das mich sehr geprägt hat. Damals sagte er mir als jungem Studenten: Die Europäische Union heißt Europäische Union und nicht Westeuropäische Union. - Das ist kein selbstverständlicher, einfach so dahingesprochener Satz, sondern es ist in Wahrheit ein Auftrag an unsere Generation, zu vollenden, was andere vor uns begonnen haben - abermals seien zum Beispiel Willy Brandt und Walter Scheel genannt -, dass die tiefe Freundschaft, die wir mit unseren westlichen Nachbarn erreichen konnten - wir sprechen längst nicht mehr nur von Partnerschaft, sondern selbstverständlich von einer Freundschaft der Völker -, auch mit unseren östlichen Nachbarländern möglich wird, dass sie wächst und dass sie gedeiht.

Deswegen habe ich meine erste Antrittsreise nach Polen unternommen. Ausdrücklich habe ich als erstes Land, in das ich im Rahmen meiner Antrittsbesuche gereist bin, Polen und dort Warschau besucht. Das soll auch von mir ganz persönlich ein klares Bekenntnis sein: Wir wollen, dass die Freundschaft, die zum Beispiel im deutsch-französischen Verhältnis, gewachsen ist, auch für das deutsch-polnische Verhältnis selbstverständlich wird. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass die Ressentiments, die es selbstverständlich gibt - wie könnte es in Anbetracht unserer Geschichte auch anders sein? -, als Vergangenheit zurückbleiben.

Wie jeder von Ihnen habe ich in meiner politischen Laufbahn viele Gespräche geführt und das eine oder andere fürs Leben mitgenommen. So ist es mir wichtig, dass ich in den 90er-Jahren - schon etwas näher an der Politik stehend: im Vorstand meiner Partei, später als Generalsekretär und dann als junger Abgeordneter - noch erlebt habe, wie Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher in der Europapolitik immer größten Wert darauf gelegt haben, dass Europa nicht nur ein Konzert der großen Staaten in Europa ist. In Europa gibt es keine kleinen Länder. Auch die geografisch kleinen Länder sind in Europa ganz groß, auf Augenhöhe. Respekt vor allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, das soll unsere, das wird auch meine Handschrift sein.

Deswegen ist es mir ein Anliegen gewesen - und ich werde das in dieser Woche fortsetzen -, gleich am Anfang selbstverständlich nicht nur Frankreich, unseren wunderbaren Freund und Nachbarn, zu besuchen, sondern auch die kleineren Nachbarländer, die Beneluxländer, wie sie oft genannt werden, aufzusuchen.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es gibt doch keine mehr!)

Ich habe es doch gerade erklärt; vielleicht ertragen Sie es einfach mal. Ich glaube, dass Sie es verstehen können. Ich bitte wirklich darum. - Ich halte es deshalb für so wichtig, diese Länder zu besuchen, weil ich es nicht gut finde, wenn Länder wie beispielsweise Luxemburg, wenn Länder wie die Niederlande oder wenn Länder wie Belgien das Gefühl bekommen, gewissermaßen eingedrängt oder nicht genügend beachtet zu werden. Ich war persönlich überrascht, dass der letzte bilaterale Besuch eines deutschen Außenministers in Belgien - nicht in Brüssel/Europa, sondern in Belgien - neun Jahre zurücklag.

Ich glaube, es ist wichtig, dass, gerade weil Deutschland ein so großes Land ist, wir als Deutsche Wert darauf legen: In Europa wollen wir uns mit Respekt begegnen. Deswegen haben wir unsere Sprache, selbst wenn es Kontroversen gibt, so zu wählen, dass sich niemand in unseren Nachbarländern, auch nicht in Luxemburg, beleidigt und gekränkt fühlen muss.

Schließlich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist es wichtig und selbstverständlich Tradition, dass alle bisherigen deutschen Regierungen das transatlantische Verhältnis als eine ganz besondere Partnerschaft angesehen haben. Wir wollen Partnerschaft mit vielen Ländern in der Welt, wir wollen uns bemühen, mit vielen Ländern in der Welt - mit ärmeren wie reicheren, mit geografisch größeren wie kleineren - gute Beziehungen zu pflegen. Aber außerhalb von Europa sind die Vereinigten Staaten von Amerika nicht nur unser stärkster, sondern auch unser treuester Verbündeter. Wir stünden nicht hier mit freier Rede an diesem Platz, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika nicht dafür geradegestanden hätten, in ihrer gesamten gemeinsamen Geschichte mit uns.

Sie werden nicht erwarten, dass man in den ersten Tagen über alles Bilanz zieht und über alles schon eine abschließende Meinung hat. Ich habe jetzt viele Außenminister getroffen, hatte die Ehre, mit vielen Regierungschefs zu sprechen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit es Sie beruhigt: Alle hatten einmal ihren ersten Tag. Dementsprechend will ich nicht den Eindruck erwecken, als sei schon alles aufgeschrieben und abschließend benannt. Ich möchte Ihnen anbieten, dass wir in den großen Fragen, die vor uns liegen - ob es um das Konzept der selbsttragenden Sicherheit in Afghanistan geht; ob es um den Iran geht; ob es darum geht, die Rede, die Bundeskanzlerin Merkel in Washington gehalten hat, in der Völkergemeinschaft politisch mehr und mehr mit Leben zu erfüllen -, gemeinsam die Politik besprechen. Es geht jetzt darum, dass wir uns diesen Herausforderungen stellen.

Ich möchte Sie herzlich um Ihre Zusammenarbeit bitten. Gleichzeitig biete ich Ihnen als den Abgeordneten hier in diesem Hohen Hause, und zwar allen Fraktionen, nachdrücklich eine faire und gute Zusammenarbeit an, weil ich glaube, dass Außenpolitik vor allen Dingen eine gemeinsame Politik unseres Landes ist.

Ich danke deshalb auch sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

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