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Grußwort von Außenminister Steinmeier anlässlich der Aufführung des „War Requiem“ am 28. Juni 2014 im Berliner Dom

29.06.2014 - Rede

--- es gilt das gesprochene Wort ---


Lieber Herr Faigle,
lieber Markus Meckel,
liebe Petra Merkel,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

heute vor hundert Jahren feuerte der 19-jährige Gymnasiast Gavrilo Princip in Sarajewo seine tödlichen Schüsse auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie ab.

Dieser 28. Juni 1914 hat die Welt von Grund auf verändert. Nationale Eiferei, der Ausfall und das Versagen der Diplomatie und die verhängnisvolle Sucht nach Weltgeltung in den europäischen Kabinetten rissen ganz Europa in den Wochen nach dem Attentat in den Abgrund des Ersten Weltkriegs.

Am 4. August, drei Tage nachdem die europäischen Mächte die Kriegsmaschine in Gang gesetzt hatten, rechtfertigte der damalige Oberhofprediger Ernst von Dryander den kommenden Krieg als „Kampf für unsere Kultur (…) und gegen die Barbarei“.

Das war hier im Berliner Dom.

Ein Jahrhundert später ist das falsche Pathos solcher Phrasen abgeblättert. Nie ist in einem Jahrhundert so viel Kultur vernichtet worden wie im 20.; und nie vorher hat die Welt so grenzenlose, menschenverachtende Barbarei erleben müssen. Geblieben ist das Gedenken an die Opfer. Mehr als 15 Millionen Soldaten sind zwischen 1914 und 1918 auf den Schlachtfeldern gestorben. Millionen Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder, haben in den finsteren Jahren dieses ersten globalen Krieges ihr Leben verloren. Wie Erich Maria Remarque geschrieben hat: Eine ganze Generation junger Europäer ist ausgelöscht worden.

Eines ist in der Rückschau besonders bedrückend: Nicht einmal die Schrecken des Ersten Weltkrieges haben ausgereicht, um Europas Diplomatie vom Irrglauben an beherrschbare Kriege und vom nationalistischen Wahn zu heilen.

Dafür stehen in einzigartiger Weise die Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten, die in den Jahren zwischen 1939 und 1945 erneut Tod und Leid über Europa und die Welt brachten.

Dieses „Leid des Krieges“ sei „sein Thema“, hat Benjamin Britten seinem „War Requiem“ vorangestellt. Nach 1945 zum Andenken an vier gefallene Freunde komponiert und in der von deutschen Bombern zerstörten Kathedrale von Coventry uraufgeführt, ist das Requiem zum musikalischen Denkmal der Toten zweiter Weltkriege geworden.

Was ihnen widerfahren ist, verpflichtet uns heute, Lehren aus der opferreichen Geschichte des zwanzigsten Jahrhundert zu ziehen und die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.

Hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs, 75 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen und 25 Jahre nach Ende des Kalten Krieges müssen wir uns deshalb einer neuen Spaltung Europas entgegenstemmen. Ein „friedliches und einiges Europa“ ist nicht nur eine der vielen Lehren aus der Vergangenheit. Es ist vor allem unsere beste, die beste Antwort auf die Fragen der Gegenwart. Abende wie dieser machen uns das eindringlich bewusst.

Dafür danke ich dem Chorverband Berlin, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und dem Berliner Dom.

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