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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth beim Festakt zum 20. Jubiläum der Deutsch-Tschechischen Erklärung in der Karls-Universität Prag

30.01.2017 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Sehr geehrte Damen und Herren,

„Politik ist nicht die Kunst des Möglichen, sondern des Unmöglichen.“ Das sagte einmal Vaclav Havel. Kaum ein Satz passt wohl besser zu der dramatischen Lage, in der sich unser Europa zu Beginn des Jahres 2017 befindet. Ist Europa zu einer „Mission Impossible“ geworden?

Selten zuvor war die Europäische Union innen- und außenpolitisch so gefordert wie derzeit. Insbesondere am Umgang mit Flüchtlingen hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt: Wir brauchen endlich wieder mehr Solidarität in der EU. Europa steht derzeit vor einer Mammutaufgabe. Wir werden sie aber nur miteinander und nicht gegeneinander lösen können.

In Europa ist nun Zusammenhalt gefragt. Oder wie Vaclav Havel es uns wohl ins Stammbuch schreiben würde: Wir brauchen den Willen und die Kompromissbereitschaft, um auch für scheinbar hoffnungslos festgefahrene Konflikte neue Lösungswege zu finden. Das Unmögliche möglich machen – das ist der Anspruch an uns alle, die wir derzeit in Europa politische Verantwortung tragen.

Nationale Alleingänge, gegenseitige Vorwürfe und europafeindliche Parolen sind ein Irrweg! Aufeinander zuzugehen, einander zuzuhören und gemeinsam nach tragfähigen Kompromissen suchen – das ist gerade angesichts der derzeitigen Meinungsverschiedenheiten wichtiger denn je. Es droht die Gefahr einer Spaltung der EU. Dies wollen und müssen wir verhindern. Gemeinsam.

Europa braucht jetzt Teamgeist. Und diesen Teamgeist haben unsere beiden Länder in den vergangenen 20 Jahren auf vorbildliche Art und Weise vorgelebt. Mit der Unterzeichnung der Deutsch-Tschechischen Erklärung legten wir 1997 den Grundstein für die enge Partnerschaft zwischen unseren beiden Staaten. Diese Erklärung ist das Fundament unserer freundschaftlichen Beziehungen. Sie ist ein echter Mutmacher. Sie zeigt, was wir gemeinsam schaffen können, wenn wir es nur wollen. Genau diesen Geist brauchen wir auch heute, wenn wir auf die Bewährungsproben blicken, die vor uns liegen.

Die vergangenen Jahre waren für das deutsch-tschechische Verhältnis eine gute Zeit – so viel gelebte Nachbarschaft, so viel Zusammenarbeit, so viel politischer Austausch und so viel Einvernehmen hat es zwischen unseren Ländern noch nicht gegeben.

Viele bewundern uns dafür, welche Wirkung die Erklärung in den vergangenen zwei Jahrzehnten entfaltet hat – nicht zuletzt durch die beiden Instrumente, die auf ihr gründen: Den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und das Deutsch-Tschechische Gesprächsforum.

Aber diese Bewunderung, diese Anerkennung, geht auch mit einer Verpflichtung einher: Gerade jetzt dürfen wir uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Ganz im Gegenteil, wir müssen jeden Tag aufs Neue für eine vertrauensvolle und gleichberechtigte Partnerschaft kämpfen. Genau das ist auch der tiefere Sinn der Erklärung, die wir kürzlich in Berlin unterschrieben haben.

Das besondere Gewicht, das wir diesem Jahrestag beimessen, zeigt sich auch daran, dass wir ihn gleich doppelt begehen. Denn wir feiern das Jubiläum in beiden Hauptstädten. So wie heute hier in Prag haben sich am 25. Januar unsere Außenminister in Berlin getroffen. Was mich besonders freut: die Finanzierung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds wurde für weitere zehn Jahre sichergestellt.

Dennoch dürfen wir trotz des feierlichen Anlasses nicht einfach selbstgefällig stehen bleiben. Wir stehen nicht nur als Deutsche und Tschechen in der Pflicht. Wir sind als überzeugte Europäerinnen und Europäer gefordert, die bewiesen haben, dass gemeinsam selbst das Undenkbare möglich werden kann.

Wir tragen gemeinsam Verantwortung für Europa und nur gemeinsam sind wir stark. Was uns mit der Deutsch-Tschechischen Erklärung gelungen ist, müssen wir auch mit Europa schaffen: nämlich eine gemeinsame Grundlage für eine gute Zukunft zu schaffen. Wir dürfen angesichts der großen Aufgaben, die vor uns liegen, nicht zweifeln oder resignieren. Wir müssen mutig und hoffnungsfroh sein, die Ärmel hochkrempeln und die Bewährungsproben mit vereinten Kräften angehen.

Ganz leicht fällt das zugegebenermaßen derzeit nicht: Denn Europa befindet sich in schwerem Fahrwasser – und das nicht nur aufgrund des Ausgangs des britischen Referendums. Für viele Menschen hat der europäische Einigungsprozess an Strahlkraft verloren, bei einigen ist die EU sogar zur Projektionsfläche eines weitverbreiteten Unbehagens mit der Globalisierung geworden.

Wir müssen eine Antwort finden auf die Angst vor Kontrollverlust, die dazu führt, dass immer mehr Menschen auf Abschottung, Abgrenzung und einen Rückzug ins nationale Schneckenhaus setzen.

Niemals dürfen wir vergessen: 70 Jahre Frieden in der Europäischen Union sind keine Kleinigkeit. Sie sind ein einzigartiger Erfolg unserer europäischen Einigung. Die EU ist eben nicht das Problem, sondern ein Teil der Lösung. Europa ist unsere Lebensversicherung in dieser stürmischen Zeit der Globalisierung.

Gemeinsam sind wir stärker – das war vor zwanzig Jahren der Leitgedanke der Deutsch-Tschechischen Erklärung, Sie mag vielleicht nicht die Blaupause für alle Probleme sein. Aber wenn wir sie Tag für Tag mit Leben füllen, können wir wichtige Impulse geben und Vorbilder für andere sein.

Wir sollten auch im deutsch-tschechischen Verhältnis darüber diskutieren, welches Europa wir wollen, welche Erneuerung wir brauchen. Wir brauchen diesen Austausch, vor allem mit jungen Menschen.

Der im Juli 2015 ins Leben gerufene Deutsch-Tschechische Strategische Dialog ist ein gutes Beispiel dafür. Dieser Dialog hat die Beziehungen weiter verbreitert und angetrieben, er hat konkrete neue Initiativen hervorgebracht. So auch den von Vladimir Spidla und mir im Januar 2016 begründeten Migrationsdialog, der im November in der ganz konkreten Initiative der gemeinsamen Unterstützung eines Projekts in Jordanien gemündet ist.

Heute Nachmittag wurde der Strategische Dialog ausgewertet. Herr Außenminister, Sie können es bezeugen: Der Dialog hat die Prüfung bestanden. Und deshalb sollte er unbedingt fortgesetzt werden. Denn er bietet eine Chance, Europa mit gemeinsamen Ideen und Initiativen voran zu bringen.

Deutsche und Tschechen können Vorbilder sein: Meinungsunterschiede in der EU werden im partnerschaftlichen Dialog gelöst. Wir haben in den deutsch-tschechischen Beziehungen – wenn man unsere Geschichte bedenkt – so unglaublich viel erreicht. Damit können wir jetzt unseren gemeinsamen Beitrag leisten, um europäische Antworten auf europäische Krisen zu finden. Wir haben vor 20 Jahren eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, die uns Mut gemacht hat, gemeinsam und vertrauensvoll in die Zukunft zu schauen. Lassen Sie uns diese wunderbaren Erfahrungen in die Europäische Union tragen. Dann wird auch das derzeit unmöglich Erscheinende möglich.

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