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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth beim Dialogforum Stipendienprogramm „Geh Deinen Weg“

29.03.2017 - Rede

Meine Damen und Herren,

ich freue mich sehr, heute der Aufnahmezeremonie neuer Stipendiatinnen und Stipendiaten beizuwohnen und damit auch das fünfjährige Jubiläum des Programms „GEH DEINEN WEG“ mit Ihnen zu feiern. Nicht umsonst begleite ich selbst auch immer wieder junge Menschen unter Ihnen.

Das mache ich nicht nur gerne, weil ich selbst weiß, dass es hin und wieder einfach eines hilfreichen Hinweises oder ermunternden Wortes bedarf, sondern weil es auch mich bereichert.

Ihre bunten Lebensgeschichten und die Selbstverständlichkeit, mit der Sie sich zwischen verschiedenen Welten und Kulturen bewegen, sind ja kein Manko! Im Gegenteil! Sie sind ein Gewinn, für Sie ganz persönlich, aber auch für uns alle! Neugier und Offenheit gegenüber anderen Kulturkreisen und anderen Sprachen: Das tut unserem Land gut!

Sie verfügen damit über einen Schatz, den sich andere - so wie ich - erst aneignen müssen. Austausch, Begegnung, eine andere Perspektive einnehmen ist keine leichte Übung. Es ist jedoch unerlässlich für das Zusammenleben und das Miteinander in einer demokratisch verfassten Gesellschaft, in einem demokratisch verfassten Europa.

Als das Programm 2012 ins Leben gerufen wurde, habe ich mir nicht ausmalen können, dass die EU vor derartigen Bewährungsproben steht und Populisten und Nationalisten so viel Raum in der öffentlichen Debatte einnehmen.

Wir haben es hier mit einer gesamteuropäischen, brandgefährlichen Entwicklung zu tun. Nationale Abschottung und eine Abkehr von internationaler Zusammenarbeit sind in Europa, ja weltweit salonfähige Forderungen geworden, mit denen sich inzwischen sogar Wahlen gewinnen lassen.

Von den politischen Rändern bis in die Mitte unserer Gesellschaft frisst sich derzeit die irrige Auffassung, nationale Alleingänge seien das beste Rezept für die drängenden Fragen dieser Zeit.

Abschottung und Ausgrenzung, die abstruse Idee einer homogenen Gesellschaft propagieren Nationalisten überall. Ihnen dürfen wir niemals das Feld überlassen. Sie wollen uns weismachen, dass die von uns gelebte wie geliebte Vielfalt nicht Inspiration, sondern Bedrohung bedeutet. Ja, sie mag bisweilen anstrengend sein. Aber sie macht uns stärker und reicher.

Um es einmal sehr deutlich zu machen: Selbstverständlich passen der Islam, passen andere Religionen, Ethnien und Kulturen zu Deutschland und zu Europa. Selbstverständlich bedarf es eines entsprechenden Maßes an Offenheit, Respekt und Toleranz auf allen Seiten, damit das Zusammenleben gelingt. Das bedeutet mitnichten Beliebigkeit, sondern eine wertegebundene Verlässlichkeit.

Wer zu uns kommt, der muss unsere Grundwerte respektieren – ohne Wenn und Aber. Diese Werte müssen jedoch vermittelt und angenommen werden – in Kindergärten, in Schulen, an Unis, in Vereinen und in der Nachbarschaft. Das kann nur mit Offenheit und Respekt gelingen.

Der österreichisch-britische Philosoph Karl Popper, eine wichtige Stimme für Freiheit und offene Gesellschaften, hat einmal gesagt: „Im Namen der Toleranz sollten wir uns das Recht vorbehalten, die Intoleranz nicht zu tolerieren“.

Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten sind dazu verpflichtet, Pluralismus, Nichtdiskriminierung und Toleranz zu schützen. Wir wollen ohne Angst verschieden sein - unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, religiöser Zugehörigkeit oder sexueller Identität. Wir müssen Haltung zeigen, denn für Diskriminierung ist in unseren Gesellschaften kein Platz.

Es macht mich wütend, dass die Inhaftierung von Deniz Yücel dazu missbraucht wird, die doppelte Staatsbürgerschaft infrage zu stellen. Nicht die doppelte Staatsbürgerschaft des Journalisten sondern seine inakzeptable Inhaftierung durch die Türkei ist das Problem.

Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund leben in unserer Mitte. Sie tun es, ob mit oder ohne doppelte Staatsbürgerschaft. Ich würde mir wünschen, dass noch viel mehr junge Leute sich dazu entschließen, deutsche Staatsbürger zu werden.

Wir brauchen sie. Ich will, dass sie als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden und Verantwortung übernehmen. Für unser Land. Ich kann verstehen, dass nicht wenige die ursprüngliche Staatsbürgerschaft behalten wollen, weil sie sich zu ihren Wurzeln bekennen wollen. Die doppelte Staatsbürgerschaft spiegelt damit auch die Wirklichkeit eines bunten und weltoffenen Europas und Deutschlands wider.

Ja, Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren ganz besonders weltoffenen gezeigt. Fast 1,3 Millionen Geflüchtete kamen 2015 und 2016 in unser Land. Viele dürften dauerhaft bei uns bleiben. Und wir haben gelernt. Für uns stehen Integration und Willkommenskultur im Mittelpunkt unseres Einsatzes. Das war nicht immer so.

Im Rückblick müssen wir heute selbstkritisch eingestehen: Es war eines der größten Versäumnisse unserer Nachkriegsgeschichte, bei der sogenannten Gastarbeitergeneration auf Sprachkurse, Migrationsberatung und eine vorausschauende Integrationspolitik verzichtet zu haben.

Menschen, die in Deutschland dauerhaft eine neue Heimat finden wollen, müssen sich auf unser Land einlassen. Ihr Platz ist in der Mitte, nicht am Rand unserer Gesellschaft. Selbstverständlich werden auch wir uns verändern. Schließlich wollen wir ein buntes, weltoffenes Einwanderungsland sein. Integration ist keine Einbahnstraße.

Es wird auf Dauer kaum funktionieren, den Zuwanderern einfach zu sagen: „Wir sind in der Mehrheit. Passt Euch gefälligst an!“

Sie hier im Saal haben ebenso wie eine Reihe meiner Kolleginnen, Mitarbeiter, Freundinnen und Familienangehörigen einen Migrationshintergrund. Sie zeigen Gesicht und sind vielen ein Vorbild. Verstecken Sie sich nicht! Machen Sie anderen Mut!

Sie müssen in unserer Gesellschaft sichtbar sein, sei es in der Wirtschaft, in Behörden, der Wissenschaft, den Medien, der Kultur und auch in der Diplomatie und der Politik.

Ich bin mir sicher, dass es in einigen Jahren auch eine Reihe deutscher Botschafterinnen und Botschafter mit „bunten“ Biographien und Lebensgeschichten geben wird. Und wenn ich mich hier im Saal so umschaue: Warum nicht auch eine oder einer von Ihnen?! Mich würde das sehr freuen.

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