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Vietnam: „So etwas tolerieren wir unter keinen Umständen“

07.08.2017 - Interview

Außenminister Sigmar Gabriel zur mutmaßlichen Verschleppung eines vietnamesischen Staatsangehörigen in Berlin. Erschienen u.a. in den Stuttgarter Nachrichten (07.08.2017). Weiteres Thema: Türkei.

Außenminister Sigmar Gabriel zur mutmaßlichen Verschleppung eines vietnamesischen Staatsangehörigen in Berlin. Erschienen u.a. in den Stuttgarter Nachrichten (07.08.2017). Weiteres Thema: Türkei.

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Herr Minister Gabriel, dass in der Türkei deutsche Staatsbürger wie der Journalist Deniz Yücel oder der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner ins Gefängnis geworfen wurden, ist leider kein Einzelfall mehr. Wird es ein Einzelfall bleiben, dass mitten in Berlin ein vietnamesischer Geschäftsmann und Regierungskritiker entführt und vom Geheimdienst nach Hanoi verschleppt wurde?

Das Verhalten der vietnamesischen Geheimdienste auf deutschem Boden ist vollkommen inakzeptabel. Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: So etwas tolerieren wir unter keinen Umständen. Und werden das auch so nicht stehen lassen. Deshalb haben wir auch sofort entschieden, einen Verantwortlichen zur unerwünschten Person zu erklären.

Sehen Sie bei der vietnamesischen Regierung die Bereitschaft für eine rasche Rückkehr von Trinh Xuan Than nach Berlin?

Wir haben der vietnamesischen Regierungen unsere Haltung und unsere Erwartungen unmissverständlich übermittelt. Es gibt darauf noch keine offizielle Antwort. Jedenfalls behalten wir uns vor, wenn erforderlich, auch weitere Maßnahmen zu ergreifen.

Welche Mittel kommen infrage, um die Rückkehr des Mannes doch noch zu erreichen?

Ich denke, hier und jetzt ist das nicht der richtige Ort, um das auszubuchstabieren. Aber wir werden jetzt natürlich nicht einfach so zum Alltag zurückkehren, so als sei nichts gewesen. Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht in den bilateralen Beziehungen. Handel und Investitionen haben sich rasant entwickelt, das Land feiert große Wachstumserfolge, in Vietnam laufen viele gute und wichtige entwicklungspolitische Projekte. Umso unverständlicher ist es, dass vietnamesische Stellen offensichtlich in Kauf nehmen, das aufs Spiel zu setzen. Was in Berlin Ende Juli geschehen ist, belastet das deutsch-vietnamesische Verhältnis enorm. Die deutsche Wirtschaft ist verständlicherweise verschreckt, auch weil es offenbar manchen Verantwortlichen Vietnams an Respekt vor der Partnerschaft mit Deutschland und den Regeln von Recht und Gesetz gebricht.

Kommen wir von diesem neuen Krisenherd zurück zu einem altbekannten: Vor gut einem Jahr war der Putsch in der Türkei. Sehen Sie Indizien, dass der türkische Präsident wieder auf einen moderateren, demokratischeren Kurs zurückkehren könnte?

Der Kurswechsel in der Türkei ist ja nicht von heute auf morgen eingetreten. Der gescheiterte Putsch war vielleicht eher ein Katalysator als ein Wendepunkt für die Politik von Präsident Erdogan. Einschränkungen der Pressefreiheit, der Umgang mit der kurdischen Minderheit und anderes mehr machen uns seit Jahren wachsende Sorgen. So sehr ich mir dies wünschen würde, im Moment sehe ich keine Anzeichen für einen grundlegenden Wandel dieser Politik. Wir sind bereit, der Türkei die Hand zu reichen. Aber es braucht Veränderungen in Ankara, im Ton und in der Sache, um einen neuen Anfang schaffen zu können.

Was hat die Neujustierung der deutschen Türkeipolitik ausgelöst?

Die willkürliche Festnahme von Peter Steudtner, einem unbescholtenen Deutschen, ist einfach völlig inakzeptabel. Wir mussten lernen, dass sich unsere Geduld und die Bereitschaft zum fairen Dialog in keiner Weise ausgezahlt hat. Im Gegenteil: Es wurde jedes Mal schlimmer. Nun sind es schon neun Deutsche, die ohne Kenntnis über die ihnen zur Last gelegten Straftaten sind oder sich an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfe erwehren müssen. Wer Deutsche so behandelt, kann nicht im Ernst erwarten, dass wir in den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen so tun, als sei alles prima.

Das spricht doch für ein Ende der EU-Beitrittsgespräche?

Die Europäische Union ist in ihrem Kern eine Wertegemeinschaft. Die Türkei möchte seit Langem ein Teil dieser Gemeinschaft werden. Dann muss sie aber auch unsere europäischen Werte als eigene akzeptieren und entsprechend handeln. Es ist deshalb an der Türkei zu entscheiden, welchen Weg sie gehen möchte: Richtung Westen, hin zu Europa, mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Presse- und Meinungsfreiheit, oder nach Osten, in eine an Konflikten und Spannungen so reichen Region. Ich denke und hoffe, die Menschen in der Türkei wissen, welche Entscheidungen von historischem Ausmaß für sie und ihr Land am besten getroffen werden sollten.

Interview: Bärbel Krauß

www.stuttgarter-nachrichten.de

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