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„Wir dürfen kein Interesse daran haben, dass G8 auf Dauer ein G7-Format bleibt“

04.06.2015 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zum bevorstehenden G7-Gipfel und zur Situation in der Ukraine. Erschienen in der Neuen Osnabrücker Zeitung (04.06.2015).

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zum bevorstehenden G7-Gipfel und zur Situation in der Ukraine. Erschienen in der Neuen Osnabrücker Zeitung (04.06.2015).

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Herr Steinmeier, was versprechen Sie sich vom G7-Gipfel am Wochenende in Bayern?

In einer Welt voller Krisen ist es gut und richtig, dass sich die großen, wirtschaftsstarken Staaten treffen und miteinander beraten. Das gilt mit Blick auf den Kampf gegen radikale Gruppierungen im Mittleren Osten, aber auch auf wirtschaftliche Gefahren, wie sie von ungelösten Problemen südlich des Mittelmeers wie in Libyen ausgehen. Und nicht zuletzt ist da eine Lage in der Ukraine, die auch vier Monate nach den Minsker Vereinbarungen immer noch instabil ist.

In welchem Bereich erwarten Sie die größten Fortschritte?

Ich hoffe, dass es Verständigungen bei der internationalen Kooperation zur Bekämpfung von Krankheiten und Epidemien in den ärmeren Regionen der Welt geben wird, vor allen Dingen in Afrika. Wir waren nicht gut genug aufgestellt, um der Ebola-Epidemie schnell genug Herr zu werden. Wir können froh sein, dass die gemeinsamen Anstrengungen am Ende dann gegriffen haben. Beim nächsten Mal müssen wir schneller sein. Auch dazu wird es auf dem G7-Gipfel Verabredungen geben.

Die deutsche Wirtschaft wünscht sich ein Memorandum gegen Wirtschaftsspionage. Welche Chancen sehen Sie dafür?

Auf dem G7-Gipfel wird keiner der Staaten dem Kampf gegen Wirtschaftsspionage widersprechen. Ob das sicherstellt, dass es nun keine Wirtschaftsspionage mehr gibt, ist eine andere Frage, auch weil es nicht nur staatliche Akteure sind, die Interesse an der Ausforschung ihrer Konkurrenten haben.

Wie steht es um Griechenland?

Wir wollen Griechenland in der Eurozone halten. Erstens, weil wir wissen, dass die Folgen des Ausscheidens für Griechenland katastrophal wären. Zweitens aber auch, weil das Ausscheiden von Griechenland den Anfang neuer wirtschaftlicher Instabilitäten in der Eurozone bedeuten könnte. Aber den Weg zu einer Lösung werden wir nicht ohne Griechenland finden können. Jean-Claude Juncker bemüht sich mit Christine Lagarde und Mario Draghi, Athen vernünftige Vorschläge zum Reformkurs zu machen. Es ist jetzt an der Regierung in Athen zu entscheiden, ob sie diesen Weg mitgehen oder nicht.

Wäre es nicht hilfreich, auf dem G7-Gipfel die Russen dabei zu haben?

Wir dürfen kein Interesse daran haben, dass G8 auf Dauer ein G7-Format bleibt. Im Gegenteil: Wir brauchen Russland dringend bei der Lösung von festgefahrenen Konflikten in unserer europäischen Nachbarschaft wie in Syrien, im Irak, in Libyen und beim iranischen Atomprogramm. Aber wir konnten nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, als Russland mit der Annexion der Krim Völkerrecht gebrochen hatte und nicht bereit war, sein Handeln zu korrigieren. Die Destabilisierung der Ostukraine durch militärische Unterstützung der Separatisten kam hinzu. Ich hoffe, dass uns unser Ansatz aus politischem und wirtschaftlichen Druck einerseits und der Suche nach Dialog mit Russland andererseits aus einer für ganz Europa gefährlichen Situation in der Ukraine herausbringt.

Wie ist der Stand bei der Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk?

Wir sind weit davon entfernt, die Minsker Vereinbarungen schon umgesetzt haben, aber zweifellos wirken sie mäßigend auf das Kampfgeschehen, selbst wenn der Waffenstillstand immer noch brüchig ist.

Sie waren in Kiew, um das Einhalten des Waffenstillstands zu forcieren – in Kiew, wohlgemerkt. Heißt das, dass gegenwärtig eher dort der Schlüssel liegt und nicht in Moskau?

Die Minsker Vereinbarung setzt sich nicht von selbst um. Nichts ist einfach oder ginge von alleine, sondern wir müssen jeden Tag aufs Neue gemeinsam mit Frankreich gegenüber den Konfliktparteien Druck machen, damit es weiter geht. Die entscheidende Voraussetzung dafür ist ein nachhaltiger Waffenstillstand. Deshalb konzentrieren wir uns darauf, gemeinsam mit der OSZE die Lage an den Orten zu beruhigen, an denen noch gekämpft wird, wie am Flughafen von Donezk oder in der kleinen Gemeinde Schyrokyne bei Mariupol. Gemeinsam mit Russland und der Ukraine haben wir auch vereinbart, dass schon jetzt die Vorbereitungen für verstärkte humanitäre Hilfe im Osten der Ukraine und erste Maßnahmen zur Wiederherstellung unterbrochener Infrastruktur wie Wasserversorgung oder Eisenbahnlinien beginnen.

Inwieweit hat die Führung in Kiew die volle Kontrolle über die bewaffneten Kräfte auf ihrer Seite?

Ob das zu jedem Zeitpunkt gegeben war, scheint mir fraglich. Aber Präsident Poroschenko bemüht sich sichtbar, die freiwilligen Bataillone unter das zentrale Kommando der nationalen Armee zu bekommen. Er scheut dafür auch Konflikte nicht. Die Auseinandersetzung mit dem jetzt entlassenen Gouverneur in Dnjepropetrowsk war ein wichtiger Schritt, um Kiews Autorität dort zu stärken, wo Freiwilligenbataillone eine starke militärische Kraft gewesen sind.

Die russischen Einreiseverbote sorgen für Unmut und Aufregung. Wozu raten Sie?

Die bestehenden Sanktionen von europäischer Seite sind kein Selbstzweck. Sie sollten Verhandlungsbereitschaft erzeugen und den Weg zu einer militärischen Beruhigung und politischen Lösung ebnen. Wenn dieser Weg eingeschlagen wird und Russland sich an der vollen Umsetzung die Vereinbarungen von Minsk beteiligt haben wird, gibt es keinen Grund und auch kein Interesse mehr daran, die Sanktionen im bisherigen Umfang aufrecht zu erhalten. Zusätzliche Sanktionen zum jetzigen Zeitpunkt sind allerdings ebenso wenig hilfreich wie die jetzt bekannt gewordene russische Liste für Einreiseverbote westlicher Politiker.

Deutschland gibt der Ukraine aktuell einen 500-Millionen-Euro-Kredit – was passiert mit dem Geld im Fall von Staatspleite oder Umschuldung?

Deutschland tut weitaus mehr. Wir haben uns engagiert bei der humanitären Versorgung, besonders der von der Auseinandersetzung betroffenen Flüchtlingen. Wir werden im Verlauf des Jahres 2015 mit etwa 200 Millionen Euro Projekte finanzieren, die der Wiederherstellung von besseren Lebensbedingungen und dem Wiederaufbau in der Ostukraine dienen. Ferner wird Deutschland Kreditlinien über 500-Millionen-Euro bereitstellen, um die ukrainische Wirtschaft in wichtigen Bereichen zu stärken. Darüber sind wir mit der Ukraine noch im Gespräch. All diese Maßnahmen, zusammen mit denen anderer europäischer Partner, der Europäischen Union und auch der USA, Kanadas und Japans sollen dazu beitragen, die befürchtete Zahlungsunfähigkeit der Ukraine zu vermeiden.

Deutsche Firmen leiden massiv. Der Handel zwischen EU und Russland ist 2014 drastisch eingebrochen, während der mit den USA deutlich zugelegt hat und Milliardendeals erfolgten. Gleichzeitig hatte Washington auf strikte Sanktionen der Europäer gedrängt. Wie verträgt sich das?

Dass eine Entscheidung über Sanktionen auch Folgen für die deutsche Wirtschaft haben würde, war nie ein Geheimnis und leider unvermeidbar. In einzelnen Branchen wie dem Maschinenbau sind Lieferbeziehungen aus der Vergangenheit besonders dicht. Dennoch ist mein Eindruck, dass der größte Teil der Wirtschaft versteht und akzeptiert, dass die Politik reagieren musste auf den Bruch des Völkerrechts. Deutschlands Stärke ist der Export. Der Export lebt von Regeln, die im globalen Markt eingehalten werden. Deshalb weiß auch die deutsche Wirtschaft, dass der eklatante Bruch grundlegender Regeln langfristig auch eine Gefährdung ihres Exportmodells ist. Umgekehrt wissen wir, dass es in der Verantwortung der Politik liegt, einen solchen Konflikt nicht treiben zu lassen, sondern nach Lösungen zu suchen, die unser Verhältnis zu Russland wieder planbar machen. Das tun wir.

Gleichwohl: Bleibt es nicht paradox, dass Russlands Handelsvolumen mit den USA steigt, mit Europa aber sinkt?

Das sind Vergleiche, die von russischer Seite gerne ins Feld geführt werden. Aber dabei muss man schon die Größenordnungen einordnen: Der amerikanische Handel mit Russland ist doch eher überschaubar.

Interview: Burkhard Ewert. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Neuen Osnabrücker Zeitung.

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