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„Ein politisches Erdbeben kann ein Weckruf sein.“

11.11.2016 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zum Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen. Erschienen aufwww.spiegel.de (11.11.2016).

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zum Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen.
Erschienen auf
www.spiegel.de (11.11.2016).

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Herr Steinmeier, Sie haben im August, im laufenden US-Wahlkampf, Donald Trump einen „Hassprediger“ genannt, angesichts eines Präsidenten Trump werde ihnen „echt bange“. Bedauern Sie jetzt Ihre Feststellung?

Wie in den USA Wahlkampf gemacht wurde – die Dinge, die gesagt wurden und der Ton, der dabei angeschlagen wurde – , das hat mich verstört – und nicht nur mich. Dass Donald Trump seinen Anteil an der scheinbar grenzenlosen Konfrontation hatte, wird doch niemand bestreiten. Aber jetzt kommt es darauf an, ob der Präsident Trump genauso handelt wie der Wahlkämpfer Trump. Da haben wir einfach zu wenige Anhaltspunkte – wir wissen nicht, was auf uns zukommt.

Gibt es eigentlich Kontakte zum Lager von Trump?

Viele haben schon versucht, eine außenpolitische Doktrin, oder doch mindestens klare und kohärente Positionierungen aus den Äußerungen von Donald Trump herauszulesen. Ohne viel Erfolg. Da sind sehr viele Fragen offen.

Auch von anderen Experten haben Sie nichts erfahren können?

Ich habe mehrfach mit Henry Kissinger in New York über den zu erwartenden außenpolitischen Inhalt und das Personal von Donald Trump gesprochen. Auch der weise alte Mann und ehemalige republikanische Außenminister, zu dem noch jeder amerikanische Politiker in der Hoffnung auf guten Rat gepilgert ist, wusste keine Antwort. Und mit ihm tappt die ganze außenpolitische Community in Washington im Dunklen.

Trump hat in der Vergangenheit irritierende Äußerungen zum Atomwaffeneinsatz gemacht, auch zur Rolle der USA in der Nato. Erwarten Sie da eine Klarstellung des künftigen US-Präsidenten?

Es ist dringend, dass die neue Administration sich nun schnell sortiert und Positionen der neuen US-Regierung entwickelt. Wir werden jedenfalls unsere Sicht der Dinge und unsere Haltung dazu anlanden. Ich weiß aus zahlreichen Gesprächen mit europäischen Nachbarn, wie irritiert sie über abschätzige Äußerungen über die NATO und NATO-Partner sind. Aber selbst wenn die gewünschte Klarstellung kommt: Wir müssen uns darauf einstellen, dass die US-Außenpolitik – mindestens für geraume Zeit - weniger vorhersehbar sein wird. Es bleibt zu hoffen, dass in Regierungsverantwortung nicht alles so heiß gegessen wird, wie es im Wahlkampf vorgekocht wurde. Aber die Erwartungen, die in der amerikanischen Bevölkerung geweckt worden sind, sind riesig.

Welche Folgen hat das für Deutschland?

Wir müssen nicht vor dem Wahlergebnis in Amerika wie das Kaninchen vor der Schlange erstarren, sondern auf das blicken, was uns wichtig ist. Dazu gehört, sich über das zu vergewissern, was wir wollen – und wofür wir im transatlantischen Verhältnis einstehen und gegenüber unseren amerikanischen Partnern mit allem Nachdruck werben werden: Wir stehen für politische Vernunft und außenpolitische Zuverlässigkeit. Und wir stehen für eine politische Kultur, die den politischen Streit nicht scheut, aber Respekt vor dem politischen Gegner bewahrt. Je geeinter Europa in diesen Fragen ist, desto überzeugender werden wir wirken.

Viele Menschen sind in Deutschland in Sorge, das zeigen auch unsere Leserzuschriften. Manche haben Angst vor neuen Kriegen, andere vor einer neuen weltpolitischen Instabilität. Was sagen Sie diesen Menschen?

Ich kann verstehen, dass sich jetzt viele Sorgen machen, welche Folgen das Wahlergebnis für Amerika, für die Welt und für uns in Europa und Deutschland hat. Unsicherheit entsteht aus Ungewissheit. Es ist einfach widersprüchlich, wenn das Motto ist: ‚Making America great again‘ und gleichzeitig der Rückzug aus der Welt propagiert wird, wenn Kritik an amerikanischen Militäreinsätzen geübt und gleichzeitig gefordert wird, schnell Schluss zu machen mit IS in Syrien und im Irak.

Gibt es womöglich mehr US-Militäreinsätze?

Ich bin außerstande vorauszusehen, ob das auf mehr oder auf weniger militärische Aktivitäten der USA hinausläuft, ob das mehr oder weniger Engagement in den Krisenherden der Welt in Syrien, Jemen, Libyen und Nahost bedeutet. Je eher wir Antworten auf die offenen Fragen bekommen, je eher wir wissen, wer in der neuen amerikanischen Administration außenpolitisch Verantwortung tragen wird, desto eher sind wir – hoffentlich – in der Lage, Anlass zur Sorge zu nehmen. Zurzeit müsste ich spekulieren wie Sie.

Rechtspopulisten in Europa, auch in Deutschland, feiern Trump. Betritt der Westen mit Trump an der Spitze des mächtigen Staates der Welt ein Zeitalter der Intoleranz?

Ich werde nicht müde, vor den Folgen einer Politik zu warnen, die sich aus den Ängsten der Menschen speist und nichts als schlichte Antworten auf komplexe Fragen anbietet. Wer den Menschen in einer komplizierten Welt die einfachen Antworten vorgaukelt, belügt sie! Ich glaube fest daran, dass eine solche Art der Politik, mit Wut, Angst und Konfrontation, bei uns Deutschland von einer großen Mehrheit der Menschen abgelehnt wird. Aber dafür müssen wir hart arbeiten, jeden Tag. Und wo Politik anfällig ist für Ängste und Überfremdung, da müssen wir uns eben noch mehr anstrengen, sie noch fester zu bauen. Dafür kann so ein politisches Erdbeben ein Weckruf sein.

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