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CETA gibt uns die Chance, Standards zu setzen. Wir sollten sie nutzen!

09.09.2016 - Interview

Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, erschienen in der Frankfurter Rundschau (09.09.2016)

Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, erschienen in der Frankfurter Rundschau (09.09.2016).

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Nach dem Ergebnis der AfD in Mecklenburg-Vorpommern, nach dem Votum der Briten für den Brexit, nach der Nominierung von Donald Trump fragen wir halb ungläubig, halb entsetzt: „Wie konnte das passieren?“ Die Antwort kann sicher nicht überall gleich ausfallen. Aber eins haben all diese Entwicklungen gemein: Dass es immer mehr Menschen gibt, denen die wachsende Unübersichtlichkeit der Verhältnisse zu anstrengend ist und die sich nicht zurechtfinden in einer komplexen und vernetzten Welt. Das ist keine Entschuldigung! Aber es hilft uns zu verstehen, warum sie auf Populisten vertrauen, die ihnen einfache Antworten vorgaukeln, ganz nach dem Motto: Abschottung ist die beste Lösung.

Aber durch einfache Antworten wird die Welt nicht weniger kompliziert. In Wirklichkeit sind die ganz einfachen Antworten in der Regel keine, die tragen. Im Gegenteil! Politisch führen sie uns in Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit. Wirtschaftlich führen sie uns hin zu Protektionismus. Beide Wege führen gleichermaßen in die Irre – gerade für unser Land, das wie wenige andere wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich mit der Welt vernetzt ist. Sie zu wählen, ist verantwortungslos. Stattdessen müssen wir uns auf den vielleicht steinigeren, aber erfolgversprechenderen Weg machen: Die Freiheit und Offenheit zu verteidigen, und dafür immer wieder auszuhandeln, wie wir künftig zusammen leben und die Globalisierung gerecht und nachhaltig gestalten wollen.

Um diese Frage geht es auch bei CETA. Wir erleben dieser Tage eine heftige, bisweilen ideologische Auseinandersetzung über Sinn und Zweck des Freihandels. Auch hier begegnet uns die Sehnsucht nach Abgrenzung, mal, wenn Offenheit als Bedrohung des eigenen Arbeitsplatzes erlebt wird oder aber, wenn europäische Regelungen per se als überlegen betrachtet werden. Dass diese Debatte ausgerechnet in Deutschland derart vehement geführt wird, mag mit einem Blick auf unsere Wirtschaftsdaten verwundern. Unsere Volkswirtschaft ist doch auch deshalb so erfolgreich, weil wir eine boomende Exportwirtschaft haben. Internationale Zusammenarbeit, wirtschaftliche Verflechtung und offene Märkte haben uns großen Wohlstand beschert. Und unsere demographische Entwicklung wird dazu führen, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit von Exporten eher noch zunehmen wird. Nicht umsonst stehen nicht allein Unternehmen und Wirtschaftsverbände, sondern auch die großen Industriegewerkschaften und die Sozialdemokratie hinter der Idee des Freihandels.

Wir sollten deshalb jede Möglichkeit nutzen, den Freihandel in unserem Sinne und nach unseren Werten auszugestalten. CETA bietet dazu eine Gelegenheit. Es ist wahrscheinlich das beste und fortschrittlichste Handelsabkommen, das die EU jemals ausgehandelt hat. Der Initiative von Sigmar Gabriel, gemeinsam mit den Sozialdemokraten in Europa, ist es zu verdanken, dass ein Abkommen, das bei seinem Amtsantritt bereits ausverhandelt war, noch einmal geöffnet und entscheidend verbessert werden konnte. Er hat die EU-Kommission, die anderen Mitgliedstaaten und die kanadische Regierung von der Notwendigkeit eines modernen und transparenten Investitionsschutzes überzeugt. Erstmals sieht der Vertrag einen öffentlich-rechtlichen Investitionsgerichtshof vor, der die bisherigen Investor-Staat-Schiedsverfahren in Handelsverträgen zwischen EU-Mitgliedstaaten und Kanada ersetzen würde. Kanada und die EU haben sich auch verständigt, auf einen multilateralen Investitionsgerichtshof hinzuarbeiten. Das wird ein Maßstab sein, an dem andere Handelsabkommen gemessen werden.

CETA will Wachstum, Handel und Investitionen fördern, Arbeitsplätze schaffen und erhalten. Gleichzeitig aber bietet das Abkommen Schutz vor unkontrollierter Deregulierung etwa in den Bereichen Kultur und öffentlicher Daseinsvorsorge. Prominent betont bereits die Präambel die Bedeutung von Arbeitnehmer- und Umweltschutz, sozialen Standards und Nachhaltigkeit. Auch die Handlungsspielräume der nationalen Parlamente bleiben gewahrt; auf deren Regulierungshoheit („right-to-regulate“) wird explizit verwiesen. Auch wenn wir im Detail noch über Verbesserungen reden – all dies macht CETA zu einem global vorbildlichen Freihandelsabkommen, das schon heute Standards setzt für die künftige Handelspolitik.

Wenn uns CETA gelingt, dann gewinnen wir nicht nur die Chance, mit einem Land, das uns nahesteht wie wenige andere, Rahmenbedingungen für fairen Handel festzusetzen. Für die Zukunft der europäischen Handelspolitik hat das große Bedeutung. Wir ergreifen eine Möglichkeit, die Globalisierung aktiv mitzugestalten, und zwar im Sinne fairer und allgemeingültiger Regeln. Damit nutzen wir nicht nur dem Erfolg unserer Volkswirtschaft – vor allem stärken wir unsere Glaubwürdigkeit gegenüber denen, die von uns verantwortungsvolle, weitsichtige und rationale Entscheidungen erwarten.

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