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Statement von Bundesminister Steinmeier vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages

14.12.2006 - Pressemitteilung

Eingangserklärung des Bundesministers des Auswärtigen Dr. Frank-Walter Steinmeier in der Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode am Donnerstag, 14. Dezember 2006

Herr Vorsitzender,

sehr geehrte Abgeordnete des Untersuchungsausschusses,

herzlichen Dank für das Wort und die Gelegenheit, dem Ausschuss Auskunft über den Fall El-Masri geben zu können, zu dem Sie mich geladen haben. Das wird nicht ganz ohne Schilderung der Motive und Hintergründe für das Handeln der Bundesregierung bei der Bekämpfung des Terrorismus nach den Anschlägen vom 11. September gehen. Aber haben Sie keine Befürchtung vor einem mehrstündigen Vortrag: Ich habe nicht die Absicht, in Wettstreit mit Kollegen in früheren Untersuchungsausschüssen zu treten. Ich will Ihnen anschließend so offen wie möglich Rede und Antwort stehen, soweit dies mit den gesetzlichen Geheimhaltungspflichten vereinbar ist.

Ich sehe mich hier in zweierlei Eigenschaft: zum einen als Chef des Bundeskanzleramts unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. In diese Zeit fällt der wesentliche Teil des Falles El-Masri, zu dem Sie mich heute als Zeuge geladen haben. Zum anderen spreche ich natürlich auch als Außenminister der jetzigen Bundesregierung.

Ich will in meiner Eingangerklärung ausführlich auf meine Rolle im Fall El-Masri eingehen, aber zunächst kurz den politischen Gesamtzusammenhang in Erinnerung rufen, in dem die Bundesregierung nach dem 11. September 2001 gehandelt hat. Das ist kein Abweichen, sondern in der Sache unverzichtbar. Nur wer sich vergegenwärtigt, welche Lage und welche Stimmung nach den Anschlägen in New York und Washington in Deutschland herrschten, kann zu einer richtigen Einschätzung unserer damaligen Politik und zur Berechtigung von Vorwürfen an handelnde Personen gelangen.

Die Anschläge des 11. September haben die Menschen und die Bundesregierung damals völlig unvermittelt getroffen. Am Tag danach erschien die „Bild“-Zeitung mit der Schlagzeile „Großer Gott, steh uns bei“. Die Frankfurter Rundschau sprach von der „Apokalypse des Terrors“. Und die Süddeutsche prägte die Überschrift: „Die Welt, erstarrt im Schock“.

Wir hatten die Sicherheit von 82 Millionen Menschen in Deutschland zu garantieren. Das verstand ich vom Nachmittag des 11. September an als meine zentrale Aufgabe. Nachdem wir sehr schnell erfuhren, dass einige der Attentäter Studenten aus Hamburg waren und die Anschläge in Deutschland geplant hatten, mussten wir mit weiteren Bluttaten weltweit, insbesondere Attentaten, auch bei uns rechnen. Der Bundeskanzler sprach im Bundestag von einer „Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt“, und genauso empfanden es viele verstörte Bürgerinnen und Bürger. Selbst in seriösen Medien lasen die Menschen Titelgeschichten über – ich zitiere – „die Rückkehr des Mittelalters“. Wohlgemerkt: eine Rückkehr des Mittelalters mit den Mitteln moderner Schreckenswaffen. Experten trauten der Al-Qaida sogar den Einsatz von biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen zu.

Alle Verantwortlichen in der Bundesregierung – der Bundeskanzler und die mit Sicherheitsfragen Betrauten besonders – standen damals unter einem ungeheuren Druck. Wir mussten binnen Tagen und Wochen terroristische Gefahren in Deutschland neu bewerten, mögliche Terroristen ausfindig machen und vor allem die Bevölkerung vor ihnen schützen. Vor allem aber mussten wir das gesamte Sicherheitssystem des Landes auf Szenarien von terroristischen Anschlägen überprüfen, die jeder von uns vorher für undenkbar gehalten hätte. Die Menschen verlangten zu Recht vom Staat größtmögliche Sicherheit und forderten sie Tag für Tag mit größtem Nachdruck von der Politik ein.

Zugleich bestand unsere Aufgabe aber auch darin, kühlen Kopf zu bewahren. Bei jeder Entscheidung hatten wir zu berücksichtigen, dass die Angst in der Bevölkerung nicht in Hysterie umschlägt. Wir hatten die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren. Wir befanden uns nicht in einem Krieg, auch wenn die Lage und die Umstände sich für viele Menschen so anfühlten. Thomas Darnstädt – wahrlich kein Bellizist - schrieb im Oktober 2001 im „Spiegel“: „Im Krieg gilt der Rechtsstaat nicht.“ Ich möchte hier versichern: Im Bundeskanzleramt, unter meiner Verantwortung, galten die Prinzipien des Rechtsstaats und der Zivilität auch in dieser Zeit.

Womit haben wir uns damals bei den täglichen und später wöchentlichen Treffen mit den Spitzen der Sicherheitsbehörden von Polizei und Nachrichtendiensten beschäftigt? Als Chef des Bundeskanzleramtes musste es mir um die strukturellen Fragen gehen, wie Sicherheit für die Menschen unter den völlig veränderten Bedingungen gewährleistet wird. Wir haben ausgelotet, wie der Staat auf unterschiedlichste Horrorszenarien vorbereitet war. Wir haben bestehende Instrumentarien geprüft und neue entwickelt, um uns rasch auf die brutal veränderte Situation einzustellen. Fast immer ging es um eine bessere Kooperation von Ministerien und Sicherheitsbehörden und um die Überwindung von Widerständen bei der Zusammenarbeit von Bund und Ländern.

Ich will freimütig sagen: Das Ausmaß der Bedrohung und die Schlagkraft des islamistischen Terrors, wie sie sich in New York und Washington offenbarten, hat nicht nur die USA, sondern auch Europa und letztlich auch uns in der Spitze der Bundesregierung überrascht. Das Netzwerk dezentraler islamistischer Strukturen in Deutschland war von den Sicherheitsbehörden zwar vermutet, aber deren Gefährlichkeit unterschätzt worden. Wir lernten, was ein so genannter „Schläfer“ ist. Die Hamburger Attentäter vom 11. September – und übrigens auch die Kofferbomber in diesem Sommer – waren vollkommen unauffällige Studenten. Kein Kommilitone, kein Professor, kein Nachbar konnte sich vorstellen, dass der nette junge Mann von nebenan sich als Terrorist entpuppt hatte. Wir mussten so zügig wie möglich herausfinden, wie viele solcher Zeitbomben noch in Deutschland tickten.

Rund 50.000 Muslime studieren an deutschen Hochschulen. Der Verfassungsschutz bezeichnete die kleine Gruppe der fanatisierten Islamisten unter ihnen als „ernstzunehmende latente Gefahr“. Aber wir hatten viel zu wenige Spezialisten und Mittel, um diesen harten Kern intensiv zu beobachten. Binnen kürzester Zeit bauten wir also die Sicherheitsbehörden für diese Zwecke um, um Informationen über Personen, Einrichtungen und Details der Netzwerkstrukturen zu erhalten.

Rund 150 Millionen Passagiere nutzen jährlich die deutschen Flughäfen, noch viel mehr Menschen die Bahnhöfe, und jeder Mensch braucht Trinkwasser. Ich erinnere an die erregten Diskussionen hierzulande, als aus Japan und den USA Zeitungsberichte über angebliche Attentate auf Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur kamen. Wir mussten die Sicherheitsvorkehrungen an diesen Knotenpunkten des Verkehrs drastisch erhöhen, ohne den reibungslosen Ablauf des Flug- und Bahnverkehrs zu gefährden. Und wir mussten die Gefährdung der Wasserversorgung vor Anschlägen prüfen. In diesem Zusammenhang holten wir uns zum Beispiel die Sicherheitsvorstände des Frankfurter Flughafens und der Bahn in unsere Nachrichtenlage. Wir haben geprüft, vorrangig: Was können Flughäfen und Bahn zur präventiven Reduzierung des Risikopotentials tun – durch Technik, durch Verfahren, durch Personalauswahl. Aber auch: Was kann der Katastrophenschutz nach einem schweren Anschlag an einem Flughafen oder Bahnhof leisten? Daraus entstand in kurzer Zeit die Neuordnung des Zivilschutzes in Deutschland. Und wir haben gefragt: Wie lange braucht eigentlich die Bundeswehr, um ein von Terroristen gekapertes Flugzeug abzufangen? Wie können wir verhindern, dass Piloten auf manchen Flugplätzen nur den Schlüssel ihrer Cessna umdrehen müssen und dann einfach losfliegen dürfen? Aus diesen Diskussionen entstand das neue Luftsicherheitsgesetz.

Erinnert sich noch jemand an die Anthrax-Hysterie in den USA, und später auch in Deutschland? Jeder Brief mit einer pulverigen Substanz löste Schreckensmeldungen aus. Ganze Ministerien in Berlin, Behörden in den Ländern und Geschäftsstellen von Banken wurden vorübergehend geschlossen. „Milzbrand in Deutschland – Der Horror ist da!“ lautete eine Schlagzeile, die sich glücklicherweise als voreilig erwies. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts gehörte damals zu den Stammgästen in unserer Sicherheitslage. Er entwickelte mit seinem Institut auf unsere Bitte den Plan, wie die Untersuchung von Anthrax-verdächtigen Substanzen zentral, rasch und geordnet vonstatten gehen konnte. Wir mussten erst einmal dafür sorgen, dass solche Substanzen nicht mehr in Einweckgläsern in den unterschiedlichsten Landesbehörden herumstanden.

Trotz aller Vorkehrungen, Sicherheitsmaßnahmen und neu geschaffener Analysekapazitäten war die Gefahr von Milzbrand-Anschlägen naturgemäß nie völlig auszuschließen. Aber nach Wochen und Monaten Erfahrung hatten wir doch eine Bewertung dieser Gefahren, die uns die tatsächliche Bedrohung einschätzen ließ und die Beruhigung der verängstigten Bevölkerung erlaubte.

Mich persönlich hat in diesen Monaten eine ganz andere, aber ähnliche Gefahr sehr viel mehr bedrückt, weil wir weder aus den USA noch aus den europäischen Nachbarstaaten Expertise hatten, die uns die Bedrohungssituation realistisch einschätzen ließ: Ich meine die terroristische Bedrohung mit Pockenviren. Es gab Nachrichten vom angeblichen Verschwinden von Virenbeständen, die Erwähnung von Pockenviren in terroristischen Handbüchern – all das hat zu hektischen Aktivitäten der Regierungen von Kanada über die USA bis nach Europa geführt. Überall wurde uns plötzlich bewusst, dass dies nach dem Ende der Impfpflicht vor Jahren wieder eine reale Bedrohung war. Die Pharmaunternehmen hatten deswegen kaum noch Impfstoff in ihren Lagern. Wir kauften rasch die Restbestände auf und sorgten für den Wiederaufbau der Produktion auch in Deutschland. Das war schon schwer genug –als noch schwerer stellten sich nur noch die Verhandlungen über die Kostenregelung zwischen Bund und Ländern heraus. Ich kann mich an viele Runden erinnern, bei denen wir ergebnislos auseinander gingen. Erst in der Schlussrunde, unter Beteilung des Kanzlers und der Ministerpräsidenten, gelang die Einigung auf hälftige Kostenteilung.

Ich weiß, dass manche diese Vorsorge aus heutiger Sicht belächeln, aber damals wäre jedes andere staatliche Handeln von der Untersuchung der Sicherheit der Infrastruktureinrichtungen über Aufbau und Ausbau der Analyseeinrichtungen bei Anthraxgefahren bis hin zur Wiederbeschaffung und Bevorratung von Pockenseren nicht verantwortlich gewesen.

Fragen wie diese waren in diesen Jahren als Chef des Bundeskanzleramtes, ob ohne oder mit Beauftragung für die Nachrichtendienste, mit viel Verantwortung verbunden. Aber diese waren häufig nicht der belastendste Teil meiner Tage. Oft belastender waren die Stunden, in denen man sich trotz behaupteter Gefahren zur Untätigkeit entschließen musste oder aus guten Gründen wollte.

Gemeint sind weniger die unzähligen Beschuldigungen wegen angeblich islamistischer Aktivitäten von Muslimen in Deutschland, die häufig genug ihre Ursache in vorausgegangenen Familienstreitigkeiten oder in Auseinandersetzungen im Milieu hatten. Damit haben, mehr als ich und die Präsidentenrunde im Kanzleramt, die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden Arbeit gehabt - auf diese Weise aber auch zur realistischen Einschätzung terroristischer Bedrohungen in Deutschland beigetragen.

Nein, gemeint sind Vorfälle wie jener, an den ich mich deshalb gut erinnere, weil mich der Anruf während eines privaten Termins mit meiner Familie ereilte. Ernst Uhrlau erreichte mich beim Besuch des Berliner Zoos am Handy, um mir zu berichten, dass soeben in einem norddeutschen Kernkraftwerk, nahe Hamburg, eine Besuchergruppe mit Studenten eingetroffen sei. Einer von ihnen studiere an der TU Hamburg-Harburg und habe angeblich einen der Attentäter vom 11.09., Mohammed Atta, gekannt. Heute, mit mehr als 4 Jahren Abstand von den Vorgängen, ist das nichts, was Sie erregt. Das verstehe ich. Damals, mit wenigen Monaten Abstand vom 11.09., mitten in der Aufklärung über Bedeutung, Umfang und Planungen der Hamburger Zelle, eine elektrisierende Nachricht. Und natürlich waren die Empfehlungen schon gegeben: Kernkraftwerk sofort runterfahren! Oder muslimischen Studenten aussperren. „Was tun?“ war die knappe Frage, „wir haben 15 Minuten Zeit.“ Das waren reale Situationen, Entscheidungssituationen, in denen Ihnen kein Beratungsteam zur Seite steht. Situationen, die letztlich nicht vollständig abzuschätzen sind. In der Sie Risiken genauso wie die Konsequenzen von Überreaktion verantwortbar kalkulieren müssen. Und in denen wegen Zeitdrucks Aufklärungsmöglichkeiten sehr beschränkt sind. Im konkreten Fall haben wir gegen beide Varianten entschieden und eine andere Variante der Risikominimierung gewählt. Auch daraus mögen Sie ersehen: Es ging mir, es ging uns, immer darum, auch im Angesicht neuer Gefährdungen verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, die die Zivilität unserer Gesellschaft nicht in Frage stellen, nicht aber um blindwütige Terroristenjagd.

Im Gegenteil! Wir haben in dieser Zeit niemals einen zentralen Aspekt aus den Augen verloren: Wir durften Sicherheit nicht um den Preis herstellen, dass die Terroristen unser Leben schon ohne einen Anschlag von Grund auf verändern. Die Verantwortung zu übernehmen für eine Maßnahme, die man nicht ergreift, das war manchmal schwerer als die für aktives Tun!

Eine belastbare Bewertungs- und Entscheidungsgrundlage braucht man für beides. Deshalb war es unabdingbar, vorhandenes Wissen um terroristische Gefahren in Deutschland, soweit wie rechtlich möglich, zusammenzuführen. Und natürlich war es dazu notwendig, die Zusammenarbeit der Geheimdienste erheblich zu intensivieren. Die Sicherheit der Menschen verlangt es, dass die Dienste stärker kooperieren, um mögliche Anschläge schon im Vorfeld zu vereiteln. Das betraf in erster Linie den Austausch von Daten und Informationen zwischen dem BND, dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Aber natürlich mussten wir den Austausch von möglicherweise lebenswichtigen Informationen auch international, also mit den Geheimdiensten unserer Partnerländer, verbessern. Darüber bestand zwischen allen Parteien im Bundestag Konsens. Ich zitiere als Beispiel die Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller, die am 18. September 2001 im Bundestag forderte: „Wie brauchen eine enge internationale Kooperation der Geheimdienste.“

Ich habe in unserer damals täglichen, später wieder wöchentlichen Sicherheitslage forciert, dass wir nach dem 11. September die Struktur der islamistischen Szene in Deutschland systematisch untersuchen. Ich habe die Sicherheitsbehörden des Bundes angetrieben, damit wir möglichst schnell ein Bild von den Zentren der deutschen Islamistenszene gewinnen, damit wir die zentralen Figuren identifizieren, die Wanderungen zwischen den Zentren beobachten konnten und die Unterstützernetzwerke ausfindig machen. Dieses Projekt liefert bis heute die Grundlage für die Arbeit der Sicherheitsbehörden; es wird ständig fortgeschrieben und aktualisiert. Schon die ersten Resultate dieser Arbeit haben uns gezeigt, wie mobil und wie vernetzt die beobachteten Personen vorgehen - national wie international. Und sie haben an manchen Stellen Defizite aufgezeigt, wo gesetzliche Befugnisse fehlten. Die haben wir dann schnell versucht zu beseitigen.

Ich war damals bei meiner Arbeit gewillt, die Möglichkeiten des Rechtsstaats voll auszuschöpfen. Dazu stehe ich. Bei meiner Haltung fühlte ich mich damals nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch von Politikern der heutigen Opposition getragen. Ich zitiere den grünen Innenpolitiker Cem Özdemir aus dem Herbst 2001: „Wir sind bereit, Dinge zu tun“, sagte Özdemir mit Blick auf gesetzlichen Reformbedarf, „die wir in anderer Situation nicht gemacht hätten.“ So dachten zu jener Zeit viele, und aus diesem Grund verabschiedete der Bundestag eine Reihe neuer Gesetze, etwa zur Änderung des Paragraphen 129b des StGB, zur besseren Bekämpfung der Geldwäsche, zur Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz, zur Luft- und Seesicherheit und zum Zivilschutz. Diese Gesetze, überwiegend mit großer Mehrheit im Bundestag beschlossen, haben Defizite bei der Arbeit der Sicherheits-, Finanz-, Katastrophen- und Luftverkehrsbehörden beseitigt.

Aber ich betone: Auch vorher haben wir die Grenzen des Rechtsstaats bei unserer Arbeit nicht überschritten.

Uneingeschränkte Solidarität mit USA

Und damit möchte ich zum Verhältnis zu den USA kommen, das ja in diesem Ausschuss eine wichtige Rolle spielt. Der Abgeordnete Ströbele hat der Bundesregierung „Beißhemmung“ gegenüber unserem transatlantischen Partner vorgeworfen. Deutschland hat den USA nach dem 11. September „uneingeschränkte Solidarität“ und Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus zugesagt. Alle Parteien unterstützten damals dieses von Bundeskanzler Gerhard Schröder formulierte Bekenntnis.

Nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern, den USA und anderen können wir den Gefahren durch den internationalen Terrorismus erfolgreich entgegentreten. Und nur gemeinsam werden wir unsere Werte und unsere freiheitliche Lebensart bewahren können.

Diese Position war im Herbst 2001 im Bundestag noch „common sense“. Ich zitiere den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle aus einer Rede im Bundestag: „Wir haben einen gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus zu führen. Dabei gibt es keine Neutralität. Es wird in Diskussionen gelegentlich so getan, als könne es bei der Bekämpfung von Terror eine neutrale Position der Deutschen geben. Wir Deutschen sind bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht neutral.“ Auch der Fraktionschef der PDS, Roland Claus, erklärte das „Mitgefühl und Solidarität mit den Bürgerinnen und Bürgern der Vereinigten Staaten und den politisch Verantwortlichen in den USA“.

Deshalb finde ich es mindestens erstaunlich, wenn unsere damalige Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten in den USA mittlerweile als unappetitlich oder sogar unanständig dargestellt wird. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir – natürlich im Rahmen der uns gesetzten Grenzen - mit den USA kooperieren. Die Vereinigten Staaten sind und bleiben zusammen mit unseren europäischen Partnern ein Verbündeter, auch und gerade im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Natürlich teilen wir unser Wissen und unsere Informationen über Drahtzieher des islamistischen Terrors mit unseren amerikanischen Partnern. Alles andere hielte ich für völlig unverantwortlich.

Manche tun heute so, als ob der Austausch von Informationen wie eine Beihilfe zu Verschleppungen oder wie eine Kumpanei mit Geheimgefängnissen zu werten sei. Ich weise diese abstruse Haltung zurück und frage umgekehrt: Wären wir verantwortliche Politiker gewesen, wenn wir unsere Informationen angesichts der Anschläge von New York, Washington, Madrid, Riad, Djerba, Bali oder London in der Schublade gehalten hätten? Hätten wir in Kauf nehmen sollen, dass andere Länder ohne unsere Informationen nur lückenhaft Bescheid wissen über die Bewegungen der internationalen Terrorszene?

Wäre es verantwortlich gewesen, dass die Bundesregierung auf die Informationen anderer Geheimdienste verzichtet – und damit Leib und Leben vieler unschuldiger Menschen in Deutschland riskiert? Ich meine: Nein. Aber wer immer eine andere Position vertritt, muss die entscheidende Frage beantworten: Wie würden die Menschen in Deutschland wohl reagieren, wenn sich nach einem Anschlag in Deutschland herausstellt, dass uns wichtige Informationen wegen mangelnder internationaler Zusammenarbeit entgangen sind?

Wer mich und andere – gleichgültig ob aus der Vorgängerregierung oder der aktuellen Regierung – wegen des Informationsaustausches mit den USA und anderen Ländern kritisiert, muss darauf eine überzeugende Antwort geben.

Solidarität ist kein Freibrief

Die damalige Solidaritätszusage an die USA wurde nicht ohne weiteres gegeben. Deutschland hat den Vereinigten Staaten bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu keinem Zeitpunkt blinde Gefolgschaft geleistet.

Ich sage hier ohne Umschweife: Die uneingeschränkte Solidarität mit den USA war für die Bundesregierung niemals ein Freibrief für Entführung und Folter. Und der Austausch von Informationen bedeutet für uns niemals die Billigung oder gar Rechtfertigung der Verschleppung deutscher Staatsbürger.

Im Gegenteil, die Bundesregierung hat immer deutlich gemacht, dass eine Zusammenarbeit auf der Basis geltenden Rechts erfolgt und erfolgen muss.

Wenn wir unsere Maßstäbe an Rechtsstaat und Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus aufgäben, hätten die Terroristen bereits ein zentrales Ziel erreicht.

Wir haben uns deshalb stets kritisch gefragt, ob unser Handeln den rechtlichen Maßstäben genügt. Die Abwägungen, die unsere Behörden zu treffen hatten, waren oft genug schwierig. Durften unsere Geheimdienste Informationen über terrorverdächtige Islamisten weitergeben, obwohl die Betroffenen dadurch vielleicht in Schwierigkeiten gerieten? Dagegen stand die Frage: Was passiert, wenn wir solche Informationen für uns behalten, und der Betroffene entpuppt sich später als Attentäter?

Die Grundlagen rechtsstaatlichen Handelns - die grundlegenden Freiheiten, der Datenschutz und die Bürgerrechte – waren uns in der Zeit nach dem September 2001 sehr bewusst. Deutsche Politik hat trotz der enormen Anspannung nach meiner Beurteilung keineswegs überreagiert, sondern verantwortungsvoll gehandelt.

Beim Kampf gegen den Terrorismus geht es um die Verteidigung der grundlegenden Freiheit und der Bürgerrechte in dieser Gesellschaft. Das bitte ich immer im Auge zu behalten. Und ich warne jeden, die Tatsachen zu verdrehen: Die Gefahr durch islamistische Terroristen war real, das haben die Anschläge von New York über Madrid und London bis Bali gezeigt. Die Bedrohung für die Freiheit wurde jedenfalls ganz sicher nicht hervorgerufen durch die angeblich finsteren Gesellen im Bundeskanzleramt und in den deutschen Sicherheitsbehörden.

Dies meine ich auch mit Blick auf all diejenigen verantwortungslosen Spekulationen und Verdächtigungen, die rund um den Fall El-Masri gegen mich oder andere Verantwortliche der früheren Bundesregierung erhoben werden. In aller Deutlichkeit: Die Bundesregierung, der BND, das BKA und das BfV haben keine Beihilfe zur Verschleppung des deutschen Staatsbürgers El-Masri geleistet. Unterstellungen, die ehemalige Bundesregierung habe heimlich mit den Entführern kooperiert oder komplizenhaft weggeschaut, sind haltlos und böswillig.

Wenn es schon notwendig ist, das zu versichern, dann lassen Sie mich hinzufügen, dass mich manches, was auch im Zusammenhang mit diesem Ausschuss in den Medien zu lesen war – vornehm ausgedrückt – sehr befremdet hat. In manchen Veröffentlichungen wird suggeriert: Wenn wir, die Deutschen, verdächtige Islamisten schon nicht selbst in die Mangel nehmen dürfen, dann geben wir die Informationen über sie eben anderen. Leute mit weniger Skrupeln und ohne rechtsstaatliche Hindernisse können dann ja die Betroffenen abgreifen und die erwünschte Wahrheit aus ihnen herausprügeln. Ich halte diese Vorwürfe für infam. Wer sie offen oder verdeckt erhebt, hat keine Vorstellung davon, wie viel Energie wir darauf verwendet haben, unser Handeln in schwieriger Zeit auf dem Kurs von Zivilität und Rechtsstaatlichkeit zu halten.

Verstehen Sie das bisher Gesagte bitte als eine Vorbemerkung, die ich bei zukünftigen Aussagen im Untersuchungsausschuss zu anderen Komplexen dann nicht wiederholen will.

Überleitung auf den Fall El-Masri – Einordnung in den damaligen Kontext

Ich möchte damit auf den Fall El-Masri kommen, auf den sich meine heutige Zeugenvernehmung auf Ihren Wunsch hin beschränkt. Sie haben dazu ja bereits eine Reihe von Zeugen befragt und umfangreiches Aktenmaterial erhalten.

Der Untersuchungsausschuss will Aufklärung über den Vorwurf, die Bundesregierung habe von der Entführung El-Masris von Mazedonien nach Afghanistan gewusst und diese Aktion stillschweigend geduldet. Ich will Ihnen ausführlich begründen, warum dieser Vorwurf haltlos ist. Dazu möchte ich zunächst die Ereignisse in Erinnerung rufen, die sich um die Jahreswende von 2003 auf 2004 abgespielt haben. Dabei geht mir nicht darum, das harte Schicksal von Herrn El-Masri durch die Einordnung in diesen Zusammenhang zu relativieren.

Womit habe ich mich als Chef des Kanzleramts und als Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes damals beschäftigt? Vor allem mit den geschilderten Aktivitäten zum Aufbau von Strukturen gegen die Terrorgefahren. In den Besprechungen mit den Nachrichtendiensten stand in dieser Zeit die Lage in Afghanistan, insbesondere die Sicherheit der deutschen Soldaten, im Vordergrund. Keine Sitzung verging ohne eine ausführliche Besprechung der Lage im Irak. Eine wichtige Rolle spielte damals auch die Bewertung der atomaren Pläne Irans. Hinzu kamen der Mord an dem ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Hariri und die Auswirkungen für den Frieden im Nahen Osten. Das Vorgehen gegen islamistische Gruppen in Deutschland wie zum Beispiel Ansar al-Islam wurden ebenfalls behandelt.

Präsidentenrunde

Vom Fall El-Masri habe ich erst nach seiner Freilassung im Juni 2004 erfahren. Aber auch danach nahm dieser Fall in den wöchentlichen Besprechungen mit den Sicherheitsbehörden im Kanzleramt keinen breiten Raum ein.

Im Zentrum dieser Besprechungen, das habe ich zu Beginn erläutert, steht die Abwehr von Gefahren für unser Land. Wir diskutieren dort nach vorn gerichtet, also: Was tut sich Neues? Wo müssen wir aufpassen, wo vielleicht auch Strukturen verbessern, gerade mit Blick auf mögliche terroristische Aktivitäten?

Unter diesem Gesichtspunkt hat uns der Fall El-Masri deshalb nur am Rande beschäftigt. Herr El-Masri war frei und in Sicherheit, als wir zum ersten Mal davon gehört haben. Die juristische Aufarbeitung von Einzelfällen – und von einem unwahrscheinlichen Einzelfall gingen wir aus! -, an denen nichts mehr zu ändern ist, ist für die so genannte Präsidentenrunde in aller Regel kein Thema. Das klingt möglicherweise hart, aber so war es und so ist es, wenn ich richtig informiert bin, auch heute.

Konkrete Aussagen zum Fall El-Masri

Wann habe ich den Namen El-Masri zum ersten Mal gehört? Das war am 15. Juni 2004 in der wöchentlichen Besprechung mit den Spitzen der Sicherheitsbehörden. Kurz zuvor hatten das Bundeskanzleramt und das Auswärtige Amt ein Schreiben des Anwalts von Herrn El-Masri erhalten. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Herr El-Masri bereits wieder in Freiheit. In dem Schreiben vom 8. Juni 2004 betonte der Anwalt: „Bevor die Medien eingeschaltet werden, sollte der Vortrag meines Mandanten geprüft und dessen Erkenntnisse und Wahrnehmungen so gesichert werden, dass sie verwertet werden können.“

Ich will Ihnen gestehen: Ich habe die anderen Teilnehmer der Präsidentenrunde bei diesem Tagesordnungspunkt ziemlich ungläubig angeschaut, und ich verrate kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage: Niemand in dieser Runde konnte sich vorstellen, dass sich die Geschichte von der Entführung und den Begleitumständen wirklich so zugetragen haben könnte.

Dennoch hat die Bundesregierung sofort alle Schritte eingeleitet, um die Angaben von Herrn El-Masri sorgfältig zu prüfen. Um gerichtsfeste Erkenntnisse zu sichern, haben die Ermittlungsbehörden ohne Zögern ihre Arbeit aufgenommen. Und wir haben sie dabei unterstützt. Die Ermittlungen selbst oblagen jedoch der Polizei und Staatsanwaltschaft. Als die Justiz ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte, war aus meiner Sicht zunächst das Nötige veranlasst. Und weil niemand irgendwelche Beschwerden in dieser Sache an mich herantrug, bestand für mich kein Anlass, mich weiter eingehend damit zu befassen. Auch ein dringendes, eilbedürftiges Einschreiten durch die Spitzen der Sicherheitsbehörden war aus meiner Sicht nicht gegeben.

Sie beschäftigen sich im Untersuchungsausschuss eingehend mit der Frage, ob der BND oder andere nicht doch schon vor der Freilassung von Herrn El-Masri von der Entführung gewusst haben. Ein BND-Mitarbeiter des mittleren Dienstes will Anfang 2004 in einer mazedonischen Behördenkantine von dieser Festsetzung erfahren haben, hat aber bedauerlicherweise diese Information für sich behalten und seine Vorgesetzten erst im Mai 2006 davon informiert, nachdem er die Brisanz der Information erkannt hatte. Ich versichere Ihnen ausdrücklich: Bei mir ist vor Juni 2004 keine Information über den Fall El-Masri angekommen. Und ich habe keinen Zweifel, dass auch der BND-Präsident davon nichts wusste. Sonst wäre die Präsidentenrunde am 15. Juni 2004, in der der Brief des Anwalts von Herrn El-Masri besprochen wurde, anders verlaufen.

BM-Berührungspunkte

Wenn ich mich richtig erinnere, sprach der Vertreter des BKA den Fall damals in dieser Runde an. Wie gesagt: Alle schüttelten zunächst ungläubig den Kopf. Ich erinnere mich auch noch, dass am 29. Juni 2004 in der ND-Lage berichtet wurde, El-Masri habe in der islamistischen Szene in Ulm allenfalls eine Nebenrolle gespielt. Das ließ die Zweifel, ob die Angaben stimmen konnten, eher noch wachsen. Erst zu einem späteren Zeitpunkt – wann genau, kann ich Ihnen nicht sagen - verdichtete sich der Eindruck, dass El-Masris Aussagen doch im Kern zutreffen könnten. Daraufhin kam zum ersten Mal der Gedanke auf, bei der Entführung könne es sich um eine Verwechslung gehandelt haben.

An diese Vorgänge werden in der Öffentlichkeit die unterschiedlichsten Verdächtigungen und Verschwörungstheorien geknüpft. Ich bin dankbar für die Gelegenheit, sie an diesem Tag wenigstens kommentieren zu können. Lassen Sie mich die wichtigen Punkte herausgreifen.

Die erste Verdächtigung lautet, der deutsche Staatsbürger El-Masri sei entführt worden, weil deutsche Sicherheitsbehörden Informationen über ihn an amerikanische Stellen gegeben hätten. Dazu erkläre ich: Die Bundesregierung, BND, BKA und BfV haben keine Beihilfe zur Verschleppung von Herrn El-Masri geleistet. Nach meiner Kenntnis gab und gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Informationen zu seiner Person von Sicherheitsbehörden des Bundes weitergegeben worden sind. BND und BfV haben dies auf Befragen ausdrücklich verneint.

Dann ist die Rede von der Person „Sam“, die El-Masri nach seinen Angaben während seiner Gefangenschaft in gutem Deutsch angesprochen hat. Ich will hier nicht spekulieren, ob andere Geheimdienste, wenn sie weltweit den Terror bekämpfen, womöglich eigene deutschsprachige oder deutschstämmige Mitarbeiter unter Vertrag haben. Ich will aber versichern: Nach meinem Kenntnisstand ist auszuschließen, dass die von Herrn El-Masri beschriebene Person „Sam“ Mitarbeiter einer deutschen Dienststelle war.

Als nächstes wird die Bundesregierung verdächtigt, sie hätte den Fall El-Masri nur mit spitzen Fingern angefasst, nachdem sie von der Entführung erfahren hat. Wer die Akten liest, kann auf diesen Gedanken nicht kommen. Das Schreiben des Anwalts trägt den Poststempel des 8. Juni 2004. Zwei Tage später unterrichtete das BKA die zuständige Polizeibehörde, und am 17. und 18. Juni, also eine Woche später, wurde Herr El-Masri als Zeuge im Rahmen eines umgehend eingeleiteten Ermittlungsverfahrens vernommen. Ich bin der Auffassung, dass die betroffenen Bundes- und Landesbehörden außergewöhnlich schnell auf den Fall reagiert haben.

Die nächste Verdächtigung richtet sich gegen die Ermittlungsbehörden. Sie hätten den Fall El-Masri mit angezogener Handbremse vorangetrieben, und das sei auch ganz im Sinne der Bundesregierung geschehen. Auch dafür gibt es nicht das geringste Indiz! Die Bundesregierung hat die strafrechtlichen Ermittlungen natürlich nicht mit Druck auf ein bestimmtes Ermittlungsziel von oben begleitet. Das war richtig so, denn dort – bei der Justiz - lag die Verantwortung. Flankierend hat das BKA schon Anfang September 2004 internationale Erkenntnisanfragen über seine Verbindungsbeamten in Belgrad (für Mazedonien), Athen (für Albanien) und Washington gestellt. Die mit der Angelegenheit befassten Stellen des Bundes haben den ermittelnden Landesbehörden geholfen, wo es nur möglich war. Irgendwelche Klagen, dass der Bund sich zurückgehalten habe, sind an mich jedenfalls nie herangetragen worden.

Auch der Brief des Rechtsanwalts von Herrn El-Masri wurde in angemessener Zeit beantwortet. In dem Antwortschreiben des Bundeskanzleramts an den Rechtsanwalt vom 2. Juli 2004 wird auf die zwischenzeitlich aufgenommenen Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden hingewiesen.

Und dann mutmaßen manche Kritiker, dass es doch seltsam sei, warum die Bundesregierung nicht sofort im Juni in Washington nachgefragt habe, was es mit dem Fall El-Masri auf sich hat. Ich entgegne diesen Kritikern: Wenn die Bundesregierung die USA mit dem nicht alltäglichen Vorwurf einer Entführung konfrontiert, dann sollten wir vorher einige Indizien dafür sammeln, dass sich diese Angelegenheit tatsächlich so zugetragen hat. Das ist der einzige und ausreichende Grund, warum wir die USA anfangs nur auf Arbeitsebene um Auskunft ersucht haben. Bereits im August 2004 fragte das Bundesamt für Verfassungsschutz wegen El-Masri schriftlich bei dem Vertreter der US-Seite in Deutschland an. Weitere Auskunftsersuchen und Erinnerungen folgten. Auch der damalige Bundesinnenminister Otto Schily hat bei seinem Gespräch mit Botschafter Coats die USA im Mai 2004 eindringlich aufgefordert, den deutschen Ermittlungsbehörden klare Auskunft zu geben.

Im Januar 2005 erschien dann in der New York Times ein langer Artikel über den Fall El-Masri. Am 18. Januar wurde ich unterrichtet, in Washington sei auf ND-Ebene ein Hinweis gegeben worden, dass dieser Artikel im Wesentlichen zutreffend sei. Wenn Sie der Bundesregierung nun vorwerfen wollen, diese Information hätte umgehend weitergegeben werden müssen, möchte ich nur auf die klare geltende Rechtslage verweisen, die Ihnen allen bekannt ist. Alles weitere können wir gern in geheimer Sitzung erörtern.

Als Außenminister hat mich der Fall El-Masri gleich zu Beginn meiner Amtszeit beschäftigt. Ich habe ihn wiederholt gegenüber Außenministerin Rice angesprochen, schon bei meinem Antrittsbesuch in Washington. Ich habe Frau Rice damals um Aufklärung gebeten, ihr den Standpunkt der Bundesregierung erläutert und deutlich gemacht, wie solche Vorgänge in der deutschen Öffentlichkeit beurteilt werden. Kurze Zeit später hoben die USA das Einreiseverbot für Herr El-Masri auf. Dass El-Masri seine Klage auf Schadensersatz wegen der Entführung jetzt persönlich in den USA weiterverfolgen kann und dass er kürzlich sein Schicksal vor zahlreichen Journalisten und Mitgliedern des Kongresses in Washington schildern konnte, ist nicht zuletzt ein Resultat dieser Gespräche mit Frau Rice.

Auch in Mazedonien bemühen wir uns weiter um Aufklärung, was im Januar 2004 bei der Entführung von Herrn El-Masri wirklich geschah. Wir belassen es dabei nicht bei offiziellen Schreiben. Im Juni 2006 und erneut am 4. Dezember hat Staatssekretär Silberberg mit dem mazedonischen Botschafter über den Fall gesprochen und unser dringendes Interesse an einer vollständigen Aufklärung unterstrichen. Wir haben Signale, dass die neue mazedonische Regierung daran interessiert ist. Und ich versichere Ihnen, dass wir dabei nicht locker lassen werden.

Schlussbemerkung

Herr Vorsitzender,

sehr geehrte Abgeordnete,

gestatten Sie mir eine abschließende Bemerkung, die nur ein wenig politisch einordnen soll, was ich heute zum Fall El-Masri, ggf. zu einem späteren Zeitpunkt zu anderen Untersuchungskomplexen sage. Al-Qaida und andere Terrorgruppen haben die Politik seit 2001 vor radikal neue Herausforderungen gestellt. Niemand hat bislang eine Antwort darauf gefunden, die über alle Zweifel erhaben ist und vor allem dazu führt, dass die Gefahr des Terrorismus dauerhaft gebannt wird. Unsere Meinungsunterschiede im Kampf gegen Terrorismus haben die Beziehungen zu den USA in den vergangenen Jahren zeitweise erheblich belastet. Die Regierungen beider Länder haben abweichende Meinungen, welche Maßnahmen bei der Bekämpfung von Terroristen zulässig sind und welche nicht.

Aber auch in dieser Frage gilt das Gebot von verantwortlichem, verhältnismäßigem Handeln. Das bedeutet, dass wir uns nicht als selbstgerechte Eiferer gegenüber den USA aufspielen. Die USA sind kein Schurkenstaat, sondern Opfer eines Terroranschlags, den sich in dieser Dimension niemand in der Welt hätte vorstellen können. Wir kritisieren das Lager in Guantanamo, wir kritisieren Geheimgefängnisse, wir kritisieren Entführungsfälle der Geheimdienste, auch und gerade wenn sie sich gegen deutsche Staatsbürger gerichtet haben. Wir beschreiben diese Positionen in den USA und gegenüber den Vertretern der US-Regierung klar und eindeutig.

Aber dabei vertrete ich eine Haltung, die ich auch sonst in der Außenpolitik als weitsichtig und weiterführend erachte. Wer sein Gegenüber zum Umdenken bewegen will, darf ihm nicht die Zusammenarbeit verweigern, sondern muss das Gespräch suchen, Meinungsunterschiede feststellen und Gemeinsamkeiten herausarbeiten. Darum haben wir im Oktober in einem deutsch-amerikanischen Juristenkolloquium, das ich mit initiiert habe, Rechtsfragen im Kampf gegen den Terrorismus behandelt. Dieser Dialog soll nun auf EU-Ebene mit den USA fortgeführt werden. Mein Ziel ist es, dass wir manche Entfremdung überwinden, die seit 2001 bei der Bekämpfung des Terrorismus entstanden sind. Vor allem aber möchte ich, dass die normative Gemeinsamkeit rechtsstaatlicher Prinzipien uns Europäer und die Vereinigten Staaten auch in Zukunft verbindet. Die Achtung von Recht und Gesetz ist der Kitt, der unsere Gesellschaften zusammenhält. Das gilt ausdrücklich auch für den Bereich der Sicherheitsbehörden. Diese Haltung war in den vergangenen Jahren der Maßstab meines Handelns.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir Deutsche haben seit dem 11. September 2001 bisher sicher viel getan, aber alles in allem auch Glück gehabt. Anders als in London oder Madrid konnten wir geplante Anschläge bislang vereiteln. Wenn die Politik angesichts solcher Bedrohungen Entscheidungen treffen muss – und ich weiß, wovon ich rede – dann sind sie selten ohne Risiko und manchmal auch nur unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten zu treffen. Aber wir dürfen froh sein – wie ich in meiner Bundestagsrede am 14. Dezember 2005 gesagt habe -, dass im Kampf gegen den Terrorismus bislang kein Kanzler und kein anderer Politiker in solche Grenzsituationen geraten ist, wie sie frühere Krisenstäbe 1977 – ich erinnere an die Stichworte Schleyer und Mogadischu – durchlebt und durchlitten haben. Ich hatte jedenfalls keine Entscheidung zu treffen, in der Leben gegen Leben stand. Und auch keine Entscheidung, in der ich in die äußersten Grenzbereiche unserer Rechtsordnung hätte gehen müssen, um ganz konkret das Leben eines Menschen zu schützen. Dafür bin ich sehr dankbar. Und nun erwarte ich, Herr Vorsitzender, gespannt ihre Fragen und die der Ausschussmitglieder.

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