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OSZE: „Die Erwartungen wachsen“

19.01.2015 - Interview

Gernot Erler ist Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den deutschen Vorsitz in der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) im Jahr 2016. Er sprach mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die Rolle der OSZE im Ukraine-Konflikt.

Gernot Erler ist Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den deutschen Vorsitz in der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) im Jahr 2016. Er sprach mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die Rolle der OSZE im Ukraine-Konflikt. Erschienen am 19.01.2015.

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Herr Erler, in diesem Jahr ist es vierzig Jahre her, dass in Helsinki mit der Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) eine neue Phase der Entspannungspolitik eingeleitet wurde. Nun sind die Spannungen in Europa so hoch sind wie seit langem nicht mehr. Welche Chance sehen Sie für die aus der KSZE hervorgegangene OSZE, zur Verringerung der Spannungen beizutragen?

Die OSZE hat in den vergangenen Monaten im Ukraine-Konflikt gezeigt, wie unverzichtbar sie ist: mit der Beobachtermission, mit der Grenzkontrollmission, aber auch mit der Fähigkeit, die Kontaktgruppengespräche zusammenzubringen und zu moderieren, die Ergebnisse in den politischen Bemühungen zur Lösung der Krise erbracht haben, nämlich das Minsker Protokoll über einen Waffenstillstand. Aber es stellt sich auch die Frage, ob die OSZE mittelfristig nicht auch die Aufgabe haben könnte, einen Neuanfang zur Wiederherstellung des Vertrauens zwischen Ost und West zu versuchen. Wie könnte dieser Neuanfang aussehen? Das wird nicht zuletzt auch davon abhängen, inwieweit eine Lösung der Ukraine-Krise gelingt, die längst zu einem Konflikt zwischen Russland und dem Westen geworden ist. Das würde die Behandlung des Themas einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur erleichtern. Denn ganz offensichtlich gibt es hier Schwierigkeiten, gibt es hier einen großen Bedarf an Dialog.

Zu dem Verständnis von Sicherheit, auf dem die OSZE nach dem Ende des Kalten Kriegs aufgebaut worden ist, gehören nicht nur militärisch- politische Fragen, sondern auch die Achtung der Menschenrechte in den Mitgliedstaaten. Deshalb ist die OSZE in den vergangenen Jahren von Russland immer wieder scharf attackiert worden. Sehen Sie eine Chance, im Rahmen der OSZE mit Moskau noch einmal zu einem Einvernehmen zukommen?

Immerhin hat Russland doch nach einigen Schwierigkeiten eine Rolle der OSZE bei der Krisenbewältigung akzeptiert. Sonst könnte sie auch gar nichts tun, weil dort ein Konsensprinzip herrscht: Ohne Russlands Zustimmung wären die OSZE Missionen und auch die Vermittlung durch die Kontaktgruppe nicht möglich gewesen. Daran kann man anknüpfen. Es gibt ja ein grundsätzliches russisches Interesse an Gesprächen über eine umfassende europäische Sicherheitsarchitektur. Wir haben nicht vergessen, dass der damalige Präsident Medwedjew 2008 einen eigenen Vorschlag dazu vorgelegt hat, der zur Enttäuschung Russlands vom Westen nicht so prominent aufgegriffen wurde, wie man das wohl erwartet hatte. Es ist sinnvoll zu signalisieren, dass die Bereitschaft besteht, gerade in Zeiten der Krise, auf Grundlagen der OSZE-Prinzipien eine Diskussion aufzunehmen, in der alle Staaten ihre Sicherheitsbelange einbringen können. Dazu bietet sich die OSZE an, weil dort die Vereinigten Staaten, Russland und alle anderen europäischen Staaten dabei sind. Aber es stimmt natürlich, dass die Zusammenarbeit mit Moskau insbesondere dort, wo es um Menschenrechte geht, schon in der Vergangenheit schwierig war. Ich erwarte nicht, dass sich das ändert.

Gibt es schon konkrete Planungen dafür, was während des deutschen OSZE-Vorsitzes 2016 geschehen kann, um die Organisation wieder zu beleben?

Wir gehen da ganz bewusst einen Weg von Beteiligung und Inklusion. Wir zaubern kein deutsches Programm aus dem Hut und treten damit an die anderen heran. Wir wollen die Vorbereitung auf den Vorsitz nutzen, um mit allen Partnerländern in der OSZE ins Gespräch zu kommen und zu testen, was eigentlich die Erwartungen an den deutschen Vorsitz sind und wo Bereitschaft besteht, an einem Neuanfang mit einem vertrauensbildenden Prozess mitzuwirken. Im Laufe des Jahres wird es eine erste Ankündigung durch den Bundesaußenminister dazu geben.

Spielt es dabei eine Rolle, dass mit Deutschland erstmals seit langem wieder ein großes Land mit großem politischem Gewicht, das auch von Russland als Macht ernst genommen wird, den Vorsitz der OSZE übernimmt?

Ich würde es anders ausdrücken. Es war ein Glücksfall, dass wir 2014 die Schweizer Präsidentschaft hatten, weil die Schweiz ein neutrales Land mit vielen erfahrenen Diplomaten ist, denen auch Russland vertraut. Wir haben jetzt die Fortsetzung mit dem serbischen Vorsitz, der insofern Chancen bietet, als traditionell enge Beziehungen zwischen Serbien und Russland bestehen. Und unter der Voraussetzung, dass wir nicht weiter im Krisenmodus bleiben, kann es tatsächlich sein, dass mit Blick auf den deutschen Vorsitz die Erwartungen wachsen, dass eine neue Phase der Vertrauensbildung und des Dialogs in Europa beginnen kann, auch mit dem Versuch, die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Sicherheitsproblemen in Europa, im Westen einerseits und auf der russischen Seite andererseits, aufzunehmen und aufzuarbeiten.

Interview: Reinhard Veser. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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