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„Die klassischen westlichen Ideale haben nichts von ihrer Bedeutung und Aktualität verloren.“

22.02.2017 - Interview

Außenminister Sigmar Gabriel im Interview zum transatlantischen Verhältnis und zur Lage der Europäischen Union. Erschienen u.a. im Hamburger Abendblatt (22.02.2017).

Außenminister Sigmar Gabriel im Interview zum transatlantischen Verhältnis und zur Lage der Europäischen Union. Erschienen u.a. im Hamburger Abendblatt (22.02.2017).

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Aus der neuen amerikanischen Regierung kommen sehr unterschiedliche Töne. Verlassen Sie sich auf Donald Trump – oder eher auf den Vizepräsidenten Pence?

Ich begrüße es sehr, dass US-Vizepräsident Pence in München und in Brüssel zum transatlantischen Bündnis und zu Europa beruhigende, ja versöhnliche Töne angeschlagen hat. Das spiegelt sich auch in den guten Gesprächen, die wir mit ihm und Außenminister Tillerson geführt haben. Verlassen sollten wir Europäer uns aber in erster Linie mal auf uns selbst. Egal ob China, Russland oder die USA: Wir werden nur ernst genommen, wenn wir zusammenhalten. Europa muss stärker werden. In der gemeinsamen Außenpolitik und – in der Folge, und nicht etwa vorwegeilend – in der gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Und am allermeisten müssen wir für mehr Wachstum, Arbeit und Beschäftigung in Europa tun.

Sie nutzen selbst gern den Kurznachrichtendienst Twitter. Was leiten Sie aus der Kommunikation von Donald Trump ab?

Gut gemacht, kann Twittern Politik vermitteln und Botschaften an Menschen senden, die wir sonst nur noch schwer erreichen. Twittern kann gerne auch anständig gewürzt und angespitzt sein, aber Twittern kann, darf und wird Politik nicht ersetzen. Wir sollten jetzt mal nicht alles, was aus Washington kommt, auf die Goldwaage legen. Wir halten uns an das, was wir von der neuen Administration im vertraulichen und persönlichen Gespräch hören. Aber niemand sollte darauf setzen, dass es schon alles so bequem bleibt, wie es für uns in Europa vielleicht einmal war.

Was ist das schlimmste Szenario, das Sie mit Trump verbinden?

„Hoping for the best, preparing for the worst“: Wir müssen die Negativ-Szenarien nicht ständig an die Wand malen, aber natürlich müssen wir sie durchdenken. Das ist aber kein Grund, in Schockstarre zu verfallen oder uns gar von der Idee des Westens zu verabschieden, im Gegenteil: Die klassischen westlichen Ideale – Demokratie, Rechtsstaat und Gewaltenteilung, das Einstehen füreinander, Presse- und Meinungsfreiheit – haben nichts von ihrer Bedeutung und Aktualität verloren. Sie sind keine Gefälligkeiten, sondern das Fundament der transatlantischen Beziehungen und einer Partnerschaft auf Augenhöhe.

Sehen Sie Alternativen zum transatlantischen Verhältnis?

Vorausschauendes politisches Handeln gebietet es, in Räume auszugreifen, die für uns und unsere Zukunft entscheidend sind. Nicht umsonst sprechen viele von einem pazifischen Jahrhundert. Meine Gespräche in Bonn bei den G20 zeigen, dass das Interesse unserer Partner in Asien und Lateinamerika an mehr Zusammenarbeit in Europa viel größer ist als ihre Unsicherheit über den zukünftigen Kurs der USA. Hier können wir nur gewinnen, auf allen Seiten. Eine gute und vertrauensvolle transatlantische Zusammenarbeit ist und bleibt der Schlüssel für unsere gemeinsame Sicherheit und eine liberale, offene Weltordnung. Das kann man nicht ersetzen, schon gar nicht von heute auf morgen. Dass Europa mehr für seine Sicherheit tun muss, ist ja längst eine Binse, und das weit vor Donald Trump. Das tun wir, mit Augenmaß, aber nicht in blindem Gehorsam.

Worauf wollen Sie hinaus?

Wir haben 2014 in der Nato vereinbart, „uns innerhalb eines Jahrzehnts der Zwei-Prozent-Richtlinie anzunähern“. Das gilt und dazu stehen wir. Sicherheit ist aber ungleich mehr als das Zählen militärischer Hardware; es ist auch und vor allem Konfliktprävention, Stabilisierung schwacher Staaten, Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe. Hilfsorganisationen berichten, dass Millionen Menschen am Horn von Afrika, in Somalia, Äthiopien, im Südsudan und anderswo akut von Hunger und Tod bedroht sind. 1,4 Millionen Kinder sind derzeit akut vom Hungertod bedroht! Die Bilder sind schrecklich. Im Irak müssen Essensrationen für Menschen auf der Flucht vor dem IS gekürzt werden, wenn die internationale Gemeinschaft nicht neue Mittel bereitstellt. Im Jemen sind inzwischen wegen des blutigen Krieges zwei Drittel der Bevölkerung auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.

Was genau bedeutet das für den deutschen Verteidigungsetat?

Wir haben Gott sei Dank unseren Einsatz für humanitäre Hilfe in den letzten Jahren massiv ausgeweitet und sind schon froh, wenn wir auf reguläre Haushaltszahlen jenseits von einer Milliarde Euro schauen können. Jetzt reden manche einer Steigerung des Verteidigungshaushalts von 20 Milliarden Euro und mehr das Wort, wohlgemerkt pro Jahr. Die ersten Forderungen werden laut, die Rüstungsausgaben durch Kürzung der Sozialausgaben in Deutschland zu finanzieren. Mit der SPD wird es das nicht geben. Wenn wir tatsächlich kein Problem mit einer solchen Erhöhung des Verteidigungsetats haben, wie der CDU-Finanzminister sagt, dann sollte auch Geld da sein für die Millionen Flüchtlinge und Vertriebene und ihre Kinder, für Essen und Trinken, und für Lebensperspektiven in ihrer Heimat. Das wäre Sicherheitspolitik, und zwar im besten Sinne.

Was soll Europa insgesamt leisten?

Wir müssen uns selber und den Bürgern Europas beweisen, dass wir gestaltungswillig und handlungsfähig sind. Ich sehe fünf Bereiche für ein stärkeres, besseres Europa: gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Schutz der Außengrenzen Europas, Zusammenarbeit für mehr innere Sicherheit, entschlossene Wiederbelebung des europäischen Wohlstandsversprechens und Reformen im europäischen Binnenmarkt. Das ist eine kraftvolle Agenda für Europa, nach innen und nach außen. Nur als starker und geeinter Kontinent behalten wir Gewicht und Stimme in der Welt.

Von Einigkeit ist in der EU wenig zu spüren – nicht einmal bei der Stabilisierung der gemeinsamen Währung …

Es ist höchste Zeit, dass wir die Debatten wieder auf eine sachliche Ebene zurückholen. Wenn Griechenland eines nicht ist, dann das geeignete Objekt für orthodoxe Ideologien. Deshalb ist es gut, dass die technischen Verhandlungen über das Reformprogramm in Athen jetzt wieder aufgenommen werden. Athen sollte sich an einmal getroffene Vereinbarungen halten und wir mit vereinten Kräften alles tun, damit das Land und seine leidgeprüften Menschen endlich wieder wirtschaftlich und sozial auf die Beine kommen – in der Euro-Zone. Ich finde, es gehört sich für ein so großes, starkes und stabiles Land wie Deutschland, alles zu tun, um Europa zusammenzuhalten. Das ist weit mehr als ein Akt der Solidarität, es ist in unserem wohlverstandenen Eigeninteresse.

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Interview: Michael Backfisch und Jochen Gaugele

www.abendblatt.de

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