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Eröffnungsrede des Sonderbeauftragten für den deutschen OSZE-Vorsitz 2016 Gernot Erler zur Annual Security Review Conference

28.06.2016 - Rede

Lieber Lamberto Zannier,
prezado Presidente Ramos-Horta,
sehr geehrter Herr Møller,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,

im Namen des amtierenden Vorsitzenden der OSZE, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, heiße ich Sie alle bei der „ASRC 2016“ herzlich willkommen.

„Jährliche Sicherheits-Überprüfungskonferenz“ – dieser Titel klingt sperrig und wie ich finde, fast ein wenig irreführend in diesen Zeiten: Als ob wir die Sicherheit im OSZE-Raum einmal jährlich überprüfen könnten, wie die Sicherheit von Aufzügen oder Küchengeräten – und dann mit Prüfsiegel versehen und Auftrag erledigt!

Das kann nicht unser Anspruch sein – gerade in Zeiten, in denen unsere gemeinsame Sicherheit keineswegs gesichert und selbstverständlich ist.

Wir dürfen unser Treffen daher nicht als ritualisierte Pflichtübung verstehen. Worum es in den kommenden Tagen gehen muss, ist ein im Ton vertrauensvoller, in der Sache ehrlicher aber stets ergebnisorientierter Dialog.

Meine Damen und Herren,

wir erleben eine Periode der Unsicherheit und der politischen Umbrüche. Dies ist uns allen durch die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreichs vom 23. Juni erneut deutlich vor Augen geführt worden – eine Entscheidung, die wir zu respektieren haben, aber die viele, auch ich persönlich, sehr bedauern und die uns nachdenklich machen muss.

Es ist dies aber nicht nur eine Periode der Unsicherheit, die wir gemeinsam gestalten müssen, sondern auch eine Periode, in der der Friede auf dem europäischen Kontinent nicht nur gefährdet ist, sondern Tag für Tag gebrochen wird.

Dieser Zustand ist inakzeptabel und wird von uns unmissverständlich auf den Begriff gebracht:

- Grundlegende Prinzipien und gemeinsame Werte wurden und werden derzeit in Frage gestellt und

- unsere gemeinsame Sicherheit ist bedroht – von innen und von außen.

Vergleiche mit dem Kalten Krieg, wie sie immer wieder zu hören sind, greifen viel zu kurz. Unsere heutige sicherheitspolitische Lage ist deutlich vielschichtiger. Wir sind mit einer unübersichtlichen „Gleichzeitigkeit“ und Parallelität unterschiedlicher Herausforderungen konfrontiert, die ein Denken in einfachen Kategorien nicht mehr zulässt. Dieser Befund ist nicht übertreibend – er ist nüchtern und realistisch.

Wir dürfen uns aber mit diesem status quo nicht abfinden und weiter reflexartig an einer unkontrollierten und gefährlichen Spirale drehen: Zu groß sind die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Gegenwart für Staaten und ihre Bürger, zu komplex die transnationalen Bedrohungen des 21. Jahrhunderts in der analogen, wie auch in der digitalen Welt.

Diese Bedrohungen machen nicht mehr an nationalen Grenzen, ja nicht einmal an den Grenzen unserer Kontinente und Institutionen halt!

Deshalb müssen wir immer wieder neu denken und darüber sprechen, wie wir gemeinsame Herausforderungen auch gemeinsam bewältigen können und wollen. Und wir müssen unsere Kooperationen ausbauen, in der OSZE beispielsweise die Kooperation mit unseren Partner im Mittelmeerraum und in Asien.

Meine Damen und Herren,

wir dürfen nicht mehr glauben, dass wir Kernfragen der territorialen Integrität, der Selbstbestimmung, der Rechte von Minderheiten, der Terrorismusbekämpfung, der Sicherheit im Cyberraum oder des Umgangs mit Migrationsströmen aus unserem geschützten Kokon und aus unseren alten Denkschemata heraus beantworten können.

Wenn wir ein Mehr an Sicherheit wollen – und das ist die Grundlage für dauerhaften Frieden – dann brauchen wir verhandelte, kollektive und vernunftgeleitete Ansätze, die der gewachsenen Komplexität dieser neuen Herausforderungen gerecht werden.

Ich zitiere: „Es gibt keine Abkürzungen zum Frieden. Frieden ist eine Reise, die Schritt für Schritt gegangen, ein Fundament, das Baustein für Baustein gelegt werden muss“. Ende des Zitats. Diese Worte stammen von unserem heutigen Gast, Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta. Frieden ist möglich – wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, uns im wahrsten Sinne des Wortes konstruktiv verhalten.

Dieser Logik, sich nicht wegzuducken, sondern Dialog- und Kooperationsangebote zu erneuern und auszubauen, folgt der deutsche OSZE-Vorsitz seit einem halben Jahr konsequent – jedenfalls bemühen wir uns. Und so wollen wir es auch bei dieser „ASRC“ halten:

Wir müssen die diplomatische Komfortzone verlassen und stattdessen auch die Konflikte und Meinungsunterschiede klar benennen, die uns voneinander trennen. Im Sinne eines konstruktiven Dialoges sollten wir aber auch bereit sein, dabei die Perspektive des anderen mitzudenken, auch wenn das mühsam und unangenehm sein mag. Ich denke, wir werden nur vorankommen, wenn wir sowohl Formelkompromisse und Lippenbekenntnisse hinter uns lassen, als auch das sture Beharren auf Wahrheit und Richtigkeit allein unserer eigenen Positionen.

Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich, dass wir in diesem Jahr auf der ASRC erstmalig einen Tagesordnungspunkt verankert haben, der offen und unzweideutig ungelöste Regionalkonflikte im OSZE-Raum thematisiert. Das gibt uns die Möglichkeit, in einem offenen Dialog gemeinsam Wege aus diesen Krisen und Chancen zu ihrer Lösung von Konflikten zu diskutieren.

Diese Konflikte stellen mehr denn je eine erhebliche Herausforderung für uns alle dar, besonders für die betroffene Bevölkerung vor Ort. Wir sollten uns nicht damit abfinden, dass viele dieser Konflikte mit einem gewissen Fatalismus als „eingefroren“ bezeichnet werden, denn das menschliche Unglück ist nicht eingefroren! Jahr für Jahr leiden die Menschen in ihrem Alltag, ihre Grundfreiheiten und Menschenrechte sind eingeschränkt, die Entwicklung der betroffenen Regionen geht zurück, bestenfalls stagniert sie.

Worum es uns gehen muss, ist der Einsatz für kleine, aber konkrete Schritte dzurer Stabilisierung. Nur so wird es uns gelingen den Alltag der betroffenen Menschen zu erleichtern und auch auf langfristige und belastbare Lösungen hinzuarbeiten.

Engagiert und der Kunst des Machbaren verpflichtet – diese Logik leitet auch den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf seiner Reise nach Armenien, Aserbaidschan und Georgien:

- Im Konflikt um Bergkarabach muss die jahrzehntelange Gesetzmäßigkeit tödlicher Zwischenfälle entlang der Kontaktlinie endlich durchbrochen werden. Wir begrüßen und unterstützen mit aller Kraft die Intensivierung der Vermittlungsbemühungen im Rahmen der OSZE.

- Auch in Georgien bleibt die Gemengelage alles andere als zufriedenstellend. Dennoch gab es hier zuletzt kleine Fortschritte in der praktischen Zusammenarbeit zwischen den Konfliktparteien. Diese Dynamik müssen wir aufrechterhalten und durch vertrauensbildende und humanitäre Maßnahmen flankieren und absichern.

Ähnliches gilt auch für den Transnistrienkonflikt. Unser Sonderbeauftragter Cord Meier-Klodt wird am Nachmittag näher auf unsere Bemühungen in dieser Region eingehen.

Im Ukraine-Konflikt müssen alle Seiten ihrer Verantwortung gerecht werden: Der Waffenstillstand in der Ostukraine wird immer wieder gebrochen, der politische Prozess stockt.

Wechselseitige, geradezu ritualisierte Schuldzuweisungen führen da nicht weiter. Länst sind wir alle des alltäglichen Blame-Games überdrüssig. Die Forderung lautet vielmehr: Eingegangene Verpflichtungen sind einzuhalten. Und die Rahmenbedingungen, die deren Umsetzung erleichtern, müssen in nachhaltiger Weise geschaffen werden.

Dazu gehört zu allererst die Einhaltung des Waffenstillstands ohne Wenn und Aber und der vollständige Zugang für die Sonderbeobachtungs-Mission SMM ohne Behinderungen und Bedrohungen. Lamberto Zannier ist darauf schon eingegangen.

Auch die Störungen und Zerstörungen der technischen Hilfsinstrumente, wie Drohnen und Kameras, müssen endlich aufhören. Die SMM darf nicht blind gemacht werden! Denn wir brauchen die SMM, um eine langfristige Stabilisierung des Waffenstillstands in der Ostukraine zu ermöglichen. Ein großes Hindernis für diese Stabilisierung ist, dass Verstöße gegen die Minsker Vereinbarungen notorisch straffrei bleiben. Wir müssen darüber nachdenken, ob das so bleiben kann.

Gerade im Ukraine-Konflikt hat sich also gezeigt, dass die OSZE den Unterschied machen kann: Ihre Reaktionsmöglichkeiten und ihre Erfahrungen bei ähnlichen Beobachtungs- und Vermittlungseinsätzen stellen einen echten Mehrwert in der europäischen Sicherheitsarchitektur dar.

Im Kern geht es uns als OSZE-Vorsitz darum, die Handlungsfähigkeit der Organisation zu stärken und ihr Potential zum Crisis Management so gut wie möglich zu nutzen, auch im Zusammenwirken mit anderen internationalen Akteuren – allen voran den Vereinten Nationen. Das betrifft den gesamten Konfliktzyklus – von der Früherkennung, über die Konfliktverhütung, die Konfliktlösung bis hin zur Konfliktnachsorge. Dazu gehört im Übrigen auch eine angemessene Ausstattung, personell wie finanziell.

Meine Damen und Herren,

ein Mehr an Sicherheit in Europa kann nur entstehen, wenn wir alle dieses Mehr an Sicherheit auch wahrnehmen. Die OSZE stand immer für einen kooperativen Ansatz und einen umfassenden Sicherheitsbegriff - und daran müssen wir wieder verstärkt arbeiten. Es liegt im Interesse von uns allen, auf Dauer mehr Sicherheit mit weniger Waffen, mit mehr militärischer Zurückhaltung, mit Transparenz und mit ausgewogenen Kapazitätsbegrenzungen zu erreichen. In einer Phase neuer Unsicherheit in Europa müssen wir uns verstärkt Gedanken darüber machen, wie wir dies angehen können.

Abrüstung und Rüstungskontrolle haben entscheidend zu größerer Sicherheit auf unserem Kontinent beigetragen. Der Nutzen davon für uns alle ist unwiderlegbar. Aber: Die seit 1990 vereinbarten Regime der konventionellen Rüstungskontrolle und über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen entsprechen nicht mehr allen Anforderungen der Gegenwart.

Wir müssen deshalb die bestehenden Instrumentarien fit für die Zukunft machen und an die heutigen Herausforderungen anpassen. Was wir brauchen ist mehr Krisenfestigkeit, mehr Transparenz, effektivere Verifikation, die Verhinderung von gefährlichen militärischen Zwischenfällen, wie sie im Moment ständig drohen – kurz: ein Mehr an gelebter kooperativer Sicherheit. Konkrete Vorschläge liegen ja auf dem Tisch - wir sollten sie vertrauensvoll und zielgerichtet diskutieren. Am Ende des Tages muss aber Konkretes stehen - Sonntagsreden helfen uns auf Dauer nicht weiter: Den Worten müssen auch Taten folgen!

Meine Damen und Herren,

als weltweit größte regionale Abmachung nach Kapitel VIII der Charta der Vereinten Nationen hat die OSZE eine besondere Verantwortung für Frieden und Stabilität übernommen. Dieser Verantwortung kann sie, können wir aber nur gerecht werden, wenn wir auf neue Herausforderungen auch gemeinsame Antworten finden – und dabei unseren Prinzipien treu bleiben und für unsere Überzeugungen einstehen.

Für seine Überzeugungen einstehen. Das heißt: Für Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit. Das heißt: Für die Freiheit seines Landes und seines Volkes kämpfen. Mit friedlichen Mitteln. Mit Beharrlichkeit. Mit Erfolg. Das war auch der Weg von José Ramos-Horta.

Meine Damen und Herren,

ich bin davon überzeugt, dass es uns gut tut, gelegentlich innezuhalten und sich auf die Erfahrungen anderer einzulassen. Ohne Vergleiche ziehen zu wollen, kann die Lösung des Konfliktes um Timor-Leste Inspiration und Impulsgeber zugleich sein – bei der Nachsorge von Konflikten, bei inneren und äußeren Stabilisierungsbemühungen, bei der gesellschaftlichen Konfliktbewältigung oder beim Einsatz für Versöhnung.

Verehrter Herr Präsident Ramos-Horta,

wir alle sind auf Ihre Ausführungen sehr gespannt.

Vielen Dank!

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