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Die DNA der deutschen Außenpolitik

26.02.2015 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Vorstellung der Schlussfolgerungen zum Projekt „Review 2014 – Außenpolitik weiter denken“. Erschienen in der Welt (26.02.2015).

Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Vorstellung der Schlussfolgerungen zum Projekt „Review 2014 – Außenpolitik weiter denken“. Erschienen in der Welt (26.02.2015).

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Welche Rolle soll Deutschland spielen in der Welt? Eines ist im Krisenjahr 2014 deutlich geworden: außenpolitische Verantwortung ist immer konkret und muss sich im Einzelfall beweisen. Manches ist uns im vergangen Jahr gelungen, manches können und wollen wir besser machen.

Deutschland wird geschätzt dafür, wie es sich weltweit für die friedliche Beilegung von Konflikten, für Rechtstaatlichkeit und ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell einsetzt. Gleichzeitig zeigt der Review-Prozess unverkennbar, dass unsere Partner eine aktivere deutsche Außenpolitik erwarten. Uns wird allerhand zugetraut, bisweilen vielleicht sogar zu viel. Am Ende obliegt es den Deutschen selbst, die schwierigen Fragen zu beantworten: Wo liegen unsere Interessen? Wie weit reicht unsere Verantwortung? Was ist, kurz gesagt, die „DNA“ der deutschen Außenpolitik?

Die Grundkoordinaten der deutschen Außenpolitik – engste Partnerschaft mit Frankreich innerhalb eines geeinten Europas und ein starkes transatlantisches Bündnis für Sicherheit und wirtschaftliche Verflechtung – haben sich bewährt und bleiben weiterhin der feste Rahmen unserer Politik. Darüber hinaus aber müssen wir uns künftig drei zentralen Aufgaben stärker zuwenden: dem Krisenmanagement, der sich dynamisch wandelnden internationalen Ordnung und unserer Rolle innerhalb Europas.

Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass die Krise kein Ausnahmefall der Globalisierung ist, sondern vielmehr ihre dauernde Begleiterscheinung. Globalisierung und Digitalisierung führen zu einem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg. Gleichzeitig setzt Globalisierung Regierungen rund um die Welt unter enormen Handlungs- und Legitimationsdruck auch gegenüber den Erwartungen ihrer Bürger. In unserer globalisierten Welt wächst die Sehnsucht der Menschen nach klaren Antworten und einer Identität in überschaubaren, möglichst scharf konturierten, zeitlos gültigen Zusammenhängen. Wenn diese Identitäten die Gestalt des Nationalismus oder religiös oder ethnisch definierter Extremismen annehmen, ist die Folge oft genug brutale, hemmungslose Gewalt – sei es durch Terrorismus oder Bürgerkrieg.

Im Umgang mit Krisen muss deutsche Außenpolitik ihren Blick verstärkt auf Prävention, Ausgleich, und Mediation richten, um zu verhindern, dass uns am Ende nur noch die Schadensbegrenzung bleibt. Deutschland ist bereit, hier international noch mehr zu tun. Früher, entschiedener und substanzieller wollen wir handeln – nicht nur in der akuten Krise, sondern verstärkt in der frühzeitigen Einhegung von Konflikten, aber auch in der Nachsorge in Post-Konflikt-Situationen. Dafür müssen wir unsere Instrumente schärfen und neue Werkzeuge entwickeln, von Frühwarnsystemen bis hin zu verbesserten Mechanismen internationaler Zusammenarbeit.

Wir werden prüfen, wie wir den Vereinten Nationen substanzieller bei der Friedenssicherung und beim Friedensaufbau helfen können. Dafür müssen wir uns mit der gebotenen Zurückhaltung und Sorgfalt auch der schwierigen Frage stellen, ob und wann zur Absicherung politischer Lösungen auch der Einsatz militärischer Mittel erforderlich sein kann.

Aber Außenpolitik darf nicht nur auf Krisen schauen. Sie muss auch das Langfristige im Blick halten. Deutschland ist wie kaum ein zweites Land mit der Welt vernetzt.

Die tektonischen Platten der Weltpolitik verschieben sich dynamisch, am stärksten wohl durch den beispiellosen Aufstieg Chinas. Deshalb muss Deutschland seine eigenen Positionen ständig überprüfen und erneuern. Vor diesem Hintergrund müssen wir den richtigen Mix zwischen der Stärkung unverzichtbarer Organisationen wie der Vereinten Nationen und der Entwicklung neuer Normen und internationaler Mechanismen zur Minimierung langfristiger Risiken finden. Wir müssen zum Beispiel intensiv darüber nachdenken, wie wir wertvolle öffentliche Güter schützen können: den Cyberraum, die Meere, den Weltraum. Die zentrale Herausforderung deutscher Außenpolitik ist die Entwicklung einer vorausschauenden Außenpolitik, die in Ordnung, in internationale Institutionen und in eine kluge Stärkung des Völkerrechts investiert.

Und nicht zuletzt blicken wir auf Europa: Die Europäische Integration bleibt das Fundament der deutschen Außenpolitik. Doch auch hier erfordern neue Herausforderungen neue Antworten. Wir müssen alles tun, um ein strategisches Dilemma zu verhindern, in dem Deutschland sich gezwungen sieht, zwischen seiner Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Welt und der europäischen Integration zu entscheiden. Europa muss von Deutschlands Stärke profitieren, denn wir profitieren von Europas Stärke. Als Europas größte Volkswirtschaft müssen wir in die europäische Integration investieren, denn sie ist die Quelle unserer Stärke und Handlungsfähigkeit.

Zugleich müssen wir den Versuchungen widerstehen, die mit der gegenwärtigen starken Rolle Deutschlands einhergehen. Die USA, Russland und China bieten Deutschland auf jeweils ganz unterschiedliche Weise eine privilegierte Beziehung an. Auch wenn wir gute bilaterale Verbindungen zu wichtigen Partnerländern pflegen wollen: Wenn es um die Gestaltung der Globalisierung geht, ist Deutschland nur in einem soliden europäischen Rahmen wirklich handlungsfähig.

Wir haben keinen Anlass, vor all diesen Aufgaben der Zukunft zurückzuschrecken. Auch unter dem Druck einer globalisierten Welt sind demokratische, rechtstaatliche Systeme widerstandsfähiger als viele – auch in Europa – heutzutage meinen. Aber das heißt nicht, dass wir jede Krise durch Prävention oder intelligentes Eingreifen entschärfen können. Zu einer klugen Außenpolitik gehört auch die Einsicht in die Grenzen der eigenen Möglichkeiten.

Das soll keinem Werterelativismus das Wort reden. Unsere Außenpolitik muss sich ihre Zuversicht und Fähigkeit zum verantwortlichen Handeln erhalten. Aber Festigkeit in den eigenen Überzeugungen und Prinzipien muss mit einer realistischen Einschätzung der Wirklichkeit einhergehen. Die globale Vernetzung unseres Landes erlaubt weder ein Selbstverständnis als Insel noch einen Anspruch als weltpolitischer Revolutionär.

Jede effektive Strategie für den Frieden im 21. Jahrhundert muss auf evolutionäre Veränderung ausgerichtet sein. Außenpolitik ist darin zugleich Prävention, Krisendiplomatie und geduldige Transformationsunterstützung. Für Deutschland gilt, dass es alle diese Ziele im Rahmen einer starken, integrierten Europäischen Union verfolgen muss, in der wir unsere Führungsverantwortung für Frieden und Wohlstand in der Welt wahrnehmen. Deutschland kann manches beitragen zu einer solchen Welt, selbstbewusst und gelassen zugleich.

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