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Für das Assad-Regime gibt es kein Zurück mehr

10.06.2012 - Interview

Außenminister Westerwelle im Interview zu den Chancen des Annan-Friedensplanes und über Optionen, das Blutvergießen zu beenden.

Bei der jüngsten Nahost-Reise von Außenminister Guido Westerwelle war die Lage in Syrien das beherrschende Thema. Im Interview mit der Welt am Sonntag vom 10.06. äußert er sich über die Chancen des Annan-Friedensplans und Optionen, das Blutvergießen zu beenden.

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Herr Außenminister, ist der Annan-Friedensplan für Syrien gescheitert?

Der Friedensplan von Kofi Annan ist noch immer die beste Grundlage für eine politische Lösung. Aber niemand kann verhehlen, dass die Umsetzung des Plans bislang nicht gelungen ist. Wir müssen dem Annan-Plan gemeinsam mehr Nachdruck verleihen.

Wie soll das geschehen? Sie brachten bereits mögliche Maßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta ins Gespräch…

Kofi Annan hat festgestellt, dass die Gewalt in Syrien fortgesetzt wird und beide Seiten dafür verantwortlich sind. Aber auch, dass die Verantwortlichkeit in erster Linie und ganz überwiegend beim Regime von Assad liegt.

Das könnte und sollte Anlass für die russische Regierung sein, ihre Haltung noch einmal zu überdenken und an der Umsetzung einer nicht-militärischen Lösung mit der Androhung von Sanktionen im Sicherheitsrat mitzuwirken.

Gilt das auch für den Artikel 42 des Kapitels VII, der bei Fehlverhalten militärische Maßnahmen zuließe?

Die Bundesregierung beteiligt sich nicht an Spekulationen über militärische Interventionen, auch weil es die Chancen für eine politische Lösung schwächen würde, die zwar gesunken, aber immer noch da sind.

Sehen Sie Anzeichen dafür, dass Moskau seine Haltung überdenken könnte?

Ich habe den Eindruck, dass auch in Russland über einen Transitionsprozess nachgedacht wird.

Das heißt also, ein künftiges Syrien wird es mit Assad nicht geben?

Auch bei den vielen Gesprächspartnern, mit denen ich auf meiner jüngsten Reise in die Region gesprochen habe, besteht der Eindruck, dass das Regime von Assad zu weit gegangen ist und es nun kein Zurück mehr gibt.

Eine jemenitische Lösung bedeutet also Rücktritt und Exil Assads, wie beim jemenitischen Staatschef Saleh. Aber dann wäre der gesamte Apparat, den Assad aufgebaut und der ihn getragen hat, noch immer da…

Es gibt keinen Königsweg. Wir wählen in einer für die ganze Region potenziell explosiven und schwierigen Lage zwischen Optionen, von denen nach gemeinsamer Einschätzung aller unserer Partner die politische bei weitem die beste ist. Dafür ist die Arbeit Kofi Annans entscheidend. Es bleibt richtig, dass wir in unserem Bemühen nicht nachlassen, Russland einzubinden.

Denn Russland hat den größten Schlüssel zur Lösung der Krise in der Hand. All denjenigen, die jetzt auf eine militärische Intervention als vermeintlich schnellen Lösungsweg setzen, möchte ich sagen, dass die Gefahr eines regionalen Flächenbrandes groß ist.

Meine Reise in den Libanon bestätigt mich in meiner wachsenden Sorge, dass nicht nur der Libanon, sondern auch andere Nachbarländer in den Sog der schweren Krise in Syrien geraten könnten. Wir müssen das verhindern.

Russland will den Iran bei der Konfliktlösungssuche dabei haben. Die USA lehnen das kategorisch ab. Wie ist Ihre Haltung?

Ich rate dazu, jetzt zunächst die Vorschläge von Kofi Annan abzuwarten. Ich begrüße jeden Schritt, der uns weiter auf dem Weg zu einer politischen Lösung bringt. Entscheidend ist letztlich das, was wir politisch erreichen können. Dass die Nachbarn Syriens dabei eine wichtige Rolle spielen, liegt auf der Hand.

Geht es Moskau denn wirklich nur um strategische Interessen, also den syrischen Mittelmeerhafen von Tartus als Stützpunkt, oder sitzt das Libyen-Trauma noch tief?

Es gibt viele Motive. Natürlich spielt der freie Zugang zum Mittelmeerraum eine Rolle. Moskau argumentiert aber auch, der Westen habe unter dem Vorwand, die Zivilbevölkerung schützen zu wollen, militärisch in Libyen interveniert, aber in Wahrheit einen Regimewechsel betrieben. Auch wenn wir diese Argumentation nicht teilen, müssen wir sie dennoch ernst nehmen.

Russland sagt zwar, es stelle sich nicht hinter Assad. Aber das Assad-Regime nimmt das offensichtlich so wahr. Und Russland weist zu Recht darauf hin, dass es in Syrien auch Kräfte gibt, die nicht Teil der demokratischen Opposition sind, sondern Terror im Schilde führen. Einen friedlichen politischen Wandel haben diese Kräfte nicht im Sinn.

Sie meinen radikale islamistische Kämpfer, die etwa aus dem benachbarten Irak eingesickert sind?

Radikale Kräfte, Fanatiker, gewalttätige Islamisten, die mit Terror an die Macht kommen wollen.

Ihre jüngste Reise hat Sie ja auch an den Golf geführt. Dort wächst die Ungeduld angesichts der Tatsache, dass in Syrien täglich „sunnitische Brüder“ sterben. Bisher verzichten Saudi-Arabien oder auch Katar auf Alleingänge. Wie lange werden sie noch still halten?

Es stimmt, dass Unruhe und nachvollziehbare Empörung gerade in den arabischen Ländern wachsen. Aber auch die Arabische Liga drängt unverändert auf eine politische Lösung. Es ist nicht klug, derzeit Fristen zu setzen. Man muss aufpassen, keine Erwartungen zu wecken, die man nicht einhalten kann. Gleichwohl ist richtig: Die Zeit läuft nicht, sie rennt!

Wie will die internationale Staatengemeinschaft einer Lösung in Syrien nun näher kommen?

Das Wichtigste ist jetzt, zügig den Annan-Bericht auszuwerten und ihn mit neuer konstruktiver Energie für eine politische Lösung umzusetzen. Dieser Weg ist beschwerlich, auch frustrierend und aufwendig. Er wird auch mit Rückschlägen verbunden sein. Aber er bleibt der richtige Ansatz.

Wer zum jetzigen Zeitpunkt zu einer militärischen Intervention aufruft, muss wissen, welche Risiken damit verbunden sind: Schon jetzt ist das Risiko eines Überschwappens der Krise auf die Region eine Realität. Die Gefahr eines regionalen Stellvertreterkrieges ist sehr ernst und besorgt mich zutiefst. Wer jetzt die Arbeit an einer politischen Lösung aufgibt, der gibt die Menschen in Syrien auf. Das sollten wir auf keinen Fall tun.

Fragen: Dietrich Alexander. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Welt am Sonntag.

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