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„Einfache Antworten sind brandgefährlich“

11.08.2016 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zur Gefahr populistischer Positionen, zu seiner anstehenden Russland-Reise, dem Verhältnis zur Türkei, zur Flüchtlingsfrage und zum Bürgerkrieg in Syrien. Erschienen u.a. auf www.stuttgarter-nachrichten.de (11.08.2016)

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zur Gefahr populistischer Positionen, zu seiner anstehenden Russland-Reise, dem Verhältnis zur Türkei, zur Flüchtlingsfrage und zum Bürgerkrieg in Syrien. Erschienen u.a. auf www.stuttgarter-nachrichten.de (11.08.2016)

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Herr Außenminister, Sie sagen immer wieder, die Welt sei aus den Fugen geraten. Wer hat den Kitt, um sie zu reparieren?

Wenn das so einfach zu beantworten wäre, wäre die Welt heute eine bessere! Wir sehen uns einer Vielzahl an komplizierten und gefährlichen Konflikte gegenüber. Ob in der Ukraine, in Syrien, in Libyen oder im seit Jahrzehnten ungelösten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern – jeder dieser Konflikte hat seine eigene Geschichte, Dynamik und Brisanz. Unterschiedliche Interessen prallen aufeinander und eines ist offensichtlich: Ohne den Willen der beteiligten Akteure, sich auf eine Lösung einzulassen, werden wir keinen einzigen dieser Konflikte lösen. Das sehen wir aktuell im Ukrainekonflikt, bei dem uns eine Entschärfung, aber längst keine Lösung gelungen ist. Das sehen wir im Bürgerkrieg in Syrien, wo auf dem Rücken der Menschen ein tödliches Spiel um Macht und Einfluss in der Region getrieben wird. Von außen Lösungen herbeizuzaubern, ist da unmöglich.

Das hört sich nicht sonderlich optimistisch an.

Ja, das stimmt. Und dennoch dürfen wir nicht aufhören, uns zu engagieren, wo und wie wir es sinnvollerweise können – ob in der humanitären Hilfe, oder – gemeinsam mit den USA, Russland und den Nachbarstaaten Syriens – bei dem Bemühen um eine Beendigung des syrischen Bürgerkriegs.

Der Weltsicherheitsrat ist wegen des Streits mit Moskau etwa in Bezug auf Syrien blockiert, in der Ostukraine entfaltet sich ein “frozen conflict”. Es heißt, Sie würden bald nach Russland reisen, um einen neuen Gesprächsanlauf zu nehmen.

Wir reden ständig mit Russland. So schwierig das auch ist und so mühevoll mitunter jeder Millimeter Fortschritt errungen werden muss: ohne Russland wird es weder in der Ukraine noch in Syrien Frieden geben. Und ja, ich plane tatsächlich nächste Woche nach Jekaterinburg zu reisen, wo ich an der Boris Jelzin Universität eine Vorlesung halten und mit Studenten diskutieren werde. Natürlich treffe ich bei der Gelegenheit auch den russischen Außenminister. Gesprächsstoff gibt’s reichlich.

Sie sprechen anders als die Kanzlerin davon, dass die Russland-Sanktionen Stück für Stück zurückgenommen werden könnten, wenn es bei der Umsetzung des Minsker Friedensplans Fortschritte gibt. Was schwebt Ihnen genau vor?

Sanktionen sind kein Selbstzweck. Ziel unserer Bemühungen ist doch nicht die Aufrechterhaltung der Sanktionen, sondern die Lösung des Ukrainekonflikts. Deshalb haben wir sie bewusst an Fortschritte bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen gekoppelt. Wenn es dort handfeste Fortschritte gibt, können wir auch über eine Veränderung bei den Sanktionen nachdenken. Leider sind wir da noch nicht, aber wir arbeiten mit großem Zeitaufwand daran. Derzeit konzentrieren wir uns auf die dringend nötige Verbesserung der Sicherheitslage im Donbass, die die Einhaltung der vereinbarten Waffenruhe besser gewährleistet. Nicht weniger wichtig ist die Arbeit an einem Gesetz für Lokalwahlen in der Ostukraine, die zur Zeit stattfindet.

Putin, Erdogan, vielleicht bald auch Trump: Immer mehr Menschen scheinen sich von populistisch auftretenden starken Männern Lösungen zu versprechen. Bricht ein neues Zeitalter der Autokraten an?

Dass es nicht nur um Männer geht, zeigt ja das Beispiel von Marine Le Pen in Frankreich. Im Ernst: In diesen Zeiten, in denen die Welt zwischen einer Krise und der nächsten Krise hin- und hergeworfen ist, suchen viele Menschen nach einfachen Antworten. Das können wir in vielen Ländern, aber auch bei uns in Deutschland beobachten. Und das ist schon etwas, das mich umtreibt – dass dieser Populismus letztlich die Angst der Menschen vor einer immer unübersichtlicheren Welt ausnutzen will. Um echte Politik, darum, Lösungen für all die ganz realen Probleme zu finden, mit denen wir konfrontiert sind, darum geht es diesen Leuten nicht. Und das finde ich brandgefährlich.

Die türkische Regierung empfängt den deutschen Botschafter nicht mehr, zitiert seinen Stellvertreter herbei, lässt Abgeordnete nicht die im Land stationierten Bundeswehrsoldaten besuchen, kritisiert mangelnde Pressefreiheit in Deutschland: Muss man sich das gefallen lassen?

Was heißt denn hier „gefallen lassen“? Niemand tut das! Wir haben unsere Position von Anfang an unmissverständlich deutlich gemacht, und das ist von der türkischen Seite gehört worden – und das nicht gern. Das gilt aber auch anders herum: die Türkei hat klar gemacht, dass sie sich mehr Solidarität als Reaktion auf den Putschversuch erhofft hätte. Aber bei diesem Zustand können wir es nicht einfach belassen. In Deutschland leben drei Millionen Menschen mit türkischer Abstammung. Über Jahrzehnte ist ein enges und vertrautes zwischenmenschliches Netz gewachsen, das wir bewahren müssen. Und auch die Menschen in der Türkei erwarten, dass wir uns für sie einsetzen. Das kann auf Dauer nicht funktionieren, wenn wir nur über Medien, über öffentliche Erklärungen und Kamerastatements kommunizieren. Auch wenn die Gespräche absehbar schwierig werden – wir müssen wieder das Gespräch direkt miteinander suchen.

Dass der Gesprächsfaden nicht abreißen darf mit dem großen und in vielen Fragen wichtigen Nachbarn Türkei ist das Eine, aber kann es richtig sein, keine politischen oder diplomatischen Konsequenzen daraus zu ziehen, wie autoritär Präsident Erdogan auf den Putschversuch reagiert? Was müssen aus Ihrer Sicht die nächsten Schritte im Umgang mit der Türkei sein?

Es ist verdammt leicht, am grünen Tisch harte politische oder diplomatische Konsequenzen zu fordern. Wie würde das denn in der Praxis aussehen? Eine Aussetzung der Gespräche, Stillschweigen, Konfrontation? Das wäre verantwortungslos. Richtig ist, dass wir mit der Türkei im Gespräch bleiben müssen – das gilt umso mehr, wenn es schwierig wird im bilateralen Verhältnis. Deshalb war mein Staatssekretär Markus Ederer Anfang der Woche auch in Ankara, um dort klar zu sagen: wir haben großen Respekt vor den Menschen, die den Panzern die Stirn geboten haben, und teilen die Trauer um die hunderte türkischen Opfer – Tote und Verletzte. Gleichzeitig lassen wir darin nicht nach, ganz deutlich zu unterstreichen: wir haben die Erwartung, dass die Türkei auch bei der Aufklärung des Putschversuchs auf rechtsstaatlichem Boden verankert bleibt. Hier haben wir auch bislang sehr deutliche Worte gefunden, und davon rücken wir sicher nicht ab.

Welchen Hebel haben Deutschland und die Europäische Union in der Hand, um mäßigenden Einfluss auszuüben?

Ich halte weder etwas davon, Drohkulissen aufzubauen, noch sollten wir uns überschätzen. Aber ich bin ganz sicher: Die Türkei ist mittel- und langfristig auf Europa angewiesen – wie wir auf die Türkei.

Muss Europa am Ende doch eine interne Lösung finden, falls das Abkommen doch scheitert, weil Ankara in der jetzigen Lage nicht die geforderte Visafreiheit bekommen kann?

Bisher ist das Abkommen weder gekündigt noch gescheitert. Wir müssen das auch nicht jeden Tag herbeireden. Die Türkei hat Interesse an der Visaliberalisierung, aber die Voraussetzungen dafür waren schon vor der Flüchtlingsvereinbarung definiert und sind nicht neu. Die Türkei weiß, dass sie hier noch Arbeit vor sich hat. Unabhängig davon müssen wir natürlich weiter an gemeinsamen europäischen Antworten auf die Fluchtbewegungen arbeiten. Allen muss doch klar sein, dass das Abkommen mit der Türkei nicht alle Antworten auf fortgesetzten Migrationsdruck enthält.

Interview: Christopher Ziedler

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