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Schlusswort von Europa-Staatsminister Michael Roth bei der OSZE-Konferenz zu Toleranz und Vielfalt

20.10.2016 - Rede

--- es gilt das gesprochene Wort ---

Sehr geehrte Frau Mijatovic,
lieber Michael Link,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

wo kann man sich besser in Toleranz üben als bei munteren Debatten und Diskussionen? Davon können Sie nach einem langen Konferenztag voll mit Arbeitssitzungen nun sicher alle ein Lied singen. Seit gestern haben Sie intensiv über die Notwendigkeit und die möglichen Formen – aber auch die Grenzen – von Toleranz debattiert. Mit Engagement. Mit Überzeugung. Ja, und manchmal auch kontrovers.

Genau diese bunte Palette an Ansichten und Empfindungen ist doch der allerbeste Beweis für die bereichernde Wirkung gelebter Vielfalt. Denn Toleranz wird uns vor allem dort abverlangt, wo Unterschiede offen zu Tage treten, wo wir Vielfalt in ihrer ganzen Buntheit erleben, aber auch die damit verbundenen Konflikte erfahren.

Das haben wir in Deutschland gerade in den vergangenen Monaten erlebt, in denen hierzulande hunderttausende Menschen Zuflucht vor Krieg und Terror gesucht haben. Die Vielfalt, die Buntheit, in unserem Land hat dadurch zugenommen. Aber keine Frage: Die wachsende Vielfalt hat auch die Toleranz vieler Bürgerinnen und Bürger auf eine harte Probe stellt.

Die Frage steht im Raum: Wieviel Vielfalt ist möglich und wieviel Gemeinsamkeit ist nötig für ein friedliches Zusammenleben in unserem Land, ja in ganz Europa? Das Zusammenleben verschiedener Kulturen, Religionen und Ethnien ist zugegebenermaßen anstrengend, aber eben auch bereichernd und lohnenswert.

Ohne Toleranz funktioniert das aber nicht. Nun ist Toleranz mitnichten ein statischer Zustand, Sie ist keine einmal eingenommene und dann unverrückbare Haltung. Nein, Toleranz muss immer wieder neu erlernt und gelebt werden. Immer wieder muss sie sich neuen Fragen und Entwicklungen anpassen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Toleranz und Dialog gehören untrennbar zusammen. Ohne Toleranz, ohne die Bereitschaft, anderen Meinungen und Ansichten mit Respekt zu begegnen, ist Dialog schlicht nicht möglich. Und ohne echten Dialog, ohne die ernsthafte Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und Ansichten, bleibt Toleranz abstrakt und passiv.

„Wer auf Differenz besteht, der steht am Anfang eines Gespräches, nicht an seinem Ende“, so hat es Hans-Georg Gadamer, der große Philosoph des Dialogs, treffend beschrieben.

Und in diesem Sinne verstehen wir diese Konferenz auch nicht als einen Endpunkt, sondern als herzliche Einladung, den hier begonnenen Dialog auch künftig weiterzuführen. Die Frage, wie sich die zunehmende ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt in unseren Gesellschaften auf unser Zusammenleben im Alltag auswirkt, wird uns alle über den heutigen Tag hinaus beschäftigen.

Toleranz fordert auch von uns die Bereitschaft, respektvoll miteinander umzugehen und eigene Positionen in Frage zu stellen. Toleranz ist das Eingeständnis, dass der andere am Ende vielleicht doch Recht haben könnte. Und Toleranz ist die Fähigkeit, auch mal Widerspruch zu ertragen. Toleranz zu zeigen, ist daher mitnichten ein Zeichen von Schwäche, sondern vielmehr von Souveränität und innerer Stärke.

Toleranz ist ein kostbares Gut. Und deshalb muss sie auch von Regierungen und staatlichen Institutionen beachtet, verteidigt und unterstützt werden. Tag für Tag aufs Neue. Gemeinsam mit allen anderen engagierten gesellschaftlichen Kräften. Der Einsatz gegen die Ausgrenzung und Diskriminierung von Minderheiten treibt mich an bei meiner Arbeit als Europaminister: Fast überall, wo ich hinreise, treffe ich mich mit Vertreterinnen und Vertretern von Minderheiten – seien es geflüchtete Menschen, Sinti und Roma oder LGBTI.

Toleranz muss von uns allen gelebt werden – ohne der Versuchung zu erliegen, den vermeintlich leichten Antworten zu folgen. Sie darf nicht von denjenigen missbraucht werden, die für sich Toleranz in Anspruch nehmen, um ihren Hass und ihre Vorurteile zu verbreiten.

Oder wie es der Philosoph Karl Popper formulierte: „Im Namen der Toleranz sollten wir das Recht beanspruchen, die Intoleranz nicht zu tolerieren.“ Recht, hat er. Und ich füge hinzu: Sonst stirbt der Dialog in einer offenen Gesellschaft.

Wir brauchen Bereitschaft zum echten Gespräch, auch im internationalen Rahmen wie in der OSZE. Wir brauchen einen offenen, ja kritischen Austausch über die besten Erfahrungen und Lösungen im Umgang mit Vielfalt und den Bewährungsproben der Toleranz. Dazu gehören Erfahrungen, wie wir Hasskriminalität und Diskriminierung im Internet bekämpfen können.

Und dazu gehören ganz konkrete Projekte, die Toleranz und Vielfalt durch Bildung und Erziehung fördern. Als Beispiel haben Sie heute das großartige Online-Projekt „Stories that move“ kennengelernt, das die ganz persönlichen Erfahrungen von jungen Menschen mit Diskriminierung und Intoleranz vorstellt. Man hat diesen jungen Leuten ihre Würde genommen. Dieses Projekt gibt den Opfern aber eine Stimme - hör- und vernehmbar.

Das Projekt erzählt auch die Geschichte einer wachsenden Vielfalt von Orientierungen, Zugehörigkeiten und Identitäten in unseren Gesellschaften. Es erzählt Geschichten von den Chancen, die in dieser Vielfalt stecken. Und das finde ich die wichtigste Botschaft in Zeiten, in der viele Menschen Vielfalt leider eher als Bedrohung begreifen.

Um für diese Chancen zu werben, meine Damen und Herren, müssen wir den Dialog über Vielfalt und Toleranz weiterführen und nutzen – untereinander als Teilnehmerstaaten der OSZE, mit unseren Zivilgesellschaften und auch Tag für Tag in unserem direkten Umfeld. Wir alle sind Bürgerinnen und Bürger und sollten mit gutem Beispiel voran gehen.

Dazu, so hoffe ich, hat Ihnen die Konferenz heute viele Anregungen und Impulse geliefert. Und ich kann Ihnen bereits jetzt versprechen: Der Abschluss im Zeiss-Großplanetarium heute Abend, zu dem ich Sie an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich einladen möchte, wird auch noch einige Inspirationen bereithalten. Vielleicht wollten Sie ja schon immer mal nach den Sternen greifen?

Herzlichen Dank an alle, die diese Konferenz ermöglicht und vorbereitet haben. Und ein großes Dankeschön auch an Sie für Ihre Teilnahme und die engagierten Diskussionen. Bleiben Sie auch weiter im Gespräch – ganz im Sinne von Toleranz und Vielfalt!

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