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Rede von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Deutschen Bundestag zu den jüngsten Entwicklungen in Pakistan, 8. November 2007

09.11.2007 - Rede

Rede von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Deutschen Bundestag in der aktuellen Stunde zu den jüngsten Entwicklungen in Pakistan, 8. November 2007 in Berlin

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten!

Es gibt einfachere Reden, und es gibt schwierigere Reden. Eine Rede zur Bewertung der gegenwärtigen Entwicklung in Pakistan gehört jedenfalls nach meiner Ansicht zu den schwierigeren Reden, Herr Paech, wenn man redlich ist und wenn man Reden von dieser Stelle aus nicht dazu benutzt, um nochmals die Fehler amerikanischer Außenpolitik zu entlarven, und wenn man nicht, Jürgen Trittin, vergisst, dass wir auch in den Jahren 2001 bis 2005 unter grüner Außenpolitik versucht haben, Pakistan an uns zu binden. Das kann also nicht ganz falsch gewesen sein, auch nach deiner Ansicht nicht.

Schon die Debatte bisher zeigt aus meiner Sicht: Die Bilder und Nachrichten, die uns in den vergangenen Tagen aus Pakistan erreichten, versetzen uns alle in der Tat in große Sorge. Ja, die Ausrufung des Notstands ist nicht nur ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in Pakistan, in Gefahr ist in der Tat die Stabilität im Lande insgesamt. Das ist eine schlechte Nachricht für Pakistan, aber auch eine schlechte Nachricht für die gesamte Region Südasien. Wenn Pakistan mit seinen über 160 Millionen Einwohnern in Chaos und Gewalt versinkt, dann bedroht das die gesamte politische Tektonik weit über das Land hinaus, eben auch die im Nachbarland Afghanistan. Ich sage hier ganz klar: Niemals dürfen Atomwaffen und Raketensysteme in die Hände von islamistischen Terroristen geraten.

Ich sage aber auch: Pakistans Präsident Musharraf hat sich im Kampf gegen den Terror in den vergangenen Jahren durchaus als wichtiger Verbündeter des gesamten Westens gezeigt. Er hat bis an den Rand seiner innenpolitischen Kräfte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Kampf gegen al-Qaida und fanatisierte Taliban unterstützt. Ich betone das deshalb, weil wir uns auch jetzt, in dieser schwierigen Situation in Pakistan, vor Zerrbildern hüten sollten. Der eine oder andere hat die Gelegenheit zu politischen Gesprächen mit Musharraf gehabt. Wer ihn kennt, weiß – das ist kein Freibrief; verstehen Sie es bitte nicht so –, dass dieser Mann jedenfalls kein kaltblütiger Diktator ist.

Richtig ist leider auch: Der pakistanische Präsident sieht sich in seinem Land mit immer engeren Netzwerken konfrontiert, die – jetzt zitiere ich nicht ihn, sondern Benazir Bhutto – täglich Terror schüren, finanzieren und ausführen. Ich füge hinzu: Das sind eben Netzwerke, die den Staat mit brutaler Gewalt von der Wurzel her zerstören wollen.

Was besagt das? Das besagt zunächst einmal, dass eine solche Situation Gegenwehr erforderlich machen kann. Das besagt auch, dass eine solche Situation Entschiedenheit in den staatlichen Entscheidungen und im staatlichen Verhalten begründen, wenn nicht sogar verlangen kann. Ebenso deutlich sage ich aber: Gerade wegen der großen Herausforderung für Pakistan, die ich beschreibe, ist Pakistans Präsident mit der Ausrufung des Notstands auf einem Irrweg, ich glaube, auf einem gefährlichen Irrweg.

Der eine oder andere von Ihnen hat es angesprochen: Die Verhaftungen, der Hausarrest von Führern politischer Parteien, von Juristen, von Vertretern des öffentlichen Lebens sind genau die falschen Mittel, um die Ordnung in diesem Land zu erhalten; denn sie untergraben das Fundament, auf dem die staatliche Ordnung in Pakistan bislang noch stand. Die Notstandsmaßnahmen richten sich ganz offensichtlich – das hat auch jemand von Ihnen gesagt – gerade gegen die Kräfte, die Pakistan braucht, um eine demokratische, rechtsstaatliche und stabile Gesellschaft aufzubauen. Ich unterstreiche: Mit einer erzwungenen Friedhofsruhe ist für Pakistan der Kampf gegen die Feinde des Staates ganz sicher nicht zu gewinnen.

Gemeinsam mit vielen internationalen Partnern, vor allen Dingen aus der Europäischen Union, haben wir, die Bundesregierung, deshalb eine klare Botschaft an die Regierung in Islamabad gesandt: Allein die möglichst schnelle Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung kann aus dieser gefährlichen Krise herausführen. Das habe ich gestern auch meinem pakistanischen Kollegen in aller Offenheit am Telefon erläutert.

Mit anderen Worten: Niemand bezweifelt das Recht der pakistanischen Regierung, sich gegen terroristische Angriffe zur Wehr zu setzen. Niemand bezweifelt die Notwendigkeit, für Stabilität und Sicherheit in Pakistan einzutreten. Aber wer nachhaltige Stabilität erreichen, wer die Menschen gegen religiöse und politische Extremisten mobilisieren will, der muss dafür zwingend den Weg von Rechtsstaat und Demokratie einschlagen.

Eine zivile Regierung, das Prinzip der Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Justiz, die Freiheit der Medien, das sind die tragenden Säulen jeder Demokratie, und es sind auch die Säulen, die Pakistan vor dem Chaos bewahren. Ich erneuere deshalb meinen Appell, die vielen politischen Führer, Anwälte, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft schnellstmöglich wieder auf freien Fuß zu setzen und die Einschränkungen, vor allen Dingen der Medienfreiheit, zurückzunehmen.

Oberste Priorität muss dann sein, die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen wieder zu schaffen. Ich begrüße, dass die pakistanische Regierung angekündigt hat – der pakistanische Außenminister hat es mir gestern am Telefon noch einmal versichert –, dass die in Aussicht genommenen Wahlen tatsächlich Anfang des Jahres, also Januar/Februar 2008, stattfinden sollen. Wir werden die pakistanische Regierung und Präsident Musharraf bezüglich dieser Ankündigung beim Wort nehmen.

Die unverzügliche Vorbereitung von wirklich freien und fairen Wahlen wäre jedenfalls auch aus unserer Sicht ein wichtiges Zeichen dafür, dass es der Regierung mit der Rückkehr zur Demokratie, mit der Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung, die jetzt angekündigt worden sind, ernst ist.

Ziel muss es sein, den Notstand so schnell wie möglich zu beenden und zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren. Solange dies nicht der Fall ist, werden wir auch in unseren bilateralen Beziehungen nicht ohne Weiteres zur Tagesordnung übergehen können. Das heißt konkret, dass wir unsere ohnehin restriktive Rüstungsexportpolitik gegenüber Pakistan im Lichte der aktuellen Ereignisse überprüfen müssen.

Das heißt auch – Kollegin Wieczorek-Zeul hat das in diesen Tagen bereits angekündigt –, dass wir jedenfalls Entwicklungshilfe vorübergehend nur noch für solche Projekte gewähren, die konkret den Menschen helfen. Unsere Politik – deshalb sage ich das – richtet sich gerade nicht gegen die Menschen in Pakistan, gerade sie dürfen wir in dieser Situation nicht allein lassen. Wir müssen die Zusammenarbeit in allen Bereichen aufrecht erhalten und die suchen, die wieder zu stabileren Verhältnissen in Pakistan und der gesamten Region beitragen können.

Das allerdings ist erforderlich, und ich füge hinzu: Alles andere würde ich auch für nicht verantwortlich halten. Denn uns allen muss bewusst sein: Ohne Pakistan wird es in Südasien, wird es gerade in Afghanistan keine Stabilität geben können. Ohne Pakistan wird es auch im Kampf gegen den internationalen islamistischen Terrorismus keinen nachhaltigen Erfolg geben. Das war einer der wichtigen Gründe – ich bin Herrn Kolbow dankbar, dass er daran erinnert hat –, warum wir den afghanischen und den pakistanischen Außenminister im Juni gemeinsam nach Potsdam eingeladen haben, um die Kooperation zwischen den beiden Ländern zu verbessern.

Meine Damen und Herren, wir haben alles in allem in einer schwierigen und, was die weitere Entwicklung angeht, schwer zu beurteilenden Lage ein ureigenes Inte-resse daran, dass Pakistan schnellstmöglich wieder zu Demokratie und Stabilität zurückkehrt. Genau dafür werden wir uns und werde ich mich nach Kräften einsetzen.

Herzlichen Dank.

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