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„Die enge Abstimmung mit Polen und unseren osteuropäischen Partnern ist mir sehr wichtig“

27.04.2015 - Interview

Aus Anlass der heutigen deutsch-polnischen Regierungskonsultationen in Warschau sprach Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza (27.04.2015).

Aus Anlass der heutigen deutsch-polnischen Regierungskonsultationen in Warschau sprach Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza (27.04.2015).

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Außenminister Steinmeier zum Tod von Władyslaw Bartoszewski

Die Nachricht vom Tode von Władyslaw Bartoszewski hat mich mit großer Trauer erfüllt.

Sein langes bewegtes und erfülltes Leben spiegelt all den Schrecken des 20. Jahrhunderts genauso wider wie das Glück der wiedergewonnenen Freiheit und Selbstbestimmung seiner geliebten polnischen Heimat.

Vom Grauen von Auschwitz über den Warschauer Aufstand und das kommunistische Joch Polens hat Wladyslaw Bartoszewski unendliches Leid erlebt.

Das hat ihn nie zweifeln und schon gar nicht verzweifeln lassen, sondern nur bestärkt in seiner Idee eines freien und demokratischen Polens im Herzen Europas.

Wir haben mit Władyslaw Bartoszewski einen großen Europäer und Kämpfer für die Freiheit verloren.

Wir sind Władyslaw Bartoszewski für das große, unbeirrbare Engagement für eine Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen dankbar. Auch dank dieses Engagements können wir uns heute über deutsch-polnische Beziehungen freuen, die nach den Worten von Wladyslaw Bartoszewski „so gut sind wie nie zuvor in der Geschichte“.

Das wird unvergessen bleiben. Wir sind dankbar, dass wir darauf für die gemeinsame Zukunft Deutschlands und Polens aufbauen können.

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Seit Jahren sterben im Mittelmeer Flüchtlinge, die Europas Küste erreichen wollen. Erst jetzt, nach der Katastrophe von letzter Woche, versucht die EU aktiv zu handeln, es wurde sogar eine Krisensitzung des Europäischen Rats einberufen. Was kann Europa nach Ihrer Einschätzung tun, um solche Tragödien zu verhindern und um das Problem der illegalen Masseneinwanderung zu lösen?

Es ist eine furchtbare Tragöde und rührt an unser Selbstverständnis als Europäer, dass so viele Menschen im Mittelmeer ums Leben kommen. Deshalb ist es dringend geboten, dass wir uns in gesamteuropäischer Solidarität an die Lösung der Flüchtlingsprobleme im Mittelmeer machen.

Das betrifft zum einen die Seenotrettung. Für die Verbesserung der Seenotrettung gibt es mit den Ergebnissen des Europäischen Rates in der vergangenen Woche konkrete Ansätze, die wir jetzt zügig umsetzen.

Wir müssen auch beim Ursprung des Problems ansetzen: bei den Krisen in den Ländern vor Ort, etwa in Libyen, dem Transitland für viele der Flüchtlinge. Dort werden wir weiter auf eine politische Einigung hinwirken. Wenn sie gelingt, werden wir nach Kräften bei Umsetzung und Stabilisierung helfen.

Schließlich müssen wir Schleppern und Schleusern das Handwerk legen, die in rücksichtloser Profitgier den Tod von Menschen bewusst in Kauf nehmen. Dazu brauchen wir die Kooperation der Länder, die Schlepperzentren tolerieren oder von denen aus die Boote ablegen. Hierzu ist eine konzertierte internationale Allianz wichtig.

Gleichzeitig gilt: Es gibt keine einfachen Antworten. Denn einfache Lösungen werden den Herausforderungen einer effektiven Seenotrettung, der komplexen Lage in den Herkunfts- und Transitstaaten und dem Problem krimineller Schleuser nicht gerecht.

Teilen Sie die Meinung, dass die Last der Annahme der Flüchtlinge auf alle EU-Mitglieder verteilt werden sollte? Das würde bedeuten, dass nicht nur Italien, aber auch z.B. Polen sich um ein Kontingent der Flüchtlinge kümmern müsste. Wie soll man die anderen Länder davon überzeugen?

Niemals seit dem Zweiten Weltkrieg war die Zahl von Menschen auf der Flucht vor Bürgerkrieg, Not und Elend so hoch wie heute. Wir brauchen Ansätze für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge. Derzeit nehmen sechs von 28 EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, 80 Prozent der Mittelmeerflüchtlinge auf. Deutschland hat mit etwas mehr als 200000 Asylbewerbern im vergangenen Jahr die größte Zahl aufgenommen. Es ist wichtig, dass wir uns über die gemeinsame Verantwortung aller EU-Mitgliedstaaten für die Flüchtlinge verständigen.

Die Lage in der Ost-Ukraine ist weiterhin angespannt, und das Abkommen von Minsk wurde noch nicht vollständig umgesetzt. Es gibt immer mehr Berichte von neuen Waffenlieferungen und neuen Rekruten, die aus Russland kommen. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass der Waffenstillstand von den Separatisten - also von Russland - gebrochen wird? Wie wird die EU darauf reagieren?

Mit Hilfe der Minsker Vereinbarungen konnten wir verhindern, dass der Konflikt in der Ostukraine außer Kontrolle gerät. Heute gibt es einen Waffenstillstand, der weitgehend hält, und schwere Waffen sind aus der Pufferzone abgezogen worden. Jetzt geht es vor allem darum, den Einstieg in den politischen Prozess voranzutreiben – so, wie es im Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar vorgesehen ist, das ja im Grunde einen Fahrplan zur Entschärfung der Ukraine-Krise vorzeichnet.

Die Wahrheit ist aber auch: Die Gefahr einer erneuten Verschärfung des Konflikts in der Ostukraine ist noch nicht gebannt. Umso wichtiger ist es, dass wir bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen am Ball bleiben. Eines ist jedenfalls auch klar: Eine erneute Eskalation durch eine großangelegte Offensive der Separatisten in Mariupol oder anderswo in der Ostukraine würde von der EU nicht unbeantwortet bleiben.

Wieso haben die Polen an den Gesprächen im Normandie-Format nicht teilgenommen?

Das sogenannte Normandie-Format ist, wie der Name schon sagt, am Rande der Gedenkfeierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Landung der Alliierten Streitkräfte in der Normandie aus der Taufe gehoben worden. Es ist derzeit das einzige Format, in dem Moskau und Kiew miteinander zu verhandeln bereit sind. Ich sehe deshalb zurzeit keine gangbare Alternative. Für uns steht aber nicht das Format, sondern unser gemeinsames europäisches Ziel im Vordergrund – nämlich den Konflikt in der Ostukraine zu entschärfen.

Ich stehe mit meinem polnischen Kollegen Gregorz Schetyna in ständigem Austausch zu den aktuellen Entwicklungen in der Ukraine, auch immer dann, wenn Normandie-Beratungen anstehen. Die enge Abstimmung mit Polen und unseren osteuropäischen Partnern ist mir sehr wichtig. Das habe ich auch bei meinem letzten Besuch in Warschau im Februar und beim Visegrad-Treffen in Bratislava vor einem Monat deutlich gemacht. Anfang März war Gregorz Schetyna übrigens zuletzt in Berlin und schon heute sehen wir uns zu den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen in Warschau wieder – allein die hohe Zahl von bilateralen Besuchen und Begegnungen zeigt, wie eng die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen sind.

Wie beurteilen die Deutschen die Reformbereitschaft der ukrainischen Regierung und die Reformen, die Kiew bereits verabschiedet hat?

Vor der Ukraine liegt ein steiniger, sicherlich auch schmerzhafter und langer Reformweg. Die ukrainische Regierung stellt sich dieser schwierigen Aufgabe und hat sich ehrgeizige Reformziele gesteckt. Das verdient unseren Respekt.

Es ist gut, dass die Reformaufgaben jetzt Schritt für Schritt mit entsprechenden Gesetzen angegangen werden, wie zum Beispiel im Energiebereich und im Kampf gegen die Korruption. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass die neuen rechtlichen Regeln dann auch konsequent umgesetzt und angewandt werden. Deutschland steht jedenfalls bereit, die Ukraine in ihrem Reformelan tatkräftig zu unterstützen. Das tun wir gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft auch morgen bei der Unterstützungskonferenz in Kiew.

Europa hat noch ein Problem. Mit Griechenland. Glauben Sie, dass es zu einem „Grexit“ kommen könnte?

Mein Ziel, das Ziel der Bundesregierung, das Ziel aller europäischen Partner ist, dass Griechenland Mitglied in der Eurozone bleibt. Griechenland kann weiter auf unsere Solidarität zählen. Deshalb stehen wir auf der Basis der getroffenen Vereinbarungen zu unseren Hilfszusagen.

Natürlich bedeutet das auch, dass Griechenland selbst die Zusagen und Verpflichtungen zu Haushaltskonsolidierung und Reformen einhalten muss. Dafür gibt es nicht unbegrenzt Zeit. Ich vertraue darauf, dass unsere griechischen Partner sich des Ernstes der Lage bewusst sind.

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