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Rede von Bundesaußenminister Steinmeier anlässlich der 100-Jahr-Feier des Vereins der ausländischen Presse (VAP) in Berlin, 24.10.2006

24.10.2006 - Rede

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, lieber Herr Verbeek,
sehr geehrte Mitglieder des Vereins der ausländischen Presse,
meine Damen und Herren,

100 Jahre sind ein stolzes Datum und ein guter Anlass zum Feiern, auch für den Verein der ausländischen Presse. Darum zuerst einmal: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem runden Jubiläum! Dass wir das nicht mehr im Frack tun, wie die Bilder vom 20jährigen Bestehen im Hotel Adlon zeigen, muss kein Nachteil sein!

100 Jahre VAP sind aber auch ein guter Anlass, den Blick zurück und nach vorn zu richten. Im Spiegel der vergangenen 100 Jahre deutscher Geschichte finden sich besonders dunkle wie auch helle Kapitel. Von Deutschland gingen zwei Weltkriege und der Holocaust aus. Darauf folgten eine lange Phase der Vertrauensbildung und Aussöhnung und die Erfolgsstory von der europäischen Einigung. Durch diesen langen Prozess der Bewährung hat unser Land wieder einen respektierten Platz am Tisch der Weltgemeinschaft erhalten - und seine staatliche Einheit wiedererlangt.

Heute verstehen wir uns als eine zivile Mittelmacht im Herzen Europas – nicht weniger, aber wichtiger ist: ganz sicher auch nicht mehr! Wir nehmen diese Verantwortung und die damit verbundenen Pflichten an, auch wenn das für manchen Außenstehenden am Anfang etwas zögerlich ausgesehen hat. Wir Deutsche sind ein Volk, das die Selbstverpflichtung „Nie wieder Krieg“ tief verinnerlicht hat. Und darum war und ist es für manche bei uns gewöhnungsbedürftig, dass unsere Soldaten plötzlich auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Afghanistan und Afrika stationiert sind.

Ich bin sehr froh darüber, dass uns bei diesen Einsätzen ein belastbarer und parteiübergreifender Konsens verbindet: Militär ist für keinen Demokraten in Deutschland mehr ein Instrument für territoriale Abenteuer, sondern Bestandteil einer verantwortungsvollen Politik für Frieden, Verständigung und Demokratie. Die Politiker in Deutschland, gleichgültig welcher demokratischen Partei sie angehören, sind geprägt von der gemeinsamen europäischen Erfahrung. Wir haben erlebt, wie sich Hass und Misstrauen überwinden lassen, wenn verfeindete Völker ihre gemeinsamen Interessen entdecken, bündeln und anfangen, miteinander zu arbeiten und zu leben.

Das ist unsere Lehre aus der Geschichte und unsere Botschaft, für die wir uns jetzt auch in anderen Teilen der Welt stark machen wollen – im internationalen Rahmen, eingebettet in der Nato, der Europäischen Union und den Vereinten Nationen.

Sie als Begleiter und Beobachter des Lebens in Deutschland prägen das Bild unseres Landes in der Welt ganz entscheidend mit. Wenn Sie dieses Land bereisen, erleben Sie die Vielfalt der Kulturen, die sich unter der Dachmarke „Deutschland“ zusammenfinden: schweigsame Ostfriesen, knorrige Westfalen, lebensfrohe Rheinländer, fleißige Sachsen, heimatverbundene Pfälzer und Bayern, so oder so ähnlich finden Sie in Reiseführern Eigenschaften den Landsmannschaften zugeordnet.

Womit wir bei den Klischees wären, über die wir uns gleich in einer Podiumsdiskussion noch unterhalten wollen. Deutschland wird – obwohl Sie seit 100 Jahren tapfer dagegen schreiben und senden – noch immer mit Stereotypen belegt und in Stereotypen zerlegt, die mit dem wirklichen Leben der Menschen wenig zu tun haben.

Heidelberg und Rothenburg sind nicht die Hauptstädte von Baden-Württemberg und Bayern, und Edmund Stoiber regiert nicht auf Schloss Neuschwanstein, jedenfalls so weit ich weiß. Im Land von Bratwurst und Sauerkraut finden sich inzwischen fast genauso viele Döner-, Falafel- und Sushibuden. Und viele Feinschmecker rund um den Globus haben entdeckt, dass in Deutschland nicht nur gutes Bier gebraut wird, sondern auch der beste Riesling der Welt entsteht.

Viele Erfahrungen mit den Klischees über Deutschland haben Sie ja selbst schon gemacht. Wer von Ihnen im Vertrauen auf deutsche Pünktlichkeit zu einem Termin kommt, hat oft noch reichlich Zeit für einen Schwatz mit den Kollegen. Wir lachen im Übrigen auch mehr als man uns zutraut – spätestens seit wir uns sehr ernsthaft mit diesem Thema auseinandergesetzt und festgestellt haben, dass Lachen das Leben verlängert. Und was Deutschland als „Wiege der Bürokratie“ angeht – da habe ich manchmal das Gefühl, dass uns einige andere Länder und internationale Organisationen zielstrebig den Rang ablaufen wollen.

Ich räume ein: Einige Eigenarten gibt es nur bei uns. Wir sind das einzige Volk der Welt, das selbst seinen Müll spült, bevor es ihn sorgfältig trennt. Wenn wir etwas organisieren, dann tun wir das mit Ehrgeiz, Gründlichkeit und Akribie.

Und trotzdem sind wir selbst am meisten überrascht, wenn uns das dann gelingt und auch noch leicht und spontan wirkt: wie bei der Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Sommer, als uns die Welt einhellig bescheinigt hat, dass wir fröhliche, gelassen patriotische Gastgeber und am Ende sogar gute Verlierer waren.

Wie eng die Welt zusammenwächst, haben wir nicht zuletzt bei dieser Fußball-WM gesehen. Noch nie sind so viele Menschen aus aller Welt zu einem Fußball-Turnier zusammengeströmt, haben miteinander gefeiert, Freundschaft geschlossen und positive Erfahrungen ausgetauscht. Solche Begegnungen kennzeichnen die positive Seite einer Globalisierung, die alle Bereiche des Lebens grundlegend verändert – auch die Politik und den Journalismus.

Der technologische Fortschritt und die Digitalisierung der Medien haben das menschliche Verständnis von Raum und Zeit grundlegend verändert. Dank Internet können die Menschen überall auf der Welt heute leicht und preiswert miteinander in Kontakt treten. Wer heute ins Ausland geht, unternimmt keine Expedition in unbekanntes Gebiet mehr. Fast an jedem Ort finden sich Menschen und Angehörige der eigenen Kultur, Fernsehsender aus der Heimat und ein Laden mit den Lebensmitteln, die man von zu Hause kennt.

Dieses globalisierte Nebeneinander unterschiedlichster Kulturen wird unser 21. Jahrhundert prägen. Aber das faktische Nebeneinander ist noch keine Haltung! Ohne Interesse, ohne Bereitschaft zum nähernden Diskurs, ohne Fähigkeit zur Selbstkritik wird das Mehr von Nebeneinander noch kein Miteinander. Vielleicht sogar im Gegenteil, möchte man mit Blick auf einige Konflikte dieses Jahres vom Streit um die dänischen Karikaturen bis zum Streit um die Papst-Rede sagen. Deshalb müssen wir, auch um mögliche Konflikte zu verhindern oder abzufedern, viel mehr übereinander und über andere Kulturen wissen. Je offener und neugieriger wir dem Fremden begegnen, desto leichter und zuverlässiger lassen sich ablehnende Reflexe bekämpfen und vermeiden.

Die Eigenarten unserer Kultur und Gesellschaft in Deutschland zu erkennen, zu beschreiben und verständlich zu machen, ist Ihre Aufgabe als Journalisten. Das ist ein spannender, interessanter Job. Aber das ist es nicht allein. Ich bin überzeugt, dass Ihre Aufgabe auch so bedeutsam ist wie nie – und in Zukunft noch bedeutsamer wird.

Mancher von Ihnen empfindet seine Arbeit vielleicht weniger exklusiv und selbstbestimmt als früher. In Zeiten von Agentur-Eilmeldungen und CNN weiß der Zentralredakteur in Ankara oder in Madrid manchmal genauso schnell Bescheid über die Geschehnisse in Berlin wie Sie, obwohl Sie gerade auf den Fluren des Reichstags oder in der Bundespressekonferenz recherchieren.

Aber Schnelligkeit ist ja nur eines von vielen journalistischen Kriterien. In vielerlei anderer Hinsicht wächst dagegen in einer Welt, die so eng miteinander verflochten ist, Ihr Gewicht und Stellenwert.

Mit Ihrer Themenauswahl, Berichterstattung und Kommentierung über Deutschland und seine politischen Entscheidungen können Sie nicht nur die Politik ihrer Herkunftsländer beeinflussen, sondern auch die Politik in unserem eigenen Land. Aus persönlicher Erfahrung sage ich: Es gibt einen nicht zu unterschätzenden „Rückkopplungseffekt“ zwischen Medien und Politik. Ihre hintergründige Einschätzung oder Kritik begegnet mir manchmal schon wenig später aus dem Munde eines Außenministers in meinem Amtszimmer oder der bei der EU in Brüssel.

Darum gebe ich zu: Wenn wir fair – und natürlich am liebsten positiv – in der Welt wahrgenommen werden wollen, dann verbirgt sich dahinter nicht nur die Sehnsucht nach Sympathie. Wir werben für Werte, um Verständnis für unsere Interessen und stehen im weltweiten Wettbewerb um politischen Einfluss. Und natürlich konkurrieren wir auch um Märkte und Investitionen, um unsere Zukunft als führender Wirtschafts- und Forschungsstandort.

Wenn Menschen mit Kapital und Ideen sich auf Standortsuche begeben, wünsche ich mir, dass sie nicht nur wissen, dass Deutschland ihnen attraktive ökonomische Rahmenbedingungen bietet. Bei uns gibt es außer einer guten Infrastruktur und einem funktionierenden Rechtsstaat auch hohe Lebensqualität, attraktive Kultur, Sicherheit für Familien und gute Schulen für die Kinder. Und wir wollen auch ein attraktives, gastfreundliches Land für Studenten, Forscher und Touristen sein.

Dabei will ich Ihnen die Lage keineswegs rosarot malen. „Für Deutschland werben“ bedeutet aus meiner Sicht nicht, Ihnen falsche Tatsachen vorzuspielen, in der Darstellung zu übertreiben oder unzulässige Vergleiche anzustellen. Was ich mir wünsche, ist: eine kritische, unabhängige und dadurch glaubwürdige Berichterstattung. Einen Journalismus, der nichts beschönigt, aber auch Stärken und Vorzüge erkennt, der mit unbekannten Tatsachen überrascht und den Horizont weitet.

Die Bundesregierung, das Auswärtige Amt und ich werden Ihnen bei diesem Unterfangen verlässliche Partner sein. Lassen Sie uns auch in Zukunft einen fairen und verantwortungsvollen Dialog miteinander führen, damit wir nie aufhören, von einander zu lernen!

Denn das, meine Damen und Herren, ist sicher nicht der geringste Beitrag zu mehr Verständnis und Vernunft in der Welt.

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