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Laudatio bei der Verleihung des Menschenrechtspreises der Stadt Weimar an Issam Younis

10.12.2008 - Rede

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr verehrter Herr Younis,
Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren Mitglieder des Stadtrates,
sehr verehrte Damen und Herren!

Es ist mir eine große Ehre, heute die Laudatio auf Sie, Herr Younis, zu halten, und ich beglückwünsche die Stadt Weimar zu dieser Wahl. Die Auszeichnung ehrt ein jahrelanges unermüdliches Engagement zugunsten der Menschenrechte in einem der Hauptkrisenherde dieser Welt – dem Gazastreifen. Herr Younis beeindruckt durch den unerschütterlichen Mut, mit dem er unbestechlich Menschenrechtsverletzern auf allen Seiten entgegentritt. Dabei geht er täglich ein hohes Risiko ein.

Menschenrechtsarbeit in den Palästinensischen Gebieten ist seit über 60 Jahren eine große Herausforderung, und deshalb, verehrter Herr Younis, habe ich höchsten Respekt vor Ihrer Arbeit. Als vor 60 Jahren der Staat Israel gegründet wurde, bestand auch das Angebot zur Gründung eines palästinensischen Staates. Hierzu ist es nicht gekommen. Seither haben die Menschen in der Region immer wieder Kriege und Gewalt erleiden müssen.

Wenn ich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte lese, deren 60. Geburtstag wir heute feiern, lese ich vom Recht auf Staatsangehörigkeit. Ich lese vom Recht auf freie Teilnahme am kulturellen Leben und vom Recht auf Bildung. Ich lese vom Recht auf Gesundheit und Wohl, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung und ärztliche Versorgung. Ich lese von Meinungs-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit. Ich lese vom Verbot willkürlicher Eingriffe in das Privatleben. Ich lese vom Verbot willkürlicher Festnahme. Ich lese vom Folterverbot. Ich lese vom Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit. Ich lese von der Würde aller Menschen.

Aber Tatsache ist: Für viele Palästinenser sind die in der Menschenrechts-Erklärung von 1948 aufgelisteten Rechte nicht eingelöst. Hierfür ist nicht nur und nicht zuerst der Staat Israel verantwortlich. Auch das muss zu solch einem Anlass wie heute gesagt werden.

Nirgendwo im Nahen Osten ist die Lage problematischer als im Gaza-Streifen, wo sich die Situation vor allem seit der gewaltsamen Machtübernahme durch die Hamas im Juni 2006 stetig verschlechtert hat. In ihrer Folge kam es zu Exekutionen, Folter, willkürliche Verhaftungen, Versammlungsverboten und einer erhebliche Einschränkung der Medienfreiheit. Die Übergriffe der Hamas stehen häufig in Zusammenhang mit Auseinandersetzungen mit anderen palästinensischen Gruppen – die wiederum ihrerseits die Menschenrechte in erheblichem Umfang verletzen.

Der Staat Israel sieht sich in Bezug auf Gaza einem schweren Dilemma gegenüber. Israel ist, wie jeder andere Staat, berechtigt, die notwendigen Maßnahmen für die Wahrung seiner Sicherheitsinteressen zu ergreifen und sich gegen Angriffe auf seine Bürger und sein Staatsgebiet zu verteidigen. Dabei muss aber das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt und die Versorgung der Bevölkerung mit Lebens- und Arzneimitteln sichergestellt werden. Darauf hat auch die Bundesregierung immer wieder hingewiesen.

Die Lage im Gazastreifen ist äußerst besorgniserregend: 1,5 Mio. Menschen leben hier auf engstem Raum, die Hälfte davon Kinder und Jugendliche. Die Versorgung mit Energie und Trinkwasser ist prekär. Laut Angaben des UN-Hilfswerks für die Palästina-Flüchtlinge schlossen im vergangenen Jahr 90% der kleinen und mittleren Unternehmen. Die Arbeitslosenquote wird auf 45-50% geschätzt und zählt damit zu den höchsten der Welt. 80% der Bevölkerung des Streifens sind mittlerweile von internationaler Lebensmittelhilfe abhängig.

Das ist das Umfeld, meine Damen und Herren, in dem Issam Younis tätig ist. Mit großem persönlichen Engagement hat er sich für den Aufbau der Menschenrechtsorganisation Al Mezan eingesetzt. Seit der Gründung 1999 ist er Direktor und damit das Gesicht und die treibende und entscheidende Kraft der Organisation.

Menschen, die Herrn Younis persönlich kennen, sind immer wieder erstaunt, wie es ihm gelingt, in der äußerst schwierigen Situation im Gazastreifen einen kühlen Kopf zu bewahren. Seine Sachlichkeit ist ebenso beeindruckend wie seine Standhaftigkeit.

Denn Issam Younis und seine Organisation Al Mezan kennen bei der Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen keine Kompromisse. Sie setzen sich tagtäglich für den Schutz und die Achtung der Menschenwürde und der Menschenrechte ein - ohne Ansehen der Person und ohne Parteinahme. Das Wort „Mezan“ bedeutet im Arabischen soviel wie Waage, steht also für Ausgewogenheit und Gerechtigkeit. Und entsprechend prangert seine Organisation nicht nur einseitig Menschenrechtsverletzungen von israelischer Seite an, sondern ebenso die Übergriffe der Palästinensischen Autonomiebehörde, der Hamas-Machthaber und anderer militanter Palästinenser-Gruppierungen. In einer Situation wie in Gaza erfordert das außerordentlichen Mut – denn alle Mitarbeiter gehen dabei ein hohes persönliches Risiko ein. Daneben gewährt Al Mezan den Opfern von Menschenrechtsverletzungen unermüdlich praktische Hilfe und Unterstützung – in der trostlosen Situation im Gazastreifen ein Hoffnungsschimmer für die Betroffenen.

Zu den wichtigen Aktivitäten von Al Mezan gehört neben der Betreuung und rechtlichen Vertretung von Gefangenen in palästinensischen und israelischen Gefängnissen auch die Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Menschenrechte, das Durchführen von Menschenrechtskursen für besonders gefährdete Gruppen, die kritische Begleitung der Gesetzgebung und auch der Unterhalt einer Menschenrechtsbibliothek im Flüchtlingslager Jabalia.

Menschenrechtsverletzungen in den Palästinensischen Gebieten und in Israel – dieses Thema ist sehr eng mit dem Friedensprozess im Nahen Osten verknüpft. Letztendlich wird nur eine glaubwürdige Friedenslösung ein Ende von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bringen.

Die Bundesregierung setzt sich mit Nachdruck für eine solche Friedenslösung ein. Deutschland und Israel bleiben auf besondere Weise durch die Erinnerung an die Shoah verbunden, den Massenmord an 6 Millionen Juden, verübt im deutschen Namen. Das Existenzrecht Israels ist aufgrund dieser besonderen historischen Verantwortung für uns nicht verhandelbar, sie ist Teil der bundesrepublikanischen Staatsraison. Unsere Vision ist die von zwei Staaten in sicheren Grenzen und Frieden – für das jüdische Volk in Israel und das palästinensische in Palästina. Dies hat auch die Bundeskanzlerin in ihrer Rede vor der Knesset am 18. März dieses Jahres noch einmal betont.

Angesichts innenpolitischer Spannungen auf israelischer und palästinensischer Seite, angesichts neuer regionaler Herausforderungen und altbekannter Widrigkeiten scheint es aber, als seien wir weit von einem Staat der Palästinenser entfernt. Die palästinensischen Gebiete sind faktisch geteilt. Hindernisse erschweren die Bewegungsfreiheit und Wirtschaftstätigkeit. Wachsende jüdische Siedlungen, die weit verstreut auf dem Gebiet der Westbank und Ostjerusalems liegen, erschweren die Friedenssuche und verletzen den Geist der roadmap. Die zentralen politischen Fragen in den Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern - v. a. Jerusalem, Flüchtlingsrückkehr und künftige Grenzen – werden seit Jahren debattiert, ohne dass eine Lösung erzielt wurde.

Vor diesem Hintergrund ist die Frage berechtigt, ob die Zweistaatenlösung überhaupt noch eine realistische politische Perspektive darstellt. Sowohl unter den Palästinensern als auch in Israel wird sie immer öfter und zunehmend drängender gestellt. Ich denke, die Antwort lautet nach wie vor: „Ja.“ Aber die Zeit wird knapp.

Damit die Vision zweier Staaten Wirklichkeit werden kann, müssen schmerzhafte Kompromisse geschlossen werden. Wir können die bei den Parteien notwendige Entschlossenheit und Weitsicht nicht ersetzen. Aber Deutschland und die Europäische Union können die Rahmenbedingungen verbessern und dadurch die Verhandlungsführer auf beiden Seiten unterstützen. Deutschland und die EU werden dabei den engen Schulterschluss mit den USA wahren.

Nur wenn die Menschen in den palästinensischen Gebieten eine Verbesserung auch für ihr eigenes Leben spüren, werden sie dem eingeschlagenen Verhandlungskurs folgen. Deshalb setzt die Bundesregierung auf konkrete Maßnahmen, die die Verhandlungen der Parteien ergänzen und stützen, und auf umfangreiche humanitäre Hilfe, um das Leid der Menschen zu lindern. Unsere Politik zielt auf die Veränderung der täglichen Realität der Menschen. Nur so lässt sich der Wille zu Frieden bewahren und ein Umfeld schaffen, das die Geltung der Menschenrechte nicht nur abstrakt akzeptiert, sondern auch garantieren kann. Ohne stabile staatliche Strukturen gibt es auch keinen Menschenrechtsschutz.

Bis dahin, meine Damen und Herren, ist das Engagement von Herrn Younis, von Al Mezan und vielen anderen Menschenrechtsorganisationen in den Palästinensischen Gebieten unverzichtbar. Die Bundesregierung setzt sich in internationalen Gremien und bilateral für den Schutz der Menschenrechte aller Menschen in den palästinensischen Gebieten ein. Im Gazastreifen arbeitend Menschenrechte einzufordern und zu verteidigen, so wie Herr Younis und seine Mitstreiter dies tun, erfordert jedoch ungleich mehr Mut, und dies soll heute gewürdigt werden.

Dass Sie diesen Preis, einen der wichtigsten Menschenrechtspreise in Deutschland, am heutigen 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erhalten, lieber Herr Younis, ist Ausdruck der großen Wertschätzung Ihrer Arbeit und Ihrer Courage, soll aber auch ein Zeichen der Ermutigung sein.

Ich wünsche Ihnen für Ihre wichtige Arbeit alles Gute und danke Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit!

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