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Rede von Bundesaußenminister Steinmeier anlässlich der „Conference of Experts on the Promotion of the Rule of Law“, 30. November 2007 in Berlin

30.11.2007 - Rede

-- Es gilt das gesprochene Wort ! --

Herzlich willkommen hier im Auswärtigen Amt! Ich freue mich, dass sie zu dieser Konferenz gekommen sind, mit der wir der Förderung von Rechtsstaatlichkeit neue Impulse geben wollen.

Rechtsstaatlichkeit ist für moderne, offene Gesellschaften das entscheidende Lebenselixier. Sie ist die Basis des Vertrauens, das jede Gesellschaft für den inneren Frieden braucht. Rechtsstaatlichkeit ist zugleich das Fundament für eine gute wirtschaftliche Entwicklung. In unserer Zeit der Globalisierung gilt das mehr denn je.

Die weltweite Arbeitsteilung und die immer engere Vernetzung der Menschen und Unternehmen sind die prägenden Merkmale des beginnenden 21. Jahrhunderts. Trotz aller Risiken, vor allem der ökologischen, ist die Globalisierung per Saldo ein Wohlstandsprojekt. Sie bietet die große Chance, dass sich Milliarden Menschen zum ersten Mal aus eigener Kraft aus der Armut befreien und sich einen eigenen Wohlstand aufbauen können.

Die Zahlen sind eindrucksvoll: Seit dem Jahr 2000 ist das Bruttosozialprodukt pro Kopf weltweit um 3,2 Prozent jedes Jahr gestiegen –in manchen Regionen sogar um ein Vielfaches. Dagegen verblassen selbst die Boomjahre der Nachkriegszeit oder die Gründerzeit Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts. Und es gibt berechtigte Hoffnung, dass diese Entwicklung fortschreitet. Seriöse Schätzungen sagen voraus, dass die Zahl der Menschen, die in industrialisierten Gesellschaften leben, sich bis 2030 von heute 1,5 auf vier Milliarden Menschen steigern wird.

Das sind Perspektiven, auch für Länder wie Deutschland, die von einer exportorientierten Wirtschaft leben. Aber dennoch registrieren wir, dass die Menschen bei uns nicht nur mit Zuversicht, sondern viele skeptisch oder sogar ängstlich auf diese rasante Entwicklung reagieren. Viele haben das Gefühl, dass sie einem entfesselten Kapitalismus ausgeliefert sind, der von der Politik kaum noch gesteuert, geschweige denn kontrolliert werden könnte. Viele fürchten die Kraft anonymer Finanzmärkte, die wie Naturkatastrophen Schicksal spielen. Viele fürchten die internationale Konkurrenz, die dazu führt, dass die Reallöhne in vielen Branchen in Westeuropa und den USA kaum noch steigen. Und sie registrieren unruhig Ereignisse wie die Bankenkrise, weil sie wissen, dass solche Finanzkrisen auch auf die Realwirtschaft durchschlagen, wie das aktuelle Beispiel der Krise bei Hypothekenbanken zeigt.

Diese Befürchtungen in unseren Gesellschaften müssen wir sehr ernst nehmen, zumal da sie nicht grundlos sind. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, die Globalisierung gemeinsam zu gestalten, sie so zu regulieren, dass Gefahren, die daraus entstehen, möglichst wirksam eingedämmt werden. Dies gelingt nicht von selbst, sondern setzt Verantwortungs-bewußtsein in der Politik voraus.

Aber das ist kein Anlass zur Mutlosigkeit: Denn das Bemühen um mehr Rechtsstaatlichkeit ist heute weltweit nicht nur ein politisch-moralischer Kampf, sondern auch ein sanfter Zwang, der von der globalisierten Wirtschaftsordnung ausgeht. Eine gute ökonomische Entwicklung setzt Vertrauen, Verlässlichkeit und Planbarkeit voraus. Wer glaubt, diese Anforderungen ignorieren zu können, den wird umgekehrt auch die Globalisierung ignorieren. Der wird den Lebensstandard für die Menschen in seinem Land gar nicht oder deutlich weniger verbessern.

Wer am weltumspannenden Austausch von Gütern, Ideen und Konzepten teilhaben und von ihm profitieren will, muss bei sich zu Hause Rechtsstaatlichkeit schaffen.

Wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Erfolg braucht Rechtssicherheit als conditio sine qua non. Je mehr ein Land von dieser Rechtsgebundenheit hat, desto erfolgreicher kann es in der Globalisierung sein – und, das ist die zweite gute Nachricht: desto mehr Ordnung trägt es gleichzeitig in die Globalisierung hinein.

Warum treffen wir uns ausgerechnet im Rahmen der G8 zu dieser Konferenz? Weil die G8 sich in den vergangenen Jahren zum Steuerungsinstrument für die Weltwirtschaft und für globale Zukunftsfragen weiter entwickelt hat. Wir diskutieren bei diesen Treffen auch über internationalen Terrorismus, über Energiesicherheit und Klimaschutz, und wir diskutieren nicht nur, wir fassen auch Beschlüsse. Mit diesem Tag setzen wir auch das Thema Rechtsstaatlichkeit auf die Tagesordnung.

Diese Initiative folgt auf viele andere, die wir in diesem Jahr während unserer deutschen G8-Präsidentschaft angestoßen haben. Unsere Bilanz kann sich, glaube ich, sehen lassen.

Wir haben wir den Heiligendamm-Prozess auf den Weg gebracht, das heißt die Zusammenarbeit der G8 mit den immer wichtigeren Ländern Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika – den so genannten Outreach five – begonnen und fest installiert. Am kommenden Montag treffen sich Vertreter von G 8 und der O 5 hier in Berlin, um Wege für eine sichere und nachhaltige Energieversorgung zu diskutieren.

Energieversorgung und Klimaschutz gehören zu den Kernthemen unserer Präsidentschaft. Wir haben wichtige Wegmarken gesetzt: mehr Energieunabhängigkeit durch Biokraftstoffe, sparsame und innovative Autos, eine saubere Nutzung der Kohle. Nutzen wir diesen politischen Schwung, um auch bei der Klimakonferenz in Bali einen großen Schritt nach vorn zu machen!

Ich will Sie jetzt nicht mit einer Aufzählung all der anderen Initiativen langweilen, aber doch sagen: Ich hoffe, dass auch unser heutiges Thema – die Förderung von Rechtsstaatlichkeit – weit über unsere Präsidentschaft hinausweist. Ich wünsche mir eine Verständigung, zunächst in der G8, aber später auch gemeinsam mit anderen Staaten und Staatengruppen.

Schon die Standortbestimmung innerhalb der G8 ist dabei nicht leicht. Selbst wenn wir uns alle miteinander als Rechtsstaaten verstehen, gibt es beträchtliche Unterschiede: geographisch, historisch, kulturell. Die G8-Staaten reichen von der ältesten Demokratie der Welt bis hin zu noch recht jungen rechtsstaatlichen Systemen. Aber weil bekanntlich selbst Alter nicht vor Torheit schützt, sage ich: Niemand von uns sollte glauben, er habe das ultimativ gültige System. Wachsamkeit und die Fähigkeit zur Selbstkritik sollten uns im Bemühen um Rechtsstaatlichkeit ständig begleiten.

Es geht mir auch nicht darum, dass wir hier eine Blaupause für den einzig richtigen Rechtsstaat schaffen. Wichtig ist aber, dass wir uns – als G 8 Partner - in den Kernfragen einig sind: Rechtsgebundenheit aller staatlichen Gewalt, Gleichheit vor dem Gesetz, Rechtssicherheit, prozedurale Verlässlichkeit, gleicher und offener Zugang zum Rechtssystem. Das sind meines Erachtens die wichtigsten Kritierien für Rechtsstaatlichkeit.

Wie wir dieses gemeinsame Verständnis dafür voranbringen können, wie wir voneinander lernen und vielleicht auch konkret die Rechtsstaatlichkeit in unseren Ländern verbessern können, das steht im Mittelpunkt dieser Konferenz.

Rechtsstaatlichkeit, das hatte ich anfangs schon gestreift, ist eine Kernvoraussetzung für Vertrauen, für Sicherheit, für Frieden und erfolgreiches Wirtschaften.

Nur ganz Wagemutige investieren in einem Land, in dem sie Gefahr laufen, dass sie enteignet werden. Kaum jemand investiert in einem Land, in dem er der Willkür von Gerichten ausgeliefert ist, und in dem für jeden Behördenstempel ein Schmiergeld fällig ist.

Wer Kapital anlocken will, muss attraktive Bedingungen – insbesondere in rechtsstaatlicher Verwaltung - bieten, und dazu gehören nun einmal die Gleichheit vor dem Gesetz, die Garantie des Rechtsweges und die Verlässlichkeit von Entscheidungen.

Ich wünsche mir, dass wir den Staaten, die noch Verbesserungsbedarf haben, konkrete Instrumente anbieten können und uns dafür geeignete Instrumente zulegen: zum Beispiel Fort- und Weiterbildungmaßnahmen für Richter und Rechtsanwälte. Oder die Voraussetzungen für einen zuverlässigen Patentschutz, für Polizeiberatung, für Zusammenarbeit der Zollbehörden, Meinungsfreiheit im Internet oder Datenschutz. Oder auch ein das vertiefte Gespräch zwischen Parlamentariern verschiedener Länder über Gesetzgebung und Gesetzgebungstechniken.

Das alles sind eminent wichtige Elemente, die zusammen das Bild des Rechtsstaates in unseren Gesellschaften ergeben.

In diesem Sinne führt die Bundesregierung seit Jahren bilaterale Rechtsstaatsdialoge mit Partnerstaaten. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht.

In diesem Sinne führt die Bundesregierung seit Jahren bilaterale Rechtsstaatsdialoge mit Partnerstaaten. Diese sind pragmatisch angelegt. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht.

Wir legen Wert darauf, dass bei diesen Dialogen beide Seiten lernen und profitieren. Denn nur so schafft man das Vertrauen und die Aufnahmebereitschaft, die man braucht, um Gehör zu finden.

Viele Kollegen haben mir erzählt, dass sie diese Dialoge für modellhaft halten. Ich denke, es kann ein Vorbild für andere Initiativen zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit sein. Auch darüber sollte heute unter den G 8-Experten gesprochen werden.

Dieser auf Dialog und gegenseitigen Nutzen ausgerichtete Ansatz bewährt sich gerade auch in Konfliktsituationen. Eine gut ausgebildete und rechtsstaatlich operierende Polizei, eine unparteiische Gerichtsbarkeit, eine funktionierende öffentliche Verwaltung, einklagbare und durchsetzbare Individualrechte – das sind oft die wirkungsvollsten Mittel, um Krisen und Konflikte auf Dauer zu lösen. Vor allem sind sie aber die wichtigsten Mittel, damit Konflikte gar nicht erst entstehen.

Nehmen wir die Polizeiausbildung als Beispiel, wie wir sie in Afghanistan und auf dem Balkan betreiben. Das ist konkrete Hilfe zur Selbsthilfe in gefährdeten Gesellschaften. Ich werbe dafür, diese Ansätze noch stärker in internationalen Kriseneinsätzen zu berücksichtigen.

Oder denken Sie an die internationale Unterstützung für Versöhnungsprozesse in Gesellschaften, die von Gewalt und Bürgerkrieg traumatisiert wurden – zum Beispiel in Ruanda. Auch das sind Modelle zur Befriedung von Konflikten durch rechtsstaatliche Mechanismen, bei denen es nicht immer einfach ist, Rechtsstaatlichkeit in Versöhnungsprozesse zu integrieren.

Rechtsstaatlichkeit ist Einsatz für Menschenrechte, der in praktisches Handeln umgemünzt wird. Deshalb sind Menschen- und Freiheitsrechte die Basis für einen funktionierenden Rechtsstaat – sozusagen sein archimedischer Punkt.

Was damit gemeint hat, steht klar und schlicht im ersten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“

Wir als G 8 müssen und dürfen diese grundlegende Wertorientierung keineswegs verleugnen. Aber wir sollten uns auch nicht in ideologische und konfrontative Grundsatzdebatten verlieren, die am Ende eine Öffnung für die Idee des Rechtsstaats verhindern! Wer die Welt in Gut und Böse einteilt, festigt vielleicht seinen moralischen Anspruch. Die Realität beugt sich diesem Anspruch allerdings nicht, und den Menschen, die an Not und Unterdrückung leiden, hilft er oder sie damit noch nicht.

Ich bin zutiefst davon überzeugt: Die geduldige Förderung von Rechtsstaatlichkeit gehört zu den besten Methoden, damit Menschen- und Freiheitsrechte weltweit Geltung erlangen. Wer das Leben der Menschen durch Rechtsstaatlichkeit verbessern will, muss Angebote formulieren, die angenommen und nicht zurückgewiesen werden.

Die Alternative zur Rechtsstaatlichkeit ist in aller Regel die Gewalt. Sie kann sich auf ganz unterschiedliche Weise äußern – nicht nur als körperliche Gewalt, sondern auch als das leise, zersetzende Gift der Einschüchterung und Kontrolle. Für mich ist Rechtsstaatlichkeit deshalb nicht nur irgendein Ordnungsprinzip, sondern die Bedingung für eine Gesellschaft, in der die Menschen einander frei und selbstbewusst begegnen. Wer das Recht des Stärkeren nicht akzeptieren will – in der Politik, in der Wirtschaft oder auch in seinem ganz persönlichen Umfeld – der braucht die Stärkung des Rechts.

Ein lebendiger, durchschlagskräftiger Rechtsstaat kann nur in einer engagierten, wachsamen Zivilgesellschaft entstehen und gedeihen. Welche Rolle der einzelne dabei spielt, ob individuell oder organisiert – in Nichtregierungsorganisationen, über die Medien, in Berufsverbänden – ist nicht so wichtig. Die Summe dieses Engagements zählt, und deshalb setze ich mich dafür ein, vor allem die Zivilgesellschaft bei ihrem Einsatz für Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen. Ich begrüße deshalb heute besonders die vielen Vertretern auch der Zivilgesellschaft. Sie sind ganz wichtige Verbündete bei der Durchsetzung der Idee der Förderung von Rechtsstaatlichkeit weltweit, wie es zum Beispiel bei der Etablierung des Menschenrechtsrats in Genf zum Ausdruck gekommen ist.

Unseren G8-Partnern möchte ich danken, dass sie hochrangige Expertendelegationen entsandt haben. Ich sehe Vertreter von Wissenschaft und Praxis aus den G8-Staaten. Ich sehe Vertreter von Ministerien und Nichtregierungsorganisationen. Von regionalen und internationalen Organisationen. Von Entwicklungsbanken und Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit.

Sie alle bringen Erfahrungen aus ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten, vor ganz verschiedenen Hintergründen mit nach Berlin. Diese Erfahrungen heute besonders in den Arbeitsgruppen zusammenzuführen – das ist das Ziel unserer Konferenz.

Dabei wünsche ich der Konferenz viel Erfolg.

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