Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede des Staatsministers Hoyer beim OSZE Ministerrat, Athen, 01.12.2009

01.12.2009 - Rede

- es gilt das gesprochene Wort -

Herr Vorsitzender,

Exzellenzen,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

vor einigen Wochen haben wir in Berlin ein Ereignis gefeiert, das eine weltpolitische Zeitenwende einleitete: den Fall der Mauer in Berlin am 9. November 1989. Der Mauerfall war der Höhepunkt der Entspannungspolitik zwischen Ost und West und führte dazu, dass sich „die europäischen Völker 1989 näher waren, als vielleicht jemals zuvor in ihrer Geschichte“. So drückte sich der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher unlängst in Wien aus.

Die Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands, die Wiedervereinigung unseres Kontinents waren ein Glücksfall in unserer Geschichte. Es bleibt aber auch die Gewißheit: Wir können etwas erreichen, wenn wir es gemeinsam wollen, auch wenn der Weg dorthin lang und nicht immer einfach ist.

Mit dem informellen Ministertreffen auf Korfu hat der griechische OSZE-Vorsitz im Juni des Jahres einen ersten wichtigen Schritt getan, um in einen strukturierten und an Sachthemen orientierten Dialog über die Zukunft der gemeinsamen Sicherheit in Europa einzusteigen. Dafür möchte ich unseren griechischen Freunden herzlich danken, und mich an dieser Stelle auch den Ausführungen der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft ausdrücklich anschließen.

Wir befinden uns heute am Beginn eines Prozesses, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Die Parallele zu den KSZE-Verhandlungen in den 70er-Jahren liegt auf der Hand, und es geht um nichts weniger als damals: um die Einleitung eines umfassenden und Vertrauen schaffenden gesamteuropäischen Sicherheitsdialogs.

Was sind aus deutscher Sicht Kernelemente eines solchen Dialogs? Drei Punkte möchte ich besonders hervorheben:

  • Erstens: Wie uns das vergangene Jahr schmerzlich vor Augen geführt hat, ist die Frage von Krieg und Frieden leider auch im OSZE-Raum immer noch aktuell. Daher unterstützen wir Bestrebungen, Konfliktprävention und Konfliktbeilegung im OSZE-Rahmen zu stärken. Wir müssen Konflikte politisch und nicht militärisch lösen. Die Verhinderung und Beilegung von Konflikten ist die raison d'être und Kernkompetenz der OSZE. Dazu gehört auch, gerade bei den ungelösten Regionalkonflikten als Vermittler und Friedensstifter für Stabilität und Sicherheit einzutreten. Außerdem müssen wir darüber nachdenken, wie wir den bestehenden Acquis der Rüstungskontrolle und vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen in unseren Bemühungen um eine gesamteuropäische Sicherheit weiter stärken können. Die neue deutsche Bundesregierung hat ambitionierte Vorstellungen zur Sicherheitsfrage. Ich denke dabei vor allem an den KSE-Vertrag, zu dem vor wenigen Tagen ein Seminar in Berlin stattgefunden hat. Gerade der KSE-Vertrag bleibt mit seinem völkerrechtlich verbindlichen Informations- und Verfikationssystem ein unverzichtbares Element der europäischen Sicherheitsstruktur und ein Markstein eines kooperativen Sicherheitsverständnisses. Allerdings erfordert der grundlegende Wandel der europäischen sicherheitspolitischen Landschaft seit 1990 jetzt dringend eine Weiterentwicklung des KSE-Regimes.

  • Zweitens: Noch entschiedener als bisher müssen wir den sogenannten neuen Gefahren entgegentreten und uns überlegen, wie wir in angemessener Form auf sie reagieren können. Damit meine ich zunächst grenzüberschreitende Bedrohungen wie Terrorismus, organisierte Kriminalität, Drogenschmuggel und Menschenhandel. Hier müssen wir insbesondere auch diejenigen Staaten unterstützen, die Außengrenzen zu instabilen Staaten haben. Dazu gehören aber auch globale Herausforderungen wie der Klimawandel und die Energiesicherheit. Allen diesen Gefahren ist gemeinsam, dass sie vor Staatengrenzen keinen Halt
    machen. Daher bedarf es für Lösungsansätze auch der gemeinsamen Anstrengung aller Staaten.

  • Drittens: wir haben erkannt, dass Stabilität und Sicherheit auf Dauer nur möglich sind, wenn die Menschenrechte und rechtsstaatliche Standards respektiert werden und die Möglichkeit der demokratischen Willensäußerung garantiert ist. Das hat uns die Geschichte mehr als deutlich vor Augen geführt. Gerade die Freiheit und Unabhängigkeit der Medien sowie die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit sind Werte, zu deren Einhaltung sich alle OSZE-Teilnehmerstaaten ausdrücklich bekannt haben. Auch diese Themen sind unserer Auffassung nach ein integraler Bestandteil des europäischen Sicherheitsdialogs.

Deutschland begrüßt, dass Minister Lawrow heute das russische Vorhaben eines Vertrags über europäische Sicherheit erläutert hat. Das Vorhaben verdient eingehende Prüfung. Der Korfu-Prozess der OSZE ist der geeignete Rahmen, um einen umfassenden Dialog über gesamteuropäische Sicherheit zu führen. Hier sollten wir die Diskussion über den russischen Vorschlag weiterführen! Wir sollten uns von dem Ziel leiten lassen, europäische Sicherheit umfassend zu stärken. Wir wollen dabei auf die bewährten Institutionen und Instrumente im euroatlantischen Raum aufbauen und sie, wo immer nötig, stärken. Wichtig bleibt auch, dass wir uns darauf konzentrieren, wie europäische Sicherheit praktisch verbessert werden kann.

Aufgrund ihrer einzigartigen Geschichte und ihres hohen Ansehens ist die OSZE die geeignete Organisation, um dem europäischen Sicherheitsdialog den richtigen Rahmen und die nötige Dynamik zu verleihen. Sie hat sich notwendigen Neuerungen nie verschlossen. Mit Kasachstan wird im nächsten Jahr erstmalig ein Land die Geschicke der Organisation bestimmen, das der ehemaligen Sowjetunion entstammt. Die größte Herausforderung wird sein, den erfolgreich gestarteten Sicherheitsdialog strukturiert und umfassend fortzusetzen und – so hoffen wir alle – ein gutes Stück voranzubringen. Deutschland wird den neuen Vorsitz bei dieser schwierigen und verantwortungsvollen Aufgabe nach besten Kräften unterstützen.

Meine Damen und Herren,

lassen Sie uns das freudige und unerwartete Ereignis von 1989 vor Augen haben und etwas von der Aufbruchstimmung dieser Tage in Berlin in unserem Herzen bewahren, wenn wir heute und morgen in Athen miteinander über die Zukunft der europäischen Sicherheit reden. Ich bin überzeugt: wenn es uns gelingt, auf diesem Ministerrat die richtigen Weichen zu stellen, dann sind wir unserem Ziel ein deutliches Stück näher gekommen. Dieses lautet: einen Raum des gegenseitigen Vertrauens und der ungeteilten Sicherheit von Vancouver bis Wladiwostok zu schaffen, der auch im 21. Jahrhundert der Garant für unser Zusammenleben in Frieden und Freiheit ist.

Verwandte Inhalte

Schlagworte

nach oben