Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede Bundesminister Guido Westerwelles anlässlich der Übergabe der Studie der Unabhängigen Historikerkommission Auswärtiges Amt

28.10.2010 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort--

Meine Herren Professoren, Exzellenzen, verehrte Gäste, liebe Amtsangehörige, meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich möchte mit einem ausdrücklichen Dank an die Mitglieder der Unabhängigen Historikerkommission beginnen. Professor Conze, Professor Frei, Professor Hayes und Professor Zimmermann, Sie und Ihr ganzes Team haben nach vier Jahren nicht nur ein gewichtiges, sondern vor allem ein wichtiges Werk vorgelegt.

Dies ist ein notwendiges Buch.

Ihre Studie wird aus den Diskussionen über das Selbstverständnis des Auswärtigen Amtes und der deutschen Diplomaten künftig nicht mehr wegzudenken sein.

Ihr Werk gibt Antworten auf zwei zentrale Fragen. Was tat der Auswärtige Dienst im nationalsozialistischen Deutschland? Wie wirkte diese Vergangenheit nach dem Krieg? Erste Antworten kennen wir seit längerem. Christopher Browning hat 1978 eine wichtige Studie vorgelegt, und seitdem ist eine ganze Reihe von Publikationen erschienen. Die Arbeit dieser Forscher hat das zuweilen gern gepflegte Bild, das Auswärtige Amt habe die Verbrechen des Naziregimes nur am Rande mitverfolgt oder sich gar bemüht, das Schlimmste zu verhindern, bereits deutlich korrigiert.

Ihre Arbeit, meine Herren Professoren, macht dieses Bild runder, facettenreicher, vielschichtiger, manchmal widersprüchlicher, in der Summe aber erheblich klarer. Die Fülle der Details, die Sie für Ihre Studie aus den Akten heraus destilliert haben, verleiht Ihrer Arbeit besonderes Gewicht.

Meine Damen und Herren,

die wissenschaftliche Forschung wird weiter gehen. Die Debatte wird durch die vorgelegte Studie neu angeregt und neu belebt. Zuende ist sie längst nicht.

Die Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels unserer deutschen Vergangenheit ist schwierig und zuweilen schmerzhaft gewesen. Transparenz und Offenheit konnten das Verdrängen, das Verschweigen und auch das Vertuschen nur schrittweise überwinden.

Die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt, Willy Brandts Kniefall in Warschau, die Rede Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestag des Kriegsendes, all das waren entscheidende Wegmarken hin zu dieser Aufarbeitung, hin zu dieser Offenheit.

Nun liegt die Studie der unabhängigen Historikerkommission vor. Ihre Verfasser beschreiben, wie sich das Auswärtige Amt nach der Machtergreifung Hitlers als Institution anpasste. Die Autoren verwenden dafür den Begriff der „Selbstgleichschaltung“.

Das Auswärtige Amt - das steht jetzt fest und das fördert Ihre Studie eindrücklich und auch schockierend zu Tage - war ein Teil, ein aktiver Teil der verbrecherischen Politik des sogenannten Dritten Reiches.

Das Auswärtige Amt war unmittelbar in die Gewaltpolitik des Naziregimes eingebunden und frühzeitig über die verbrecherischen Methoden der deutschen Kriegsführung informiert. An der systematischen Vernichtung der europäischen Juden war es mit administrativer Kälte beteiligt.

Einige der schockierendsten Dokumente aus dieser Zeit sind heute in diesem Saal ausgestellt. Das Protokoll der Wannseekonferenz. Berichte über Judendeportationen aus Frankreich. Die Reisekostenabrechnung des sogenannten „Judenreferenten“ Rademacher. Liquidation von Juden schrieb er als Reisegrund auf. Das Unfassbare war Realität. In diesem Auswärtigen Amt konnte man Mord als Dienstgeschäft abrechnen.

All diese Dokumente entlarven, wie menschenverachtend damals geplant, organisiert und verwaltet wurde.

Die Studie enthält eine Fülle weiterer, erschütternder Beispiele für die Verstrickung der deutschen Diplomatie jener Zeit in die Vernichtungspolitik des Dritten Reiches.

Die Studie resümiert, ich zitiere:

„Je radikaler die Judenpolitik wurde, desto stärker war auch das Auswärtige Amt mit der Planung und Politik der Endlösung befasst“.

Als Leser kann man nur erschauern, wenn man die bürokratische Alltäglichkeit der Vernichtungspolitik in all ihren Details nachliest. Ausgeführt von einer Institution, die sich selbst als Elite verstand und in Wahrheit tief im Verbrechen versank. Da gibt es nichts zu rechtfertigen, da gibt es nichts zu beschönigen. Dieses Buch lässt niemanden kalt.

Es beschämt uns, wie das Auswärtige Amt und viele seiner Angehörigen während der Nazi-Herrschaft schwere Schuld auf sich geladen haben.

Meine Damen und Herren,

nur wenige entschieden sich für einen anderen Weg.

Die Studie erwähnt Diplomaten wie Georg Ferdinand Duckwitz, der für seinen Einsatz zur Rettung der dänischen Juden in Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt wird.

Oder Gerhard Feine, Botschaftsrat an der Botschaft Budapest, der half, tausende Juden in Ungarn zu retten.

Fritz Kolbe, der Hitlers Gegnern wichtige Informationen zuspielte, durfte nach dem Krieg nicht ins Auswärtige Amt zurückkehren. Erst in der Amtszeit von Bundesminister Fischer wurde ein Saal in diesem Haus nach ihm benannt.

Die Attentäter des 20. Juli hatten auch im Auswärtigen Amt einzelne Verbündete. Organisierten Widerstand oder gar ein mächtiges Netzwerk gab es aber nicht.

Die wenigen, die den Aufstand des Gewissens wagten, sind heute Vorbilder für den Auswärtigen Dienst. Wir ehren insbesondere jene zwölf Angehörigen des Auswärtigen Amtes, die ihren Mut zum Widerstand mit dem Tode bezahlten. Auf einer Erinnerungstafel hier am Werderschen Markt wird dieser Mitarbeiter und ihrer Haltung gedacht. Diese zwölf sind uns Mahnung, aber auch Verpflichtung.

Einige dieser Geehrten waren Mitglieder der NSDAP und haben sich später zum Widerstand entschlossen.

Ich zitiere die Studie der Historiker:

„Eine reine Parteimitgliedschaftsarithmetik hat jedoch – wie insbesondere die Fälle Hassell und Schulenburg zeigen – nur bedingten Erklärungswert. (…) Individuelles Handeln vermag sie nicht auszuleuchten.“

Einem Menschen wird man nur gerecht, wenn man sehr genau hinsieht. Dieser schwierigen Aufgabe haben sich die Historiker gestellt.

Meine Damen und Herren,

die Frage, wer beim Wiederaufbau des Auswärtigen Amtes nach 1951 aus dem alten diplomatischen Dienst übernommen wurde und wer nicht, sowie die Frage, wer neu in den Auswärtigen Dienst eingestellt wurde, hat schon in den 50er Jahren heftige Debatten ausgelöst. Es gab dazu einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, noch bevor das Auswärtige Amt als eigenständige Behörde wieder existierte.

In der Anfangsphase des neuen Amtes war etwa jeder Fünfte im Höheren Dienst ein Verfolgter des Nazi-Regimes.

Mehr als doppelt so hoch war dort der Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder, rund 40 Prozent. Am Neuaufbau des Auswärtigen Amtes in Bonn, das dokumentiert die Studie, waren Vertreter der alten Berliner Wilhelmstraße maßgeblich beteiligt.

Mancher, der vor dem Krieg und im Krieg verstrickt war, hat nach dem Krieg eine Legende erdichtet. Mancher Täter und mancher Mitläufer gab sich später als Regimegegner aus. Hier entstand ein Selbstbild, wonach das Auswärtige Amt ein Hort des hinhaltenden, letztlich vergeblichen Widerstands gegen das Unrechtsregime war. Ohne personelle Kontinuitäten hätte es dieses Selbstbild so nicht gegeben.

Unter dem Eindruck der Bücher von Browning, Döscher und anderen, aber auch durch den Generationswechsel, wandelte sich dieses Selbstbild. In der Festschrift zum 125-jährigen Bestehen des Auswärtigen Amtes aus dem Jahr 1995 heißt es wörtlich, ich zitiere:

„Die geringe Zahl der aktiven Widerstandskämpfer aus dem Auswärtigen Dienst zeigt, dass das Auswärtige Amt zwischen 1933 und 1945 kein Hort des Widerstandes gegen die braune Tyrannei war.“

Der Satz geht allerdings weiter: „Aber es war genauso wenig eine von der SS beherrschte Behörde. [...] Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte“. Und da liegt sie eben nicht.

Meine Damen und Herren,

die Unabhängige Historikerkommission wurde von Bundesminister Fischer im Sommer 2005 eingesetzt. Die Kommission nahm ihre Arbeit 2006 unter Bundesminister Steinmeier auf. Sie hat ihre Arbeit in diesem Sommer während meiner Amtszeit abgeschlossen. Uns allen gemeinsam ist die Überzeugung, dass dem Auswärtigen Amt und unserem Land am besten durch größtmögliche Offenheit und Transparenz gedient ist. Denn es ist nicht nur die Geschichte eines Landes, es ist die Geschichte unseres Landes.

Die Kommission hat in nie zuvor gekanntem Umfang Personalakten ausgewertet. Verschlusssachen wurden frei gegeben. Nachlässe wurden entsperrt und offen gelegt. Mitglieder der Kommission konnten auch bislang geheime Akten einsehen.

An der Arbeit des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes hat die Kommission Kritik geübt. Gerade weil ich weiß, wie viele Forscher das Archiv nutzen, nehme ich diese Kritik sehr ernst. Wir werden die Argumente sorgfältig prüfen und, wo immer nötig und sachgerecht, auch Konsequenzen ziehen.

Heute ist es unsere Aufgabe, aus den Ergebnissen dieser Studie für das Auswärtige Amt die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

Wie erinnert sich eine Institution mit einer solchen Geschichte? Welche Bilder ehemaliger Botschafter gehören in eine Ahnengalerie, welche nicht? Wie sollte das Amt mit Nachrufen auf ehemalige Mitarbeiter umgehen?

Eines ist ganz klar. Nazis werden nicht geehrt.

Für mich ist es aber eine Frage der Pietät, dass man verstorbener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, die sich nie etwas haben zu schulden kommen lassen und die ihr Berufsleben lang für unser Land gearbeitet haben, würdigend gedenkt.

Die Leitlinie ist ebenso einfach wie klar: Im Rechtsstaat widerfährt dem Einzelnen Gerechtigkeit.

In allen Fällen, in denen Zweifel bestehen, werden wir im Lichte der Ergebnisse der Historikerkommission externen Sachverstand hinzuziehen.

Ich habe eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Staatssekretär Ammon eingesetzt, die sich all dieser Fragen unverzüglich annehmen wird.

Ich freue mich über die Bereitschaft der Historiker, morgen bei einer Veranstaltung mit den Angehörigen des Auswärtigen Amtes die Ergebnisse ihrer Studie und auch mögliche erste Folgerungen zu diskutieren.

Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass sich das Auswärtige Amt in seiner Erinnerungskultur künftig stärker jenen widmen muss, die als Verfolgte, Widerständler, Emigranten und Quereinsteiger nach 1949 den neuen Auswärtigen Dienst mit aufgebaut haben. Wir dürfen jene Frauen und Männer nicht vergessen, die ihren guten Namen einsetzten, um der jungen Bundesrepublik dabei zu helfen, nach dem Holocaust den Weg zurück in die Völkergemeinschaft zu finden.

Diese Mitarbeiter standen für ein Deutschland ein, in dem die Vertretung deutscher Interessen fest an unverrückbare Werte gebunden war, an Freiheit, an Demokratie und an die unveräußerliche Würde des Menschen. Diese Werte bleiben unser Kompass.

Meine Damen und Herren,

die Verpflichtung des Grundgesetzes, „in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt“ zu dienen, ist das Fundament der Außenpolitik unserer Republik.

In diesem Geist hat Konrad Adenauer die Bundesrepublik fest im Westen verankert und entscheidende Schritte zur Aussöhnung mit Israel eingeleitet.

Auf diesem Fundament hat Willy Brandt seine Ostpolitik betrieben und wurde dafür mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt.

Auf dieser Basis der Verlässlichkeit wurde die Bundesrepublik Deutschland unter Außenminister Walter Scheel Mitglied der Vereinten Nationen.

Mit diesen Werten wurde das Vertrauen erarbeitet, mit dem Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher die historische Leistung der deutschen Einheit und der europäischen Einigung gelang.

Der Auswärtige Dienst hat ganz entscheidend zum Ansehen der Bundesrepublik Deutschland als eines friedlichen, offenen und demokratischen Landes beigetragen. Auch das gehört zur Geschichte dieses Hauses und seiner Angehörigen.

Deswegen ist mir die Teilnahme der künftigen Generation junger Diplomaten heute hier ein persönliches Anliegen.

Sie, liebe junge Kolleginnen und Kollegen, wachsen in ein Haus hinein, das eine wechselvolle Geschichte hat. Diese Geschichte muss man kennen, auch in ihren dunkelsten Kapiteln.

Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann aus ihr für die Zukunft nichts lernen. Das gilt für das Amt, das gilt für die Politik, das gilt für das ganze Land und die Gesellschaft. Deshalb wird die Studie „Das Amt und die Vergangenheit“ künftig ein fester Bestandteil der Ausbildung deutscher Diplomaten sein.

In Ihrer Laufbahn werden Sie Außenpolitik mit gestalten auf der Grundlage des in sechs Jahrzehnten deutscher Friedenspolitik erworbenen Vertrauens.

Tun Sie es im vollen Bewusstsein der Geschichte unseres Auswärtigen Amtes. Vergessen Sie nie, was für ein kostbares Gut das Vertrauen ist, das Deutschland heute entgegengebracht wird.

Arbeiten Sie daran mit, dass unser Land auf der Basis dieses Vertrauens weltweit ein geschätzter Partner bleibt.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Verwandte Inhalte

Schlagworte

nach oben