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„Wir müssen Konfliktherde beruhigen“

04.11.2015 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Neuen Westfälischen zur Flüchtlingspolitik. Weitere Themen: der syrische Bürgerkrieg, das Verhältnis zu Russland und die Wahlen in der Türkei. Erschienen am 04.11.2015.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Neuen Westfälischen zur Flüchtlingspolitik. Weitere Themen: der syrische Bürgerkrieg, das Verhältnis zu Russland und die Wahlen in der Türkei. Erschienen am 04.11.2015.

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Herr Minister Steinmeier, die Debatte um die Flüchtlingssituation wird heftiger. Sind wir auf dem richtigen Weg?

Die eine einfache Lösung gibt es nicht. Wir müssen auf vielen Ebenen gleichzeitig anpacken, und das tun wir. Ende Oktober haben wir ein umfangreiches Gesetzespaket verabschiedet, das Asylverfahren beschleunigt und Rückführungen erleichtert. Gleichzeitig brauchen wir Zentren, in denen wir Flüchtlinge zunächst registrieren, und wo rasch entschieden wird, ob sie eine Bleibeperspektive haben. Hierzu hat die SPD einen, wie ich finde, guten und vor allem sofort umsetzbaren Vorschlag gemacht. Auf europäischer Ebene haben wir uns auf die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen geeinigt. Aber auch hier müssen wir noch viel Überzeugungsarbeit leisten, um insgesamt zu einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge in Europa zu kommen. Wir arbeiten mit der EU-Kommission daran, Aufenthaltszentren auf dem Weg von Griechenland über Mazedonien und dem Balkan rasch aufzubauen. Und natürlich brauchen wir für die Bewältigung der Flüchtlingsbewegungen die Türkei. Aber alles dies ist nur eine Folge von Symptomen, an denen wir operieren.

Was bedeutet das für eine dauerhafte Bewältigung der Situation?

Eines ist doch sicher: Wenn wir keine Beruhigung an den Konfliktherden in Syrien und dem Nahen Osten hinbekommen, werden wir die Zahl der Flüchtlinge nicht dauerhaft reduzieren können. Wir haben beim G-7-Außenministertreffen mit einer Erhöhung der Hilfsgelder um 1,8 Milliarden Dollar zunächst einmal sichergestellt, dass diejenigen, die sich in Flüchtlingslager in der Region gerettet haben, auch weiter versorgt werden. Das hilft ein wenig. Heute werde ich im Auswärtigen Amt mit dem Chef des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und Vertretern internationaler Hilfsorganisationen darüber beraten, wie wir die Hilfe besser organisieren und sicherstellen können, dass auch in Zukunft ausreichend Hilfsgelder vorhanden sind, um die Flüchtlinge in der Region zu versorgen. Das sind alles dicke Bretter, die wir hier bohren, aber es muss getan werden.

Gibt es mit den Wiener-Gesprächen Hoffnung auf eine baldige Lösung des Bürgerkriegs in Syrien?

Steinmeier: Leider ist der Syrienkonflikt eine Chronik der verpassten Chancen. Als wir 2005 dafür geworben haben, Syrien aus der regionalen Isolation herauszulösen, scheiterte das auch am Widerstand derjenigen, die das Land auf der Achse des Bösen verorten wollten. Heute, 250.000 Tote später, sind wir wieder an dem Punkt, wo wir mühsam Gesprächsprozesse in Gang bringen. Aber es hilft nichts: Jetzt geht es darum, dem Morden in Syrien endlich ein Ende zu setzen.

Wie lange könnte es dauern, bis ein Entspannungsprozess in dieser Region auf diplomatischem Wege erreicht werden kann?

Auch wenn der Weg noch lang und steinig wird, gibt es mit der Syrien-Konferenz in Wien jetzt erstmals Hoffnung, dass wir den Einstieg in eine politische Lösung des Konflikts finden könnten. In der Erklärung, die wir auf dem Gipfel in Wien in der vergangenen Woche verabschiedet haben, konnten wir uns zum Beispiel darauf verständigen, dass wir ein einheitliches Syrien erhalten wollen. Auch haben wir festgehalten, dass Syrien ein säkularer Staat bleiben soll. Damit hatte vorher keiner gerechnet. Es ist jetzt ein Prozess beschrieben, der mit der Vorbereitung einer Übergangsregierung beginnt. Dann soll ein Verfassungsprozess stattfinden und in Wahlen münden, die auch für Exilsyrer zugänglich sein müssen. Wenn es gelänge, lokale und regionale Waffenstillstände im Syrien zu organisieren, würden zumindest keine neuen Flüchtlingswellen mehr über die Grenze gedrückt.

Wie sehen Sie die Rolle des radikalislamischen IS?

Der IS ist kein Verhandlungspartner. Im Gegenteil: In Wien waren sich alle einig, dass der Kampf gegen die IS-Terrorbanden aufrecht erhalten bleiben muss.

Hat Deutschland eine besondere Rolle gegenüber Russland?

Außenpolitik ist immer dann erfolgreich gewesen, wenn man sich von platten Schwarz-Weiß-Kategorien verabschiedet hat. Das haben wir in der Ukraine-Krise bewiesen. Wir haben da, wo nötig, auch mit wirtschaftlichem Druck auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und auf das russische Vorgehen in der Ostukraine reagiert. Gleichzeitig haben wir den Dialog immer aufrechterhalten, haben auf eine Lösung am Verhandlungstisch gepocht. So konnte Deutschland gemeinsam mit Frankreich dazu beigetragen, dass aus einem Konflikt keine kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten entsteht.

Müssen wir Sanktionen aufheben, um die Beziehungen zu Russland zu normalisieren, auch im Interesse der Wirtschaft?

Die Wirtschaftsdaten haben sich in Russland in den letzten Jahren grundlegend verschlechtert. Auch im russischen Handel mit China sind die Zahlen stark eingebrochen. Vieles hängt mit der Schwäche der russischen Wirtschaft zusammen und würde sich auch bei einem Ende der Sanktionen nicht automatisch erholen. Aber Russland hat es in der Hand, durch die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen auch die Sanktionsfrage zu lösen. Wir sind in der Ukraine-Krise auf einem guten Weg. Seit zwei Monaten schweigen die Waffen. Und nach der Verschiebung der Wahlen in der Ostukraine haben wir nun eine Chance, den Waffenstillstand zu stabilisieren und zu einem weiteren Abzug der Waffen zu kommen.

Stehen wir vor einer neuen Phase deutscher Außenpolitik, einer Art Wandel durch Annäherung, zweiter Teil?

Die Entspannungspolitik gegenüber dem Warschauer Pakt funktionierte in Zeiten der Blockkonfrontation. Die Partner auf beiden Seiten waren berechenbar. Heute haben wir eine Welt weitgehend ohne Ordnungsstrukturen. Konflikte zu entspannen, ist heute jedenfalls nicht weniger anspruchsvoll, etwa, was die Zahl der Beteiligten angeht. Aber die Grundidee, Sprachlosigkeit zu überwinden und im ständigen Dialog zu bleiben trotz entgegengesetzter Haltungen, bleibt weiter aktuell.

Dazu gehört, Russland wieder als Weltmacht anzuerkennen?

Egal wie Sie es nennen wollen: Wir brauchen Russland für die Lösung vieler Krisen und Konflikte auf der Welt.

Wie bewerten Sie das Wahlergebnis in der Türkei?

Es ist eine Entscheidung der türkischen Wähler, die Erdogan eine absolute Mehrheit verschafft, aber eine verfassungsändernde Mehrheit verweigert hat. Vielleicht wird die AKP jetzt aus einer Position der Stärke den auf Eis gelegten Friedensprozess mit den Kurden wieder aufnehmen. Das wäre jedenfalls unsere Hoffnung und vor allem für das Land von enormer Bedeutung.

[…]

Haben Sie Sorge um das Klima in der Gesellschaft?

Ich sehe nach wie vor eine überwältigende Hilfsbereitschaft. Tausende Deutsche engagieren sich Tag und Nacht ehrenamtlich dafür, dass Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, bei uns Zuflucht finden und integriert werden. Auch die Kommunen stellen sich der Herkulesaufgabe mit herausragendem Einsatz, kommen aber an ihre Belastungsgrenze. Gleichzeitig sind viele Menschen verunsichert. Umso wichtiger ist es, dass sich alle Demokraten entschlossen den Feinden des Grundgesetzes entgegenstellen, wenn bei Pegida in Dresden und andernorts versucht wird, eine Stimmung der Intoleranz, des Hasses und der Gewalt gegen Flüchtlinge und Andersdenkende zu säen.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Neuen Westfälischen.

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