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„Es müssen im Irak nicht alle dasselbe tun“

29.09.2014 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum deutschen Engagement im Kampf gegen die Terrororganisation ISIS in Irak und Syrien. Erschienen u.a. in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (29.09.2014).

Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum deutschen Engagement im Kampf gegen die Terrororganisation ISIS in Irak und Syrien. Erschienen u.a. in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (29.09.2014).

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Die IS droht damit, willkürlich in den westlichen Ländern selbst zuzuschlagen. Wie groß ist die Gefahr für Deutschland?

ISIS ist eine existentielle Bedrohung für den Mittleren Osten, es ist auch eine Gefahr für uns in Europa. Wir sind in den letzten Tagen in New York bei der Abstimmung einer internationalen Strategie im Kampf gegen ISIS gut vorangekommen. Teil davon ist, dass sich Muslime in der ganzen Welt offen und unzweideutig gegen ISIS stellen.

Die jüngste UN-Sicherheitsresolution verlangt von allen Staaten, die Ausreise von Terror-Sympathisanten wirksam zu verhindern und sie bei einer Wiedereinreise zu verfolgen. Reichen die deutschen Gesetze hierfür aus?

Wir müssen den Zufluss von Kämpfern, Waffen und Geld an ISIS blockieren. Mit der Resolution des Sicherheitsrats wird das angepackt, und zwar weltweit. Es ist folgerichtig, dass der Bundesjustizminister im Kampf gegen ISIS alle rechtlichen Möglichkeiten prüft.

Die USA greifen IS auch in Syrien an, ohne Zustimmung der Regierung. Ist das nicht völkerrechtswidrig?

Die Barbarei der ISIS macht nicht an den Grenzen des Irak halt. Der Kampf gegen ISIS kann nur gelingen, wenn den Terrormilizen auch ihre Rückzugsräume in Syrien genommen werden. ISIS beherrscht große Teile des irakischen Staatsgebiets, aber auch Gebiete in Syrien. Irak nimmt im Kampf gegen ISIS sein in der Charta der Vereinten Nationen verankertes Recht auf Selbstverteidigung wahr und hat die Staatengemeinschaft dafür förmlich um Hilfe gebeten. Das ist im Übrigen auch die Grundlage für unsere Lieferungen militärischer Ausrüstung an die Peschmerga. Die Amerikaner reagieren auf dieses Hilfsersuchen, auch bei ihren Luftangriffen auf Gebiete in Syrien, die von ISIS beherrscht werden. Diese Argumentation fand in New York breite Zustimmung.

Indirekt helfen die Angriffe Syriens Diktator Assad dabei, an der Macht zu bleiben. Manche wollen sogar direkt mit Assad kooperieren, er sei das geringere Übel. Ist das eine sinnvolle Strategie?

Der Bürgerkrieg in Syrien hat so viele Menschenleben gefordert, so viel Leid verursacht und Familien zerstört, Millionen Menschen haben ihre Heimat verlassen müssen und sind auf der Flucht. Dafür trägt Assad die Hauptverantwortung. Das kann nicht einfach ad acta gelegt werden, und das wird auch nicht vergessen. Assad hat jegliche Legitimität verspielt. Auch Luftschläge werden den Bürgerkrieg in Syrien nicht beenden können. Deshalb war allen in New York klar, dass an einem politischen Prozess kein Weg vorbei führt. Das war auch Gegenstand meiner Gespräche.

Das gleiche Dilemma gilt für die PKK, die von Deutschland weiterhin als Terrorgruppe eingestuft wird. Sie kämpft gegen IS und hat in der Türkei dem bewaffneten Kampf abgeschworen. Wäre es nicht an der Zeit, die PKK neu zu bewerten?

Das kann man doch nicht vergleichen. Aber es gibt keinen Anlass, kurzfristig an unserer Haltung zur PKK etwas zu ändern. Im Übrigen: Handeln nach dem Grundsatz: ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund‘ hat im Mittleren Osten schon genug Unheil angerichtet. Das ist keine Strategie, die trägt.

Müssen Deutschland und Europa die Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme stärker entlasten und selbst mehr Flüchtlinge aufnehmen?

Deutschland hat in Europa die meisten Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Wir haben seit Beginn der Syrien-Krise Hunderte von Millionen Euro bereitgestellt, um die Not der Menschen zu lindern, in Syrien selber und in den Nachbarländern. Die Türkei verdient große Anerkennung für ihre Aufnahmebereitschaft und die Versorgung der Flüchtlinge. Noch dramatischer ist die Lage in Jordanien und dem Libanon. Deshalb habe ich mehr als 40 Außenministerkollegen und Vertreter internationaler Organisationen wie des UN-Flüchtlingshilfswerks für den 28. Oktober zu einer Flüchtlingskonferenz nach Berlin eingeladen.

Militärisch beteiligt sich Deutschland bisher durch Waffenlieferungen an die Kurden am Anti-IS-Kampf. Wird es dabei bleiben? Sind Sie grundsätzlich auch zu einer direkten Beteiligung der Bundeswehr an den Luftschlägen bereit, wenn es die Lage erfordern sollte?

Weder militärische noch humanitäre Mittel allein können ISIS stoppen. Wir brauchen eine breit angelegte politische Strategie, die insbesondere von den arabischen Staaten in der Region mitgetragen werden muss. Auf dem Weg dorthin haben wir in den letzten beiden Wochen gute Fortschritte erzielt: In New York hat sich eine breite Staatenallianz gegen ISIS gebildet, in der Arbeitsteilung vereinbart ist. Es ist keine Arbeitsteilung, wenn alle dasselbe tun. Es gibt genügend Nationen, die die amerikanischen Luftschläge begleiten, aber zu wenige, die andere Aufgaben übernehmen. Wir waren mit unserer frühen Entscheidung für Waffenlieferungen an die kurdischen Sicherheitskräfte vorne dran. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass die Ausrüstung ankommt und die kurdischen Sicherheitskräfte die für die Anwendung notwendige Ausbildung erfahren. Das sollten wir engagiert und mit Selbstbewusstsein tun. Jetzt aus Symbolik auf andere Züge aufzuspringen – davon halte ich gar nichts, davon, begonnene Aufgaben zu Ende bringen, dagegen sehr viel.

Ist auch der Iran für den Westen ein Partner im Kampf gegen die Terroristen?

Jedenfalls teilen wir mit Teheran im Kampf gegen ISIS die gleichen Interessen. Eine weitergehende Einbindung des Iran wäre wünschenswert. Wir müssen aber realistisch sein. Der Weg zu einer Normalisierung der Beziehungen mit Teheran führt über eine Lösung in der Frage des iranischen Atomprogramms. Die Zeit läuft, wir haben nur noch bis Ende November, um zu einer für alle Seiten befriedigenden Lösung zu kommen. Es gibt noch große Hürden zu überwinden. Ich glaube aber, dass das möglich ist.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.

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