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„Wir brauchen eine Milliarde Dollar für Menschen in Not“

22.05.2016 - Interview

Gemeinsamer Namensartikel von Frank-Walter Steinmeier, Stephen O'Brien, Kristian Jensen, Børge Brende, Marie-Claude Bibeau, Lilianne Ploumen und Isabella Lövin

Gemeinsamer Namensartikel von Frank-Walter Steinmeier, Stephen O'Brien, Kristian Jensen, Børge Brende, Marie-Claude Bibeau, Lilianne Ploumen und Isabella Lövin. Erschienen auf ZEIT Online am 22. Mai 2016.

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Vor zehn Jahren gab es 32 Millionen Menschen, die dringend humanitäre Hilfe benötigten – heute sind es mehr als 125 Millionen. Lang andauernde Konflikte haben zu Millionen Vertriebenen geführt und Naturkatastrophen immer größeren Ausmaßes wirken sich immer stärker auf die Lebensgrundlage der Menschen aus.

Durch den Klimawandel, extreme Armut, Wasser- und Lebensmittelknappheit, Migration und Epidemien müssen humanitäre Hilfsorganisationen immer mehr Menschen in immer mehr Gebieten unterstützen. Im letzten Jahr war laut Angaben der Hochrangigen Gruppe für die Finanzierung humanitärer Maßnahmen im humanitären Bereich mit 15 Milliarden US-Dollar die bisher größte Finanzierungslücke zu verzeichnen. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich das Schicksal von Frauen, Männern und Kindern, die verzweifelt ums Überleben kämpfen. Die Vereinten Nationen und ihre humanitären Partner arbeiten unermüdlich, um den schutzbedürftigsten Menschen zu helfen. Um Menschenleben zu retten, müssen Ressourcen unmittelbar zur Verfügung stehen.

Vor zehn Jahren hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Nothilfefonds (CERF) ins Leben gerufen. Das Ziel: Menschen, die von akuten Krisen, plötzlich hereinbrechenden Katastrophen, bewaffneten Konflikten und vergessenen Krisen betroffen sind, rechtzeitig mit lebensrettender Hilfe zu versorgen. Seit 2006 haben Millionen von Menschen in 94 Ländern durch den CERF Hilfsleistungen von insgesamt fast 4,5 Milliarden Dollar erhalten. Dank des Fonds können Partner jährlich im Schnitt 20 Millionen Menschen mit Gesundheitsdiensten versorgen, 10 Millionen mit Lebensmitteln und 8 Millionen mit sauberem Wasser und Sanitärversorgung. 5 Millionen erhalten Hilfe bei der Wiederherstellung ihrer Lebensgrundlage, 4 Millionen Menschen kann Schutz gewährt und einer Million eine Unterkunft gestellt werden.

Der Fonds reagiert schon, ehe eine Krise in den Medien erscheint

Während sich der humanitäre Bedarf in der Welt dramatisch erhöht hat, sind die Ressourcen des CERF weitgehend unverändert geblieben: Der Fonds soll jedes Jahr 450 Millionen Dollar für humanitäre Maßnahmen zur Verfügung stellen können. Um zu gewährleisten, dass der CERF mit dem steigenden Bedarf mithalten und ein wirksames Instrument zur Bewältigung der schwerwiegenden, komplexen und verschiedenartigen Krisen unserer Zeit bleiben kann, hat UN-Generalsekretär Ban Ki-moon eine Verdopplung des Fonds auf eine Milliarde US Dollar gefordert.

Ein besser ausgestatteter CERF wäre auch besser gerüstet für den aktuellen humanitären Bedarf. Er könnte mehr Wirkung zeigen und dabei seine Schwerpunktsetzung, Reichweite und Geschwindigkeit aufrechterhalten. In Krisen bedeutet verlorene Zeit verlorenes Leben. Der Vorteil des CERF liegt in seiner schnellen Handlungsfähigkeit. Binnen Stunden können Mittel für kritische lebensrettende Maßnahmen bereitgestellt werden, so geschehen infolge der Erdbeben in Ecuador, Nepal und Haiti.

Der CERF ist für die weltweite humanitäre Arbeit unverzichtbar geworden. Durch ihn können die UN-Organisationen und ihre Partner schnell und flexibel über Mittel verfügen und Hilfsmaßnahmen umgehend in die Wege leiten. Wofür die Mittel des CERF aufgewandt werden, entscheidet sich auf der Grundlage objektiver, neutraler Bedarfsanalysen, die von humanitären Hilfsteams vor Ort durchgeführt werden. Die Mittel kommen einem umfangreichen Netzwerk an Partnern zugute, was wiederum eine koordinierte Reaktionen ermöglicht. Helfer können dank der durch den CERF bereitgestellten Mittel schnell große Mengen an Hilfsgütern besorgen und sie den schutzbedürftigsten Menschen zur Verfügung stellen.

In vielen Fällen kommt der CERF schon zum Einsatz, noch bevor die Krise ihren Weg in die Medien findet. Im März 2014, als von vielen Stellen noch keine Maßnahmen zur Bewältigung der Ebola-Krise ergriffen worden waren, stellte der CERF bereits das Startkapital für die Arbeit der UN. Und als sich die Lage verschlechterte, konnten durch den CERF zentrale Aspekte der Maßnahmen wie der humanitäre Flugdienst gewährleistet werden, ohne den die humanitäre Arbeit größtenteils zum Erliegen gekommen wäre. Mit einer besseren finanziellen Ausstattung könnte der CERF in solchen Notlagen noch mehr Mittel bereitstellen.

Auch neue Beitragszahler und Finanzierungsideen sind nötig

Seit Ausbruch des Krieges in Syrien wurde die humanitäre Arbeit in der gesamten Region mit mehr als 200 Millionen Dollar aus dem CERF unterstützt, wodurch wesentliche Schwachstellen im internationalen Vorgehen ausgeglichen und die Lebensbedingungen von Flüchtlingen verbessert werden konnten. Der CERF steht auch bei der Reaktion auf das aktuelle globale El-Niño-Phänomen an vorderster Front. Seit 2015 wurden kritische lebensrettende Maßnahmen in 19 von El Niño betroffenen Ländern mit mehr als 119 Millionen Dollar aus dem CERF finanziert. In beiden Fällen ist diese Unterstützung jedoch nur der Beginn dessen, was benötigt wird. Die Leiter humanitärer Hilfsorganisationen in den betroffenen Ländern bitten um mehr Unterstützung durch den CERF; so wie der Fonds jetzt ausgestattet ist, kann er jedoch nicht mehr leisten. Damit mehr Wirkung erzielt und prinzipienbasierte humanitäre Hilfe unterstützt werden kann, ist der Nothilfefonds dringend auf die weitere Aufstockung auf eine Milliarde angewiesen.

Der Fonds arbeitet ständig an der Verbesserung seiner Effizienz und Wirksamkeit, damit mit jedem investierten Dollar die maximale Wirkung erzielt werden kann. Er ist somit zentraler Bestandteil des humanitären Ökosystems, das letztendlich gegenüber vielen Millionen von Krisen betroffenen Menschen in der Verantwortung steht. Der Zweck des Fonds steht im Einklang mit dem Appell zum Wandel und einer neuen Art des Arbeitens, den der UN Generalsekretär in seiner Agenda for Humanity getätigt hat. Hierin besteht der Kern dessen, was im Rahmen des ersten Humanitären Weltgipfels am 23. und 24. Mai in Istanbul Gegenstand der Gespräche sein wird.

Der CERF wurde als „Fonds von allen, für alle“ geschaffen und hat von 125 Mitgliedstaaten und privaten Gebern auf breiter Grundlage Unterstützung erfahren. Allerdings haben die zehn größten Geber 87 Prozent der Mittel des Fonds eingezahlt. Die Aufstockung des CERF auf eine Milliarde Dollar gelingt nur dann, wenn sich mehr Länder und Unternehmen aktiv beteiligen und ihre Unterstützung deutlich erhöhen. Es braucht neue Beitragszahler, höhere Beiträge und überdies innovative Finanzierungslösungen, wenn wir wollen, dass der UN-Nothilfefonds angesichts des humanitären Bedarfs unserer heutigen Welt handlungsfähig bleiben soll. Zahlreiche Menschenleben hängen davon ab.

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Die Autoren

  • Frank-Walter Steinmeier, Außenminister, Deutschland
  • Stephen O'Brien, Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen
  • Kristian Jensen, Außenminister, Dänemark
  • Marie-Claude Bibeau, Ministerin für internationale Entwicklung und die Frankophonie, Kanada
  • Lilianne Ploumen, Ministerin für Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, Niederlande
  • Børge Brende, Außenminister, Norwegen
  • Isabella Lövin, Ministerin für internationale Entwicklungszusammenarbeit, Schweden

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