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„Die Welt erwartet mehr von uns“

16.04.2016 - Interview

Außenpolitik dürfe sich nicht auf Länder mit stabilen Demokratien beschränken, fordert Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“ (16.04.2016).

Außenpolitik dürfe sich nicht auf Länder mit stabilen Demokratien beschränken, fordert Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“ (16.04.2016).

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Herr Steinmeier, in der Abschlusserklärung der G7 in Hiroshima wird Russland für seine Desinformationskampagnen und die Drangsalierung Oppositioneller kritisiert. Das sind deutliche Worte, obwohl über die Rückkehr Moskaus in diese Gruppe diskutiert wird.

G7 ist kein Selbstzweck! Es muss unser Ziel bleiben, dass wir wieder zum G8-Format zurückkehren. Viele Konflikte rund um den Erdball zeigen, dass eine Lösung ohne Russland nicht oder nur schwer möglich ist. Russland hat positiv mitgewirkt beim Atomvertrag mit Iran und ist in Genf bei den Beratungen über Syrien dabei. Allerdings: Das Verhalten Russlands gegenüber der Ukraine ist die entscheidende Frage, und da erwarten wir Bereitschaft und Engagement Moskaus, die Minsker Vereinbarungen baldmöglichst umzusetzen. Daneben hat uns der Ukraine-Konflikt erkennen lassen, in welchem Maße mittlerweile die Instrumente der sozialen Medien politisch gebraucht und missbraucht werden. Wir müssen Russland dazu bringen, Regeln zum Umgang mit diesen neuen Formen der Kommunikation anzunehmen.

Zu diesen Regeln müsste dann gehören, diese Art der hybriden Kriegsführung zu unterlassen. Und müsste es Ihr russischer Amtskollege Lawrow nicht unterlassen, etwa den Fall einer dreizehnjährigen Russlanddeutschen zur diplomatischen Affäre zu machen?

Der Fall ist erledigt. Aber so absurd die Geschichte war: Wir können nicht akzeptieren, dass die Öffentlichkeit in Deutschland mit Fehlinformationen über angebliche Sexualdelikte von Migranten verunsichert wird. Erst recht dann nicht, wenn sich offizielle russische Stellen an ihrer Verbreitung beteiligen. Ich habe das in aller Offenheit mit meinem russischen Kollegen besprochen.

Beobachten Sie bei sich und Mitgliedern der Bundesregierung ein geschärftes Bewusstsein für Desinformation?

Sicher, und man passt natürlich das eigene Verhalten an, verändert die eigene Kommunikation, wählt die technischen Mittel und Kanäle sorgfältiger aus. Wir müssen davon ausgehen, dass es auf offenen Leitungen häufig mehr als nur die zwei Partner gibt, die miteinander sprechen.

Bemerken Sie bei Wählern und Bürgern Verunsicherung über Kampagnen in sozialen Medien?

Gerade die Jüngeren, die die sozialen Medien intensiv nutzen, haben wahrscheinlich schon die Erfahrung gemacht, dass Kommentare im Internet gelegentlich gesteuert werden oder einer eigenen Dynamik folgen. So entstehen dann eben „Hypes“ und die Erfahrung von „Shit Storms“ hat auch schon der ein oder andere gemacht.

Bundespräsident Gauck hat 2014 in einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz ein Ende des Abseitsstehens der deutschen Außenpolitik gefordert. Wie weit sind wir damit?

Ich habe im Dezember 2013 am Tag meiner Amtsübernahme im Auswärtigen Amt gesagt, dass wir zu groß, wirtschaftlich zu wichtig und demokratisch zu stabil sind, als dass wir das Weltgeschehen nur von der Außenlinie kommentieren dürfen. Die Welt erwartet mehr von uns. Es wäre allerdings ein Missverständnis, wenn man Verantwortung gleichsetzt mit militärischem Engagement.

Lautete der Vorwurf an Deutschland nicht immer, dass wir uns nur bei Verhandlungen einbringen?

Was heißt „nur“? Wir haben uns früher nicht getraut, auch politisch-diplomatisch in die vorderste Reihe zu gehen, wenn es um die politische Vermittlung in Konflikten ging. Im Fall der Ukraine und Syriens ist das jetzt anders. Im Übrigen: Wenn wir den Verlauf von Konflikten in den letzten 15 Jahren analysieren, sehen wir, dass es doch nicht an militärischen Aktivitäten mangelte. Im Gegenteil: Unüberlegte militärische Aktivitäten, wie die im Irak und Libyen, haben nicht zur Stabilisierung beitragen, sondern die Lage noch verschlechtert. Das aktuellste Beispiel ist Libyen: Man kann einen Militäreinsatz schnell beschließen und einen Autokraten wie Gaddafi beseitigen. Wenn aber der Schritt danach nicht vorbereitet ist, dann geht Staatlichkeit und Stabilität verloren, die gar nicht oder nur schwer wieder herzustellen ist. Mühsam und in kleinsten Schritten versuchen wir jetzt dort, den völligen Zerfall des Landes zu verhindern.

Sie sprechen von der Verunsicherung der Bevölkerung über die vielen Konflikte. Fällt es Ihnen heutzutage leichter, als in Ihrer ersten Amtszeit von 2005 bis 2009, zu erklären, was Sie als Außenminister machen?

Natürlich freue ich mich, dass das Interesse an Außenpolitik gestiegen ist. Wenn sich aber die Menschen intensiv für Außenpolitik zu interessieren beginnen, ist das selten ein gutes Zeichen für den Zustand der Welt. Was man begreiflich machen kann, ist, dass wir uns nicht raushalten und wegducken können. Dass es außerdem keine entfernten Konflikte mehr gibt, denen wir nur gelassen im Fernsehen zuschauen können. Die Konflikte erreichen uns, über Flüchtlingsbewegungen oder den Terrorismus. Deshalb verstehen viele Menschen, dass wir Verantwortung für Nichtstun genauso häufig tragen wie für unser Tun.

Bedeutet das gesteigerte Interesse auch mehr Kritik? Muss der Außenminister sich häufiger rechtfertigen, etwa für den EU-Türkei-Pakt in der Flüchtlingspolitik?

Die Menschen sind heute informierter. Das stellt neue Anforderungen an die Politik. Wir müssen erklären, warum Deutschland seine außenpolitischen Beziehungen nicht allein auf Länder mit stabilen Demokratien beschränken darf. Wir müssen Politik auch mit denjenigen machen, die wir brauchen, um Kriege zu beenden, selbst wenn dort unsere Wertvorstellungen nicht geteilt werden. Wir müssen erklären, dass Außenpolitik gerade mit jenen Staaten wichtig ist, deren Verhalten von Teilen unserer Bevölkerung zu Recht als schwierig empfunden wird. Die Debatte um Flüchtlinge und Migration zeigt, dass wir nicht entweder Flüchtlingspolitik oder Außenpolitik machen können, sondern alles zusammenspielt, wie zurzeit mit der Türkei. Natürlich wollen wir eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingsströme, und gleichzeitig müssen wir das kritische Gespräch über das dortige Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, den Umgang mit Medien und die Kurdenpolitik führen.

Ihnen scheint Außenpolitik Spaß zu machen. Was fasziniert Sie daran?

Außenpolitik ist zu einer Riesenverantwortung geworden in einer Welt, die aus den Fugen gerät. Spaß im engeren Sinne an dieser pausenlosen Arbeit an Krisen und Konflikten vermittelt sich im Augenblick eher seltener. Aber im Laufe der vielen Jahre entdecke ich mehr und mehr, dass sich – trotz scheinbarem Chaos und gelegentlichen Rückschlägen – eben doch etwas bewegen lässt. Freude und Leidenschaft sind eher noch gewachsen, weil neben der Erfahrung eben auch ein internationales Netzwerk von Personen entsteht, mit denen man Jahr und Tag zusammenarbeitet. Das verschafft mir heute wesentlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten als noch in meiner ersten Amtsperiode. Mein Grundsatz ist und bleibt: Man muss bescheiden sein hinsichtlich kurzfristig erreichbarer Erfolge. Wichtig bleibt die Erkenntnis, dass man die Welt so nehmen muss wie sie ist, sie aber vor allem nicht so lassen darf.

Wenn Sie in einer ausweglos erscheinenden Konfliktsituation vermitteln – oder wenn Ihre Art dazu führt, dass ein eher steifer Gesprächspartner sich auf einmal öffnet, sagt sich Frank-Walter Steinmeier dann, ja, da bewegt sich was?

Ja, das gibt es. Zur Erfahrung gehört die Einsicht, dass man keine Angst haben darf vor dem Scheitern. Dafür sind die Iran-Verhandlungen ein gutes Beispiel. Wie oft war es fast vorbei, wie oft standen wir kurz vor einem neuen militärischen Konflikt, und doch haben wir die Kraft gefunden immer wieder neu anzusetzen. Ich denke, ich kann mich heute noch besser als in meiner ersten Amtsperiode in die Lage meines Gegenüber versetzen. Ich weiß, welchen Zwängen er ausgesetzt ist oder auch, dass etwa in Ostasien das in Europa als selbstverständlich empfundene offene Gespräch nicht einfach so funktioniert. Es gilt eben nicht nur das gesprochene Wort, man muss auch lernen, in Gesichtern zu lesen und Körpersprache zu interpretieren.

Sie wirken in der Öffentlichkeit meist freundlich, vor allem aber gelassen.

Aufgeregt sind ja schon alle anderen! (lacht)

Woher kommt diese Gelassenheit im Amt? Gehen Sie joggen, meditieren Sie, machen Sie Yoga?

Ohne starke Nerven und ein inneres Koordinatensystem, einen Kompass aus Werten und Zielen kann man diese Arbeit, die ja auch Rückschläge und Scheitern kennt, nicht über so viele Jahre machen. Sonst lässt man sich jeden Tag durch neue Entwicklungen so verunsichern, dass man den langfristigen Linien nicht folgen kann. Ansonsten – Yoga: nein, aber ein- bis zweimal die Woche gehe ich laufen. Und im Spätsommer geht’s jedes Jahr in die Dolomiten, und ein paar Gipfel, auf denen ich noch nicht war, gibt’s da auch noch!

Interview: Christoph Plate. www.schwaebische.de

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