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„Die Instrumente der Rüstungskontrolle wiederbeleben“

07.09.2017 - Interview

Außenminister Sigmar Gabriel im Interview mit dem Nordkurier (07.09.2017). Themen: das nordkoreanische Atomprogramm, die Ukraine-Krise, die Entwicklung in Polen, Abrüstung und Rüstungskontrolle.

Außenminister Sigmar Gabriel im Interview mit dem Nordkurier (07.09.2017). Themen: das nordkoreanische Atomprogramm, die Ukraine-Krise, die Entwicklung in Polen, Abrüstung und Rüstungskontrolle.

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Wir haben in der Welt viele Brennpunkte. Nordkorea ist aktuell wohl der Brennendste. Die Ukraine-Krise ist nach wie vor ein Thema. Hier, quasi direkt vor der Tür, liegt Polen, auch von dort kamen in den letzten Monaten beunruhigende Nachrichten. Wie sehen Sie die Lage dort?

Wenn man nach Polen schaut, muss man erst mal wissen: Die polnische Regierung ist gewählt worden, weil die Menschen den Eindruck hatten, dass sie von dem wirtschaftlichen Aufschwung des Landes zu wenig profitieren. Die PiS ist als soziale Partei gewählt worden, weniger wegen ihres autoritären Anstrichs oder ihres Nationalismus. Aber natürlich ist das, was die polnische Regierung jetzt macht, mehr als problematisch. Sie schränkt das, was wir unter Gewaltenteilung verstehen, unter Rechtsstaatlichkeit, in einem Maße ein, dass es uns große Sorgen macht. Trotzdem habe ich großes Vertrauen in den Freiheitswillen und die Unbeugsamkeit der Polinnen und Polen, was Demokratie und den Rechtsstaat angeht. Ich bin in meinem Leben ganz oft dort gewesen. Die Polen sind ja mit die ersten gewesen, die gegen das kommunistische Regime gekämpft haben. Wir haben ihnen viel zu verdanken. Trotz aller schwierigen Entwicklungen dort würde ich immer sagen: Es gibt Grund, in diesen Freiheitswillen der Polen zu vertrauen.

Sie müssen sich als Außenminister ja sehr regelmäßig die Frage stellen, wie man mit Staatsmännern umgeht, die sich nicht so verhalten, wie man sich das wünscht. Wir haben hier in der Region viele Menschen die sich ehrenamtlich für das deutsch-polnische Verhältnis engagieren. Einige sagen inzwischen: Wir haben das Gefühl, wir müssen da auch ein Zeichen setzen, unser eigenes Engagement zurückfahren...

Mein Rat wäre das Gegenteil. Mehr Kulturaustausch, mehr Städtepartnerschaft, mehr Jugendaustausch, mehr Begegnungen. Nicht Rückzug. Dann wäre nur das erreicht, was die Nationalkonservativen in Polen sich wünschen. Ich kann natürlich niemandem Vorschriften machen, aber mein Wunsch wäre, dass wir eher mehr in den deutsch-polnischen Austausch investieren. Dass wir versuchen, das Land und das, was sich dort tut, besser zu verstehen. Ich bin über jeden Ehrenamtlichen froh, der sagt: Nee, jetzt erst recht.

Sie haben auch bei der Türkei lange dafür geworben, sich nicht zurückzuziehen, sondern trotz aller Probleme immer wieder zuzuhören. Der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz hat jetzt dafür geworben, die EU-Beitrittsverhandlungen abzubrechen. Hat er sich vorher mit ihnen abgestimmt?

Na klar. Man muss immer unterscheiden: Ein Konflikt, den man mit einer Regierung hat, darf nicht den Eindruck vermitteln, man wolle mit den Bürgern nichts zu tun haben. Der türkische Präsident Erdogan möchte ja gern den Eindruck vermitteln, wir hätten was gegen die Türkei oder gegen die Türken. Und deshalb würden wir uns von der Türkei entfernen. Die Wahrheit ist: Er entfernt die Türkei mit rasender Geschwindigkeit von allem, was Rechtsstaat und Demokratie und Meinungsfreiheit ausmacht, und damit ist de facto undenkbar, mit dieser Regierung über einen Beitritt zur EU zu reden.

Waren diese Verhandlungen denn überhaupt eine gute Idee?

Ich persönlich muss sagen, dass ich immer ein bisschen skeptisch war. Die Türkei ist ein Land, das sich sehr von uns unterscheidet. Ich habe eher dafür plädiert, zu überlegen, welche Formen von Partnerschaft man für Länder wie die Türkei, der Ukraine und jetzt künftig Großbritannien finden kann, die aber Ende keine Vollmitgliedschaft beinhaltet, sondern eine enge Partnerschaft. Unter den jetzigen Bedingungen, solange Deutsche da in Haft sind, können wir natürlich nicht mal über eine verbesserte Zollunion mit der Türkei verhandeln. Das gilt auch, solange Erdogan das Gefühl enttäuschter Liebe vieler Türkinnen und Türken gegenüber uns Deutschen und Europäern für seine nationalistische Überhöhung ausnutzt.

Erst vor einigen Tagen wurden wieder deutsche Staatsbürger verhaftet. Was können Sie, was kann die Bundesregierung tun, um in diesen Fällen zu helfen?

Ganz grundsätzlich würde ich sagen: Unsere Sorgen mit der Türkei enden nicht, wenn Erdogan die Deutschen freilässt und alle türkischen Betroffenen in Haft lässt. Erdogan macht viele Türken heimatlos, weil sie flüchten müssen. Wir tun in dieser Situation gut daran, uns zu erinnern, dass die Türkei vielen Deutschen während der Nazizeit Schutz gegeben hat. Als sie hier ausgebürgert wurden, hat die Türkei in deren Pässe übrigens nicht eingetragen „staatenlos“, sondern ganz sensibel das Wort „heimatlos“. Heimatloz - mit z am Ende hat Eingang in die türkische Sprache gefunden. Wir sollten nun den betroffenen Türken Heimat bieten. Das machen wir auch durch Stipendienprogramme und anderes mehr. Es wird eine Zeit nach Erdogan geben und man sollte nicht das Vertrauen verlieren, dass auch wieder bessere Zeiten kommen können. Aber solange er diese Art von Politik betreibt, können wir dem nicht noch zum Erfolg verhelfen, indem wir mehr Kredite und Wirtschaftshilfe geben. Das geht nicht.

Viele Länder, die noch vor wenigen Jahren enge Partner von Deutschland waren, kämpfen mit politischen Krisen. Wie sehen Sie unsere eigene Lage?

Wir müssen in Europa aufpassen, dass wir beieinander bleiben. Das betrifft nicht nur die Polen. Wir sind ja hier in einer Region, in der auch NPD und AfD kräftig unterwegs sind und anti-europäische Propaganda machen. Man muss wissen, dass die Zerstörung der Europäischen Union, so wie es sich AfD und NPD vorgenommen haben, uns Millionen Arbeitsplätze kosten würde. Wir produzieren mehr Autos, Maschinen, Windräder, als wir selber brauchen. 60 Prozent davon verkaufen wir in die Europäische Union und eben nicht nach China oder Amerika. Nur wenn es unseren europäischen Nachbarn gut geht, kaufen sie unsere Produkte. Die Europäische Union ist nicht nur eine Garantie für Frieden in Europa - das Gott sei Dank auch. Sie ist auch eine Garantie für uns Deutsche, dass wir in einem wirtschaftlich erfolgreichen Land leben. Wenn unsere Kinder und Enkel in der Welt noch eine Stimme haben wollen, dann müssen wir Deutschen das allergrößte Interesse daran haben, Europa zusammenzuhalten. Man muss gar nicht in die Türkei oder nach Amerika gucken. Wir haben vor der eigenen Haustür genug zu tun.

Wir bleiben trotzdem beim Ausland: Ihr Parteifreund Erwin Sellering hat sich als Ministerpräsident für den Dialog mit Russland stark gemacht und sich gegen die bestehenden Sanktionen gewandt. Seine Nachfolgerin Manuela Schwesig will diesen Weg fortsetzen. Ist das falsch?

Nein, das ist ausgesprochen richtig. Ich war selbst beim Russland-Tag in Mecklenburg-Vorpommern auf Einladung von Erwin Sellering. Gerade am Dienstag hat Wladimir Putin vorgeschlagen, in der Ostukraine mit einer UN-Mission einen Waffenstillstand durchzusetzen. Das schlage ich den Russen gegenüber seit Monaten vor und sie hatten das bisher sehr reserviert betrachtet. Wir sollten das nutzen für eine Neuauflage der Entspannungspolitik. Selbst in den schwierigsten Zeiten des Kalten Krieges hat Willy Brandt seine Entspannungspolitik zu Russland und Polen entwickelt. 1968, als der Warschauer Pakt in Prag einmarschiert ist. In dem Jahr hat kein Mensch gedacht, dass der Eiserne Vorhang fällt oder wir ein vereinigtes Deutschland bekommen. Ich glaube, was wir dringend brauchen, ist eine Neuauflage der Entspannungspolitik. Auch weil wir Russland in vielen anderen Fragen der Welt bis hin zu Nordkorea brauchen werden. Wir müssen in der Welt zusammenarbeiten: die USA, Russland, China, Europa.

Sie haben in Ihrer Bundestagsrede am Dienstag auch dafür geworben, die Rüstungsausgaben nicht zu erhöhen, sondern zu senken. Glauben Sie, das ist mit Blick auf das Sicherheitsempfinden vermittelbar, wenn in anderen Teilen der Welt aufgerüstet wird.

Naja, ich habe nicht gefordert, dass wir einseitig abrüsten. Sondern ich habe gesagt: Die ganze Welt diskutiert über Aufrüstung. Deutschland muss die Stimme sein - und Europa muss die Stimme werden -, die sich für Rüstungskontrolle und internationale Abrüstung einsetzen. Wir hatten schon mal eine nukleare Aufrüstungsdebatte in Ost und West in den 80er Jahren. Am Ende haben sich Michail Gorbatschow von Ronald Reagen in Reykjavik getroffen und haben ein Abkommen geschlossen, das bis heute gilt. Das Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen in Europa. Das hat für uns Deutsche eine große Sicherheit gebracht. Jetzt ist das Abkommen in großer Gefahr, weil die USA und Russland sich gegenseitig misstrauen.

Und dagegen hilft es, weniger Geld für die Rüstung auszugeben?

Ich kann nur dringend raten, alles dafür zu tun, dass die Instrumente der Rüstungskontrolle wieder belebt werden. Das sind Instrumente für schlechte Zeiten, wenn es kein Vertrauen gibt. Ich glaube einfach, dass es verrückt ist, was Herr Trump von uns fordert. Und ich bin wirklich entsetzt, dass Frau Merkel dem folgen will: Den deutschen Rüstungshaushalt zu verdoppeln auf 70 Milliarden Euro pro Jahr. Die Bundesrepublik hat nur 300 Milliarden im Haushalt. Mir wäre lieber, wir verdoppeln die Bildungsausgaben. Frankreich ist eine Nuklearmacht und gibt „nur“ 40 Milliarden aus. Insofern finde ich das völlig unnötig. Wir haben ungefähr die Hälfte der Verteidigungsausgaben der USA in Europa, aber nur mit 15 Prozent der Effizienz. Wie wäre es, wenn wir die Effizienz verdoppeln und nicht die Ausgaben? Deswegen ist die Politik der Bundeskanzlerin für mich nicht zu erklären.

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Interview: Christoph Schoenwiese.

www.nordkurier.de/

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