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„Wir dürfen uns nicht in eine Rüstungsspirale treiben lassen“

18.02.2017 - Interview

Interview mit Außenminister Sigmar Gabriel aus Anlass des Bonner G20-Außenministertreffens und der Münchner Sicherheitskonferenz. Erschienen in der Märkischen Allgemeinen (18.02.2017).

Interview mit Außenminister Sigmar Gabriel aus Anlass des Bonner G20-Außenministertreffens und der Münchner Sicherheitskonferenz. Erschienen in der Märkischen Allgemeinen (18.02.2017).

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Herr Gabriel, viele Menschen machen sich große Sorgen über den Zustand unserer Welt. Wie ist ihr Eindruck nach dem G-20-Außenministertreffen: Setzen sich überall in den Hauptstädten bald die Nationalisten durch - oder bekommen die weltoffenen Kräfte so etwas hin wie ein globales Netzwerk der Vernunft?

Der Ton ist international rauer geworden. Umso wichtiger sind Treffen wie das in Bonn, wo die wichtigen internationalen Akteure zusammenkommen und reden können. Aber immerhin: Ich habe in Bonn niemanden gesprochen, der sich nicht zu Offenheit und internationaler Zusammenarbeit bekannt hätte. Es ist viel zu früh für Entwarnung, aber doch ermutigend, und etwas, auf dass wir aufbauen können.

Ist Deutschland als mittlere Macht in Europa mit einem so großen Projekt nicht ein bisschen überfordert?

Deutschland allein wäre sicher überfordert. Wir müssen unsere Rolle immer als Teil europäischen Engagements verstehen. Ich fand die Forderung nach einer ‚aktiven‘ Rolle Deutschlands immer missverständlich. Ich würde es eine ‚aktivierende‘ Rolle nennen. Wir müssen Europa besser und stärker machen. Es ist das gemeinsame Gewicht Europas, das wir in die Waagschale werfen müssen, um weiter global mit unseren Interessen und Werten Gehör zu finden. Unsere Souveränität, unseren Einfluss und unsere Handlungsfähigkeit können wir langfristig nur durch Europa wahren. Deshalb ist die Stärkung Europas Dreh- und Angelpunkt unserer Außenpolitik.

Die Amerikaner verlangen mehr verteidigungspolitisches Engagement von Europa. Verstehen Sie das?

Die aktuelle Debatte macht mich sehr nachdenklich. Natürlich werden die USA nicht mehr die Hauptlast der Verteidigungsausgaben tragen. Das verstehen wir, und das akzeptieren wir. Denn die Wirtschaftskraft Europas ist genauso groß wie die der USA. Deshalb wird Europa mehr tun müssen und hat die Wende bereits vor der Wahl Donald Trumps eingeleitet.

Washington verlangt Ausgaben in Höhe von 2 Prozent des Volkseinkommens. Machen Sie das mit?

Es ist ein schwerer Rückschritt in der Debatte um Frieden und Sicherheit, wenn jetzt wieder der Eindruck vermittelt wird, als schaffe eine massive Steigerung der Rüstungsetats allein mehr Sicherheit. Wir wissen doch längst, dass die Überwindung von Krieg, Krisen und Konflikten ein weit stärkeres Engagement bei Prävention, Stabilisierung und Armutsbekämpfung braucht. Dabei nimmt Deutschland jetzt schon eine führende Rolle in der Welt ein und macht mehr als viele andere. Nicht zu vergessen, dass wir mehrere Dutzend Milliarden Euro für Flüchtlinge aufwänden, weil militärische Interventionen dem Nahen Osten eben keinen Frieden, sondern nur mehr Not und Elend, Flucht und Vertreibung gebracht haben. Wir dürfen uns deshalb jetzt nicht in eine blinde Aufrüstungsspirale treiben lassen. Wer jetzt mehr als 20 Milliarden Euro jährlich für die Bundeswehr ausgeben will, muss auch sagen, woher das Geld kommen soll. Das ist alles wenig durchdacht und wirklich unrealistisch. Etwas weniger Aufgeregtheit und ein breiterer Blickwinkel täten uns gut.

Rund um die Welt werden derzeit die Gefahren möglicher neuer Handelskriege wie Anfang der dreißiger Jahre beschrieben. Wie kann die Politik konkret gegensteuern und solche Ängste wieder vertreiben?

Kein Zweifel: Die Welthandelsordnung steht unter Druck, übrigens von rechts und von links zugleich. Dieser neue Protektionismus ist nicht nur eine Gefahr für unsere global handelnde und vernetzte deutsche Wirtschaft, sondern letztlich auch für Frieden und Sicherheit. Die Geschichte unseres Kontinents zeigt, wie schnell das gehen kann, wie sich gegenseitig aufschaukelnder Protektionismus zu Armut und Massenarbeitslosigkeit führt, und schließlich zu Konfrontation. Die Verfechter offener Grenzen und fairen Handels müssen zusammenrücken. Wir dürfen jetzt nicht müde werden, die Vorteile von Offenheit und Austausch zu erklären. Die Welt ist heute vernetzter und integrierter als jemals zuvor, die Wertschöpfungsketten sind international ausgerichtet. Mit ein paar Tweets kann man das nicht kaputt machen. Wir suchen das Gespräch, und wir können gute Argumente ins Feld führen. In Bonn gab es dafür sehr große Unterstützung.

Der neue US-Präsident Donald Trump will von Freihandel nichts wissen. Die EU dagegen hat ein neues Abkommen mit Kanada abgeschlossen, forciert nun auch die Gespräche mit Südamerika - und könnte jetzt theoretisch auch im Verhältnis zu Asien ein neues handelspolitisches Kapitel aufschlagen. Was halten Sie generell von einem EU-Asien-Abkommen?

Europa hat allen Grund, selbstbewusst zu sein. Unser Binnenmarkt ist der größte der Welt, wir sind gut aufgestellt und ein attraktiver Partner für alle Handelsräume der Welt. In Bonn waren es besonders die Länder Lateinamerikas und Asiens, die größtes Interesse signalisiert haben, mit ihnen noch enger zusammenzuarbeiten. Europa hat das schon erkannt, bevor Trump in den US-Wahlkampf einstieg. Das CETA mit Kanada kann in Kraft treten; es laufen Freihandelsverhandlungen mit Mercosur, Japan, Singapur, Vietnam und Indonesien und anderen. Da müssen wir, da werden wir dran bleiben, jetzt erst recht.

Wären Sie dafür, China gleich mit einzubeziehen?

Natürlich. China ist seit langen Jahren ein globaler Wachstumstreiber. Die deutsche Wirtschaft ist gut aufgestellt, mit mehr als 8000 deutschen Unternehmen im Reich der Mitte. Aber auch in China gibt es Tendenzen, Märkte abzuschotten und für ausländische Unternehmen andere Spielregeln aufzustellen als für einheimische. Es ist doch klar, dass die Politik das auch mit Peking aufnimmt, wo das nötig ist. Und auch da gilt, dass wir überhaupt nur gemeinsam stark genug sind, unsere berechtigten Anliegen auch durchzusetzen.

Interview: Matthias Koch.

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