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Wieder mehr EU wagen

08.07.2016 - Interview

Gemeinsamer Beitrag der Europa-Staatsminister bzw. -Staatssekretäre Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Maltas, Portugals, Schwedens und Tschechiens. Erschienen u.a. in der Frankfurter Rundschau (08.07.2016).

Gemeinsamer Beitrag der Europa-Staatsminister bzw. -Staatssekretäre Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Maltas, Portugals, Schwedens und Tschechiens. Erschienen u.a. in der Frankfurter Rundschau (08.07.2016).

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Die britischen Wählerinnen und Wähler haben entschieden: das Vereinigte Königreich soll aus der Europäischen Union austreten. Diese Entscheidung des Volkes respektieren wir, auch wenn wir sie bedauern. Wir erwarten, dass dieses Votum so bald wie möglich nach Artikel 50 des EU-Vertrags umgesetzt wird, um weitere Unsicherheiten zu vermeiden.

Populismus und EU-Skepsis haben derzeit Konjunktur. Deshalb sind wir uns als progressive und überzeugte Europäerinnen und Europäer unserer Verantwortung bewusst: Wir müssen jetzt zusammenstehen und zurückfinden zu einer Politik europäischer Geschlossenheit und Solidarität. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, sich zurück zu halten. Wir müssen beherzt und entschlossen mit einer klaren proeuropäischen Haltung voran gehen.

Auf welche Krise wir auch immer schauen: Kein Mitgliedstaat kann die Bewährungsproben unserer Zeit im Alleingang bewältigen. In einer immer stärker globalisierten Welt bietet uns die EU die Chance, Handlungsfähigkeit wiederzuerlangen. Nationalisten und Populisten suggerieren gerne, einzelne Staaten stünden ohne die EU viel besser da. Welch ein Trugschluss! Jeder Mitgliedstaat ist für sich nur ein Leichtgewicht auf der globalen Ebene. Nur wenn wir zusammenarbeiten, können wir gemeinsame Lösungen für globale Probleme wie Klimawandel, Migrationsfragen oder internationale Krisen finden.

Die EU muss in wichtigen Fragen noch stärker konkrete Ergebnisse liefern. Unsere politischen Prioritäten müssen auch mit ausreichend finanziellen Mitteln unterlegt sein. Als Regierungspolitiker übernehmen wir eine besondere Verantwortung. Wir beteiligen uns an gemeinsamen Entscheidungen und arbeiten transparent. Die Institutionen der EU sind dieser Aufgabe gewachsen. Der Europäische Rat, vor- und nachbereitet durch den Rat für Allgemeine Angelegenheiten, gibt die Leitlinien vor, während die Minister im Rat, die Mitglieder des Europäischen Parlaments und die EU-Kommissare die EU-Politik beschließen und durchführen. Diese Verfahren müssen wir umsetzen, um dem Vorurteil intransparenter und bürgerferner Entscheidungen entgegenzuwirken.

Erstens hat es Europa mit einer Vielzahl von Krisen zu tun. Mehrere furchtbare Terroranschläge haben uns bis ins Mark getroffen. Europa muss in seine eigene Sicherheit investieren sowie Stabilität, Frieden und Entwicklung in seiner Nachbarschaft stärken.

Wir müssen daher unsere gemeinsamen Außengrenzen besser schützen und unsere instabile Nachbarschaft in einen neuen Ring der Freundschaft und Zusammenarbeit verwandeln.

Die von der Hohen Vertreterin Federica Mogherini vorgestellte Globale Strategie eröffnet die Chance, die außen- und sicherheitspolitische Dimension der EU zu stärken.

Unser Ansatz zur Lösung der Flüchtlings- und Migrationsfrage umfasst internationales Engagement, gemeinsamen Grenzschutz und eine europäische Asylpolitik mit einer gerechten Verteilung der Lasten auf der Grundlage gemeinsamer Werte. Wir müssen global stärker Verantwortung übernehmen und gleichzeitig die Freizügigkeit in Europa bewahren. Der Schengenraum ist zu stärken.

Zweitens ist die Wirtschafts- und Finanzkrise noch nicht überwunden. Die Arbeitslosenzahlen sind viel zu hoch, vor allem bei der jüngeren Generation. Europa muss für die Verheißung von Wohlstand und Erfolg wieder ein Wohlstandsversprechen für die Menschen sein! Wir brauchen nachhaltiges Wirtschaftswachstum und einen neuen sozialen Konsens für Europa, um wirtschaftliche und soziale Konvergenz zu erreichen. Wir müssen mehr in Forschung und Ausbildung investieren, damit jeder Mensch eine faire berufliche Chance hat und wir unsere Möglichkeiten nicht ungenutzt lassen. Wir wollen die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden, um die Eurozone krisenfest zu machen, Wachstum und Beschäftigung zu steigern sowie wirtschaftliche und soziale Gegensätze abzubauen. Nur so können wir das Vertrauen in die EU als gemeinsamen Raum des Wohlstands und der sozialen Stabilität wiederherstellen.

Drittens wird die EU nicht überleben, wenn die junge Generation den Glauben an Europa verliert. Sie sind die Bürger, Politiker und Unternehmer von morgen. Wenn wir also unsere europäischen Werte in die Zukunft tragen wollen, müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln, um Ausbildung, Unternehmergeist, Mobilität und Bürgersinn der jungen Generation zu fördern. Das Erasmus-Programm zeigt, wofür Europa steht – es ist unsere schönste Erfolgsgeschichte. Wir müssen es stärken und für noch mehr junge Menschen öffnen.

Die EU ist weit mehr als nur ein Binnenmarkt, sie ist eine einzigartige Wertegemeinschaft. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Toleranz, Gleichberechtigung, Engagement und Solidarität sind unverzichtbar, wenn das europäische Modell wieder funktionieren soll. Sie sind fester Bestandteil unserer Identität. Indem wir diese Werte stärken und sie vorleben, bleiben wir nicht nur glaubhaft in anderen Teilen der Welt, sondern wir setzen auch ein entschlossenes Zeichen für Solidarität, Einheit und Zusammenhalt. Das ist heute nötiger denn je.

  • Harlem Désir, französischer Staatssekretär für europäische Angelegenheiten
  • Sandro Gozi, italienischer Staatssekretär für europäische Angelegenheiten
  • Louis Grech, maltesischer Europaminister und stellevertretender Premierminister
  • Ann Linde, schwedische EU- und Handelsministerin
  • Margarida Marques, portugiesische Staatssekretärin für europäische Angelegenheiten
  • Tomas Prouza, tschechischer Staatssekretär für europäische Angelegenheiten
  • Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt

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