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Rede Außenminister Frank-Walter Steinmeier 1. Lesung ESVP-Mission „Atalanta“, Deutscher Bundestag, 17.12.2008

17.12.2008 - Rede

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

So wenig wie Sie, hätte ich gedacht, dass wir hier, im Deutschen Bundestag, einmal eine sehr ernsthafte Debatte über Piraten führen. Das, worüber wir heute zu diskutieren haben, ist, wie Sie wissen, keine Geschichte aus einem Abenteuerroman.

Die Piraten überfallen Schiffe am Horn von Afrika; allein in diesem Jahr sind es bereits über 200 Schiffe. Die Piraten sind gewalttätig und rücksichtslos. Sie zielen mit Panzerfäusten auf Tanker, Frachter und Kreuzfahrtschiffe. Zurzeit haben sie 17 Schiffe und rund 200 Menschen in ihrer Gewalt. Mit diesen kriminellen Umtrieben werden die letzten Reste von Ordnung bedroht, auf die die Menschen in Somalia angewiesen sind. Ich finde, wir dürfen das nicht einfach geschehen lassen. Das sagt die Weltgemeinschaft, und das müssen auch wir mit Überzeugung sagen.

Die Europäische Union, auch Deutschland, hat sich entschlossen, zu handeln. Die Operation „Atalanta“ soll den Transport humanitärer Hilfsleistungen nach Somalia schützen und den zivilen Schiffsverkehr in der Region sichern. Somalia gehört ‑ das wissen Sie ‑ zu den größten humanitären Krisengebieten der Welt. Fast 1 Million Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Insgesamt sind mehr als 3 Millionen Menschen auf Hilfe von außen angewiesen, und das umso stärker, je weiter sich die Seeräuberei in der Region ausbreitet. Wir haben in den letzten Monaten erfahren müssen, dass die Versorgung vor allen Dingen deshalb schwierig wird, weil die humanitären Hilfen, die über das World Food Programme geliefert werden, zu 90 Prozent auf dem Seeweg kommen. Gerade diese Schiffe werden angegriffen. Reeder weigern sich mittlerweile, Schiffe an dieses Welternährungsprogramm zu verchartern, wenn ein militärischer Schutz dieser Schiffe beim Anlaufen der Häfen nicht gesichert ist.

Meine Damen und Herren, „Atalanta“ soll auch die Sicherheit der zivilen Schifffahrt in der Region verbessern. Daran haben auch wir Deutsche ein Interesse. Durch den Golf von Aden verläuft nämlich ‑ Sie wissen das ‑ der Hauptstrang der Handelsströme zwischen Europa und Asien: 20 000 Schiffe jährlich mit dieser Destination. Viele davon gehören deutschen Reedereien oder transportieren Fracht aus oder für Deutschland.

Die Mission, über die wir heute zu reden haben, ist für die Bundeswehr kein Ausflug in warme Gefilde. Wir schlagen deshalb aus guten Gründen ein robustes Mandat vor. Die Deutsche Marine und alle anderen an der Operation beteiligten Kräfte dürfen alle Maßnahmen ergreifen, um Piraten abzuschrecken, um Überfälle zu verhindern oder zu beenden. Das schließt ausdrücklich die Anwendung von Gewalt ein. Unsere Marine darf Piraten oder Verdächtige aufgreifen, darf sie festhalten und darf sie überstellen. Sie darf Schiffe und Waffen von Piraten beschlagnahmen. All das ist im Rahmen des europäischen Mandats erlaubt.

Eines will ich zur Resolution des Sicherheitsrates von heute Nacht, mit der eine nochmalige Erweiterung des Einsatzes stattgefunden hat, heute klar zu Protokoll geben: Das ändert am Auftrag und am Umfang der ESVP-Operation und damit auch an dem Mandat des Deutschen Bundestages nichts. Ich will sagen: Die Bundeswehr wird über ein solides Mandat verfügen, das, wie ich finde, ihr die notwendigen Spielräume für den Einsatz gegen Piraten vor Somalia ermöglicht.

Jeder weiß, dass die Ursachen von Piraterie in der Tat nicht auf See zu bekämpfen sind. Dazu braucht man funktionierende staatliche Strukturen an Land; gerade die gibt es in Somalia nicht. Dort herrschen das Recht des Stärkeren und die Sprache der Gewalt. Die Lösegelder aus der Seeräuberei haben die Lage sogar noch weiter zugespitzt. Kriminelle Gruppen sind dort heute oft besser ausgerüstet als die Vertreter des Staates. Der Weltsicherheitsrat hat darum damals aufgrund der Bitte der Regierung Somalias alle Staaten aufgefordert, diesem Land nicht nur bei der Pirateriebekämpfung, sondern auch bei der Wiederherstellung staatlicher Strukturen zu helfen. Die EU-Mission leistet dazu mittelbar einen wichtigen Beitrag. Ohne die Entführung von Schiffen werden nämlich keine Lösegelder gezahlt, die die kriminellen Strukturen weiter stärken und damit den somalischen Staat noch weiter untergraben.

Deshalb müssen wir uns gleichzeitig mit der internationalen Gemeinschaft um die langfristige Stabilisierung Somalias kümmern. Gerade und auch weil das schwierig und gefährlich ist, werden wir weiter humanitäre Hilfe leisten und leisten müssen. Ich darf Ihnen versichern: Wir unterstützen jede Anstrengung, die zu einer politischen Verständigung in Somalia führt. Das muss in erster Linie von den Somalis selbst gewollt und vollbracht werden. Aber ich sage Ihnen auch: Seit Übernahme der Verantwortung durch den neuen Chefvermittler der Vereinten Nationen Ould-Abdallah bin ich etwas zuversichtlicher und habe den Eindruck, dass die Gesprächsfäden, die in der Vergangenheit zwischen den Stämmen und Entitäten in Somalia nicht geknüpft werden konnten, vielleicht in Zukunft doch eher zustande kommen.

Wir wollen das unterstützen. Wir unterstützen das in der internationalen Kontaktgruppe zu Somalia, in der wir uns immer wieder bemühen, zur innerstaatlichen Versöhnung beizutragen, weil wir wissen: Nur dann, wenn staatliche Strukturen in Somalia wiederhergestellt werden, wird es gelingen, Seeräuberei wirklich zu beenden. Ich glaube, unsere Aufgabe ist riesig. Es geht um das Ende des Bürgerkrieges, um Aussöhnung und um den Aufbau von staatlichen Institutionen in Polizei und Justiz.

Deshalb ist uns klar und muss uns klar sein: Das wird ein langer Weg in einem Land, in dem die Mächtigen die Verantwortung für ihr Gemeinwesen in sehr unterschiedlicher Art und Weise empfinden. Aber wir wissen auch, dass wir Regionen wie Somalia nicht einfach ihrem Schicksal überlassen dürfen. Sonst würden sich dort noch leichter Brutstätten von organisierter Kriminalität und Terrorismus entwickeln. Das berührt in einer Welt, die immer enger zusammenrückt, nun einmal uns alle.

Ich komme zum Schluss. Aus diesen Gründen bittet die Bundesregierung den Bundestag, dem Einsatz der Bundeswehr bei der EU-geführten Operation „Atalanta“ zuzustimmen. Deutschland und die Europäische Union setzen damit ein wichtiges Zeichen: für die Menschen in Somalia, für die Sicherheit in der Region und für eine internationale Solidarität.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

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