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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Eröffnung des east forum Berlin, Deutsches Historisches Museum

09.04.2014 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort!--

Sehr geehrter Herr Premierminister Leancă,
sehr geehrter Herr Premierminister Thaçi,
sehr geehrter Regierender Bürgermeister, sehr geehrte Minister und Botschafter,
sehr geehrte Vertreter von UniCredit und vom Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft,
verehrte Gäste,
liebe Kollegen Minister aus vielen osteuropäischen Staaten.

Ich denke, wir sind uns hier in Berlin sehr bewusst, dass das keine Selbstverständlichkeit ist und wir sind nicht stolz, aber wir sind dankbar, dass Sie trotz der harten Zeiten, in denen wir uns gegenwärtig politisch befinden, heute hier sind. Ihnen allen ein besonderes herzliches Willkommen.

Ich danke den Veranstaltern für die Einladung in kritischer Zeit. Ich habe die Einladung zu dieser Rede, meine sehr verehrten Damen und Herren, gerne angenommen.

Genauso gerne würde ich mich heute Abend ausführlich mit dem Leitmotiv des east forum beschäftigen, nämlich der Vision eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok. Und gerne würde ich mich mit Ihnen über die Perspektiven des wirtschaftlichen Austauschs unterhalten und über Wachstumspotenziale für Volkswirtschaften, für die Unternehmen in den unseren Ländern, die heute Abend hier vertreten sind. Gerne würde ich das tun und die meisten hier im Saal vermutlich erst recht, aber aus den Begrüßungen eben haben Sie schon entnommen: So einfach liegen die Dinge zurzeit leider nicht.

Es gibt diejenigen, die uns nahelegen, man müsse abseits der politischen Krise möglichst schnell zur Tagesordnung zurückkehren. Wirtschaft und Handel betreiben und alles andere richtet sich dann schon. Aber diejenigen, die so denken, die werde ich an diesem heutigen Abend enttäuschen müssen. Wir sollten nicht dem Missverständnis unterliegen, als könne abseits der Politik eine wirtschaftliche Welt existieren, die es nichts angeht, wenn wichtige Grundvoraussetzungen für das friedliche Zusammenleben in Europa infrage stehen.

Heute, 25 Jahre nach Ende der Blockkonfrontation, nach dem Fall der Mauer und nach der Wiedervereinigung - nach 25 Jahren, in denen uns so viele Möglichkeiten offen gestanden haben, der politischen Zusammenarbeit und der wirtschaftlichen Öffnung, stehen wir heute vor der Gefahr einer neuen Spaltung Europas.

Ich habe letzte Woche eine Atempause gespürt, habe mich gefreut, dass wir sie erreicht haben, in geduldigen Verhandlungen, im Dialog mit allen Beteiligten. Leider hat man heute den Eindruck, dass diese Atempause schon wieder zu Ende gehen könnte. Die Nachrichten jedenfalls aus der Ostukraine zeigen, dass die Situation wieder bedrohlich zu kippen beginnt. Auch aufgrund der nach wie vor beunruhigend hohen Konzentration russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine. Aber vor allen Dingen weil es tägliche Besetzungen öffentlicher Gebäude gibt. Wenn wir solche Konfliktlagen in Donezk, in Luganzk und in anderen großen Städten in der Ukraine haben, dann ist das Risiko alltäglich, dass sich aus solchen Konflikten offene Gewalt ergibt.

Deshalb werden wir nicht zur Tagesordnung übergehen können und deshalb sage ich in Abweichung von dem, was Herr Cordes eben vorgeschlagen hat: Ich muss leider auch diejenigen enttäuschen, die sagen, die Verantwortung für die aktuelle Lage ist auf allen Schultern gleichmäßig verteilt.

Ganz so ist es nicht. Ich gehöre zu denen, die bereit sind, kritisch über die eigene Politik in Deutschland und in Europa zu diskutieren. Ich unterstelle, dass wir auf beiden Seiten – in der EU und in Russland– nicht jeden Tag immer alles richtig gemacht haben. Aber das ändert nichts an dem klaren Befund, dass der Versuch, jetzt, 7 Jahrzehnte nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, Grenzen zu korrigieren, schlicht und einfach völkerrechtswidrig ist. Und er ist in seinen politischen Konsequenzen, übrigens auch für einen Vielvölkerstaat wie Russland, überhaupt noch nicht zu übersehen. Mit der Abspaltung der Krim hat Russland die Souveränität und die territoriale Unversehrtheit der Ukraine verletzt.

Und die Abtrennung der Krim ist ein Verstoß gegen die ukrainischen Verfassungen, ob man die unter Janukowitsch nimmt oder die jetzt wieder in Kraft gesetzte Verfassung von 2004.

Daran ändert auch ein Referendum nichts, für das es keine Rechtsgrundlage gab und das in 14 Tagen durchgepeitscht worden ist.

Das russische Vorgehen auf der Krim war inakzeptabel. Wir in Europa haben darauf angemessen und gemeinsam reagiert. Nicht mit der völligen Absage der Dialogformate, aber durchaus auch mit Blick auf die Unterbrechungen von Arbeitsbeziehungen in einzelnen Bereichen und mit einer zweiten Stufe von begrenzten Reisebeschränkungen und Einfrieren von Vermögensassets. Wir haben die Beziehungen nicht gekappt.

Eine Politik, welche die Ukraine am Ende teilen wird oder weiter spaltet, eine Politik, die sich weitere Landesteile der Ukraine einverleibt oder unregierbar macht, können und werden wir nicht einfach hinnehmen.

Sollte das die Entwicklung der nächsten Wochen und Monate sein, dann müssen wir über weitergehende Maßnahmen nachdenken. Das ist weiß Gott nicht mein Ziel und nicht das Ziel der Bundesregierung. Aber wir würden es mittragen, selbst wenn wir dadurch wirtschaftliche Nachteile erleiden müssten.

Wenn wir nämlich tolerieren würden, dass in Europa das Recht des Stärkeren und nicht die Stärke des Rechts herrscht, dann wäre der Schaden auf längere Sicht um ein vielfaches größer.

Auch die Wirtschaft braucht Rechtssicherheit und ein Mindestmaß an Vertrauen. Unternehmen - hier wie in Russland - können sich nur fortentwickeln, wenn fundamentale Regeln eingehalten werden, die Stabilität und Frieden auf unserem Kontinent garantieren.

Das ist übrigens keine Drohung, sondern das ist schlicht und einfach das Funktionsprinzip, in dem Staaten miteinander umgehen, die sich gemeinsam der Charta der Vereinten Nationen verpflichten haben.

Wir haben uns mit diesem Zustand nicht abgefunden. Sondern ich habe es immer als meine Verpflichtung angesehen, uns der drohenden Logik der Eskalation zu entziehen und mit unseren Möglichkeiten Deeskalation versucht.

Wir haben tags und nächtens gerungen um die Einrichtung einer Beobachtermission der OSZE, die eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass wir überhaupt weiterkommen. Denn wenn Sie nur auf Agenturberichte, auf Gerüchte, auf möglicherweise gezielt weitergegebene Fehlinformation hin Politik machen müssen, dann tragen Sie das Risiko, dass die Krise durch Politik eher noch vergrößert wird. Deshalb war die Beobachtermission so wichtig, damit wir uns endlich auf gemeinsame Fakten stützen können, wenn wir miteinander reden. Ich bin froh darüber, dass wir die Beobachtermission, die so lange am seidenen Faden hing, am Ende durchsetzen konnten.

Die Einrichtung dieser Beobachtermission, wohlgemerkt mit Zustimmung der Ukraine und mit Zustimmung Russlands, war der erste Schritt in die richtige Richtung.

Jetzt kommt es darauf an, dass die Beobachtermission, die mit 100 Beobachtern in der vergangenen Woche gestartet ist, ihre Größenordnung von bis zu 500 tatsächlich erreicht, dass sie überall in der Ukraine Zugang hat.

Das muss begleitet werden von der Ausdünnung der russischen Truppenpräsenz an der ukrainischen Grenze – so wie Präsident Putin und Außenminister Lawrow in der vergangen Woche angekündigt haben.

All das muss stattfinden in den nächsten Tagen und Wochen.

Aber wir sind immer noch bei der Faktensammlung. Doch wenn wir die Spaltung Europas wirklich verhindern wollen, dann muss der Ehrgeiz größer sein. Deshalb arbeiten wir seit Wochen darauf hin, Russland und die Ukraine in ein direktes Gespräch miteinander zu bringen. Das ist der Gedanke hinter internationalen Kontaktgruppe.

Mir kommt es nicht darauf an, wie groß sie ist. Mir kommt es nicht mal darauf an, ob Deutschland Mitglied in dieser Kontaktgruppe ist. Mir kommt es darauf an, dass Russland und die Ukraine in ein von Dritten begleitetes Gespräch miteinander kommen. Denn am Ende kann die Deeskalation nicht über die Köpfe der Beteiligten hinweg passieren. Sondern es wird nur gehen, wenn die Ukraine und Russland miteinander in Transparenz und hoffentlich irgendwann auch mit einem Mindestmaß von Vertrauen wieder miteinander reden können.

Diese internationale Kontaktgruppe steht noch nicht. Agenturmeldungen sind da optimistischer als ich es in den letzten Tagen war. Aber ich hatte gestern die Möglichkeit, mit dem Kollegen Lawrow zu sprechen, am selben Tag mit dem ukrainischen Premierminister Jazenjuk und soeben mit dem amerikanischen Kollegen Kerry.

Mein Eindruck ist, dass mit den Ereignissen der letzten Tage allen Beteiligten die Risiken der weiteren Eskalation im Osten der Ukraine sehr klar sind. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Es kommt jetzt darauf an, dass man sich an den Tisch setzt und das Gespräch beginnt. Wir sind noch nicht da, aber nach den letzten Gesprächen bin ich ein wenig hoffnungsvoller, dass wir auf dem richtigen Weg sind und dass in der nächsten Woche ein erstes Treffen dieser internationale Kontaktgruppe stattfindet. Die Ukraine und Russland müssen natürlich dabei sein. Und es wäre gut, wenn die EU und die USA diesen Prozess begleiten würden.

Während wir um die internationale Kontaktgruppe ringen, dürfen wir nicht nachlassen, jetzt das zu tun, was in der Ukraine dringend erforderlich ist. Die Ukraine steht am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Deshalb müssen wir jetzt erste Maßnahmen ergreifen, um das wirtschaftliche Überleben dieses Landes zu sichern. Der IWF hat schon vor mehr als 4 Wochen seine grundsätzliche Bereitschaft zu finanzieller Unterstützung mitgeteilt. Inzwischen hat auch ukrainische Regierung mit einigem Mut Maßnahmen ergriffen, die auf echte Reformen hinauslaufen und die das Exekutivdirektorium des IWF möglicherweise in der nächsten, spätestens in der übernächsten Woche in Kraft setzen wird.

Es gibt viel Hilfsbereitschaft in den europäischen Nachbarländern. Meine Kollegen aus Polen und Frankreich und ich haben daher eine internationale Konferenz vorgeschlagen, mit drei Zielen: ein Signal der Unterstützung zu senden, die Diskussion über notwendige Reformen in der Ukraine zu beginnen und eine internationale Arbeitsteilung zu verabreden, wer zu welchen Maßnahmen und Unterstützungen zur Verfügung steht.

Die Stabilisierung der Ukraine ist eine Aufgabe übermenschlichen Ausmaßes. Sie alle ahnen, was in verschiedenen Regierungen da an Misswirtschaft und Korruption aufeinander gehäuft ist. Jeder allein wäre überfordert mit dieser Aufgabe. Diese Aufgabe wäre leichter, wenn Russland sich an ihr beteiligen würde.

Auch Russland kann kein Interesse daran haben, dass ein großes Nachbarland wie die Ukraine wirtschaftlich und politisch kollabiert. Russland hat ein Interesse daran, dass dieses Land wirtschaftlich und politisch lebensfähig ist. Ich hoffe, dass Russland beitragen wird zur Stabilisierung – zum Beispiel mit Blick auf die Bedeutung des russischen Markts für ukrainische Unternehmen oder mit Blick auf die Bedeutung der Energiepreise für die Stabilität der ukrainischen Wirtschaft.

Die Unterstützung der Ukraine -das muss uns im Westen klar sein- wird wirtschaftliche Kosten für uns alle bedeuten. Deshalb brauchen wir für unsere Hilfeleistung politische Legitimation. Die Gegenleistung für Hilfe muss eine ukrainische Regierung zeigen, die ihrer Verantwortung gerecht wird. Das bedeutet zuallererst einen entschiedenen Kampf gegen die Korruption. Mein Plädoyer ist: Achtet nicht nur auf die Gesetzgebung. Ein Gesetz ist schnell geschrieben und schnell verabschiedet. Doch neben dem Gesetz ist eine unabhängige Behörde genauso wichtig, die die Möglichkeit hat, Verletzungen des Gesetzes unnachsichtig zu verfolgen.

Die ukrainische muss die Prinzipien der Vereinbarung vom 20. und 21. Februar respektieren.

Diese Vereinbarung hat das Blutvergießen in Kiew und anderen großen Städte beendet. Sie ist am Ende nicht weiter umgesetzt worden, weil Präsident Janukowitsch das Land verlassen hat. Aber die Prinzipien bleiben unverändert gültig. Eine Regierung in Kiew muss eine Politik für alle Landesteile machen. Sie muss ernsthaft an einer neuen Verfassung arbeiten unter Einbeziehung aller Landesteile. Zur Wiederherstellung des Vertrauens in der ukrainischen Gesellschaft muss eine transparente, glaubwürdige Aufarbeitung der Verbrechen auf dem Maidan stattfinden. Und es muss eine klare Distanz von extremistischen Gruppierungen geben, einschließlich der Entwaffnung sogenannter illegaler Gruppen. Es kann nicht sein, dass nach der Einsetzung einer neuen Regierung, gewählt durch das Parlament, das Gewaltmonopol des Staates weiterhin in Frage gestellt wird.

***

Die Ukraine ist nur eines der Länder der Östlichen Partnerschaft Europas.

Auch Georgien und Moldau haben Gespräche geführt über Assoziierungsabkommen.

Wenn ich über östliche Partnerschaft spreche, dann geht es mir nicht um eine „Entweder-oder“-Logik. Wir wissen, dass die Ukraine, Moldau, Georgien durch eine vielschichte Geschichte mit Russland und mit dem Westen verbunden sind. Deshalb ist die Entscheidung zwischen Ost und West, gegen das eine und für das andere, nur schwer mit der Geschichte und den Traditionen dieser Länder in Vereinbarung zu bringen.

Wenn Georgien und Moldau aufgrund solcher Assoziationsabkommen über mehr Reisefreiheit und bessere Handelsmöglichkeiten verhandeln, dann soll das keine Abkehr von Russland bedeuten. Im Gegenteil. Wir sollten gemeinsam mit Russland und der EU und den osteuropäischen Partnerländern ganz offen darüber sprechen, wie wir weiter kommen. Dass Handelsabkommen uns nicht blockieren, sondern wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten zwischen Ost und West erweitern. Eines ist klar: Solche Prozesse dürfen nicht durch militärische Drohgebärden begleitet werden. Das haben wir beim Frühjahrstreffen der NATO-Außenminister in Brüssel deutlich unterstrichen. Wir bekennen uns zur Solidarität im Bündnis. Und wir können uns vorstellen, die Zusammenarbeit mit der Ukraine zu verstärken. Aber es kommt in solchen Situationen auch darauf an, einen kühlen Kopf zu behalten. Auch von unserer Seite dürfen wir eine Eskalation – zumal eine militärische - nicht zulassen.

Der kalte Krieg ist vorbei. Die Logik des 21. Jahrhunderts ist Kooperation statt Konfrontation. Auf diesen Weg müssen wir zurückzufinden, denn nur auf diesem Weg kommen wir weiter und nur auf diesem Weg kann verlorengegangenes Vertrauen wieder hergestellt werden.

Ich bin mir sicher, dass Russland in den Abstimmungen im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung der VN festgestellt hat, dass die Unterstützung weltweit für das Vorgehen auf der Krim ausgeblieben ist. Auch alte Freunde sind skeptisch geworden. Der Preis für das Vorgehen auf der Krim hoch.

Doch auch wir haben kein Interesse an einer Isolation Russlands - selbst wenn es eine Selbstisolation ist. Eine solche Entwicklung würde die Gefahren eher verschlimmern. Deshalb werden wir uns beharrlich weiter um politische Lösungen bemühen. Ich hoffe, dass wir auch Russland überzeugen können, Zeichen zu setzen, dafür, dass die Entwicklung nicht wie in der beschriebenen Art und Weise weitergehen kann.

Die Sicherheit Russlands, seine gesellschaftliche Entwicklung und sein wirtschaftliches Wachstum sind am Ende angewiesen auf die Kooperation mit Europa.

Auch wenn das heute Abend leider nicht der Moment ist, an dem aus Visionen Realität wird: Ein gemeinsamer Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok bleibt das richtige Ziel. Das Ziel ist in den letzten Wochen in weitere Ferne gerückt, als uns allen lieb ist. Aber ich überzeugt davon, dass auch in Russland viele diesen Weg weiterhin für den richtigen halten. Deshalb haben wir die Gesprächsfäden nicht abreißen lassen. Deshalb brauchen wir Brückenbauer hier und in der gesamten osteuropäischen Nachbarschaft. Wir brauchen Brückenbauer in Ost und West, die helfen, dass wir gerade in diesen politisch schwierigen Zeiten zueinander kommen. Ich bin jederzeit bereit, mit Ihnen an diesem Brückenbau zu arbeiten - immer wieder. Lieber Herr Cordes, wenn wir Albert Camus glauben dürfen, dann war Sisyphos ein glücklicher Mensch – erst recht, wenn er Hilfe hatte, und diese Hilfe spüre ich in diesem Saal.

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