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Deutschland und Polen: „Wir haben ein unglaublich starkes Wurzelwerk menschlicher Bande“

08.03.2017 - Interview

Außenminister Sigmar Gabriel im Interview mit der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza (08.03.17) aus Anlass seines heutigen Besuchs in Warschau

Außenminister Sigmar Gabriel im Interview mit der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza (08.03.17) aus Anlass seines heutigen Besuchs in Warschau

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Bislang sind deutsche Außenminister unmittelbar nach Amtsantritt nach Polen gereist. Sie haben vor Ihrem Warschau-Besuch Tallinn besucht. Weshalb? Hat Polen aufgehört, für Deutschland wichtig zu sein?

Ganz gewiss nicht. Dass ich jetzt alle drei baltischen Staaten besucht habe, hat auch etwas damit zu tun, dass die größeren europäischen Mitgliedsstaaten, und besonders Polen und Deutschland, den kleineren zeigen müssen, dass sie wichtig sind. Ansonsten ist es wichtig, erst nach Warschau zu kommen, bevor ich Russland besuche. Ich kann im Übrigen gar nicht aufzählen, wie häufig ich in Polen gewesen bin. Begonnen hat das bei mir in den 80er Jahren, als in Polen noch Kriegsrecht herrschte und wir den Kontakt zur Solidarnosc suchten und uns regelmäßig in Warschau im Club der katholischen Intelligenz trafen. Und im letzten Jahr habe ich Polen als deutscher Wirtschaftsminister mehrfach besucht. Für mich ist Polen nicht nur ein enger Nachbar, sondern einer der bedeutendsten Partner in Europa. Aber was noch viel wichtiger ist: Wir haben ein unglaublich starkes Wurzelwerk menschlicher Bande, das uns fest zusammenhält und verankert – ganz egal, welcher Sturm gerade durch die Baumkrone pfeift.

So gut und so eng wie heute waren die deutsch-polnischen Beziehungen noch nie. Ich bin stolz darauf, was wir in der Zeit nach dem Fall der Mauer alles erreicht und auf die Beine gestellt haben. Das Jubiläumsjahr zu 25 Jahren Nachbarschaftsvertrag hat das auf beeindruckende Weise gezeigt: mehr als 200 politische Termine, Tausende Veranstaltungen, die von den Bürgerinnen und Bürgern unserer beider Länder auf die Beine gestellt wurden. Das hat mich sehr berührt und auch sicher gemacht: Die Menschen in Polen und Deutschland brauchen keine Symbolpolitik, um den Wert unserer Beziehungen hoch zu halten.

Wir arbeiten Hand in Hand gemeinsam daran, uns noch enger zusammen zu bringen. Ziel meiner ersten Reise nach Warschau als Außenminister ist es, bei meinem Besuch an dieses Vertrauen anzuknüpfen. Das ist auch mit Blick auf den Zusammenhalt in der Europäischen Union wichtig: Wir müssen jetzt alle Kräfte bündeln, um uns für die nächsten 10 Jahre fit zu machen. Bei der Neuvermessung der Welt, die wir zurzeit erleben, braucht Europa all seine Kraft.

Die polnische Regierung hat das Verfassungstribunal entmündigt, die öffentlich-rechtlichen Medien übernommen, bereitet eine Änderung des Kommunalwahlrechts vor, greift den Obersten Gerichtshof an. Die EU hat einen Rechtsstaatsdialog eingeleitet, aber begrenzt diesen auf einen Austausch von Schreiben mit Warschau. Warum reagieren Sie nicht, wenn europäische Grundwerte gebrochen werden?

Ich gebe zu, dass uns manche Entwicklung Sorgen macht. Denn Europa ist ja keine rein wirtschaftliche Vereinigung, sondern eine Gemeinschaft, in der die gleichen Rechte, Werte und demokratischen Grundlagen herrschen sollen. Allerdings finde ich, dass der Rechtsstaatsdialog in Brüssel gut aufgehoben ist. Es geht ja um Fragen europäischer Werte, und nicht um die Beziehungen zwischen Warschau und Berlin. Wir wünschen uns einen offenen, ehrlichen und konstruktiven Dialog zwischen der polnischen Regierung und der Kommission. Im übrigen sehen wir ja auch die engagierte Debatte in der polnischen Politik und in der Gesellschaft. Auf so eine lebendige Zivilgesellschaft können die Polen mit Recht stolz sein.

Ihr Vorgänger Steinmeier hat vor einem Jahr gesagt, er möchte nicht einmal an die Möglichkeit einer Belegung Polens mit Sanktionen für den Bruch der Rechtsstaatlichkeit denken. Erwägen Sie derartige Möglichkeiten?

Mir liegt bei meinem ersten Besuch daran zu zeigen, wie wichtig Polen uns ist, und dass wir einander vertrauen können. Ich weiß um die dunklen Kapitel der Geschichte unserer Länder, die deutsche Schuld und um die Zeit, die es braucht, bis die großen Wunden verheilen, ohne jemals vergessen zu sein. Ich bin gerade angesichts unserer gemeinsamen Geschichte dankbar dafür, dass wir heute so eng und freundschaftlich miteinander verbunden wie vielleicht niemals zuvor.

Ich möchte mit meinem Amtskollegen Witold Waszczykowski gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Dass dazu auch gehört, einander zuzuhören und ehrliche Worte auszutauschen, wo unsere Positionen auseinanderliegen, das gehört zu einer guten Freundschaft dazu.

Bevor Sie Außenminister wurden haben Sie sich für eine Aufhebung der Russland-Sanktionen ausgesprochen, die im Zuge der Krim-Annexion und des Kriegs in der Ostukraine verhängt wurden. Haben Sie im neuen Amt Ihre Ansicht geändert?

Unsere Haltung war und ist: Wenn es unter aktiver Beteiligung Moskaus wirklich gute, spürbare Fortschritte bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen gibt, dann sollten wir auch über eine schrittweise Lockerung derjenigen Sanktionen nachdenken, die im Zusammenhang mit dem russischen Handeln in der Ostukraine verhängt wurden. Leider ist die Lage unverändert schwierig. Von einer substanziellen Umsetzung kann leider keine Rede sein.

Die Krim-Sanktionen haben damit nichts zu tun – sie sind wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland erlassen worden. Ich kenne niemanden, der eine Aufhebung der Krim-bezogenen Sanktionen gegen Russland fordern oder auch nur erwägen würde.

Der Westen rügt Russland für den Verstoß gegen das Völkerrecht in der Ukraine, wo der Konflikt tausende Opfer fordert. Gleichzeitig baut Deutschland eine zweite Röhre der Gaspipeline Nord Stream. Ist das nicht widersprüchlich? Berücksichtigen Sie die polnischen Proteste in dieser Frage?

Es gibt ja nicht nur Gaspipelines mit russischen Gas nach Deutschland, sondern auch nach Polen. Die Frage, die wir uns alle stellen müssen, lautet doch: Wie können wir verhindern, dass Gas als Instrument der Politik gegen Europa eingesetzt werden kann? Dafür ist es wichtig, dass wir die Transitpipeline durch die Ukraine ebenso sichern wie das Interesse der Slowakei, Tschechiens oder auch Polens an der Yamal-Pipeline. Das ist gegenüber Russland klar als Voraussetzung erklärt. Außerdem müssen wir das europäische Gasnetz stärker vernetzen, damit der Ausfall einer Herkunftsquelle jederzeit durch eine andere ersetzt werden kann. Wir nehmen also die Bedenken, die auch in Polen existieren, sehr ernst. Wir bitten aber auch um Verständnis, dass wir ansonsten bei der in Europa vor Jahren durchgeführten Liberalisierung der Gasversorgung bleiben wollen. Seitdem ist es nicht mehr die Politik, die über die Gasversorgung entscheidet, sondern es sind die europäischen Unternehmen, die das tun. Die Politik hat die Aufgabe, dafür die richtige Regulierung durchzusetzen. Das tun wir in Deutschland. Auch gegenüber Russland.

Amerika unter der Regierung Trump droht, sein Engagement in der NATO zurückzufahren, wenn die Europäer nicht ihren finanziellen Beitrag erhöhen. Sie haben jüngst gesagt, das Erreichen des 2-Prozent-Ziels für die Verteidigungsausgaben sei unrealistisch. Fürchten Sie nicht, dass Ihr Widerstand die NATO schwächt?

Wir haben 2014 in der Nato fest vereinbart, uns innerhalb eines Jahrzehnts den Zwei-Prozent für Verteidigungsausgaben anzunähern. Dazu stehen wir und das tun wir! Deutschland steht ganz vorne bei allen vom Bündnis beschlossenen Rückversicherungsmaßnahmen in Osteuropa. Sicherheit ist aber auch mehr als das Zählen von militärischem Gerät, es ist auch und vor allem sicherheitspolitischer Dialog, Konfliktprävention, Stabilisierung schwacher Staaten, Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe. Hier müssen wir uns ebenso entschlossen engagieren.

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